Zuspätkommen war an diesem Abend eindeutig die falsche Entscheidung – schon eine halbe Stunde vor Beginn war der Rote Salon der Pumpe voll, um halb neun war dann Kuscheln angesagt. Kein Wunder, waren beim zweiten Kieler Poetry Slam dieser Saison elf großartige Poeten aus ganz Deutschland auf der Bühne.
Veranstalter Björn Högsdal von der Kulturagentur assemble ART hatte am 8. Oktober eine lange Liste vorzulesen: Elf Poeten wollten an diesem Abend vor einem prall gefüllten Roten Salon eigens verfasste Texte vortragen.
Die Teilnehmer wurden in zwei Gruppen eingeteilt, sieben Juroren aus dem Publikum gewählt - der Poetry Slam konnte also beginnen. Um es dem ersten Poeten nicht zu schwer zu machen, las die Hamburgerin Johanna Wack, die als feat. Poetress fungierte, amüsante Geschichten über Kinder. Die Titel "Hässlich" und "Hochbegabt" lassen erahnen, dass die Texte der sehr erfolgreichen Poetin nur so vor Ironie und Witz tropften und das Publikum perfekt auf den Abend einstimmten.
Johanna Wack im Hamburger Schauspielhaus
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Das Prinzip des Dichterwettstreits ist einfach: Die Teilnehmer dürfen nur Texte nutzen, die ihrer eigenen Feder entstammen. Sechs Minuten haben die Künstler auf der Bühne, Requisiten dürfen nicht benutzt werden. In der ersten Runde vergeben sieben Juroren aus dem Publikum bis zu zehn Punkte für Inhalt und Vortrag des Textes. In der Finalrunde wird der Sieger durch die Lautstärke des Klatschens ermittelt.
Von lustig bis traurig
Bevor der erste Slammer die Bühne betrat, trug auch Veranstalter Björn Högsdal eine kurze Geschichte über - Kinder - vor, ein dankbares Thema für amüsante Geschichten. Anschließend eröffnete Gunnar Storm als erster Teilnehmer den Poetry Slam. In rappender Manier beschrieb er einen Partyabend - wechselte aus der betrunkenen Feierlaune in erschreckende Bilder und zurück. So hatte er viele Lacher auf seiner Seite, die Einschübe über Gewalt gegen eine Frau und die Hoffnungslosigkeit über die Versprechungen über ein Leben in Deutschland, die einer Osteuropäerin gemacht wurden, brachten die Zuhörer aber auch zum Nachdenken. Schnell und tiefsinnig trug Gunnar, der unter anderem bereits den zweiten Platz beim U20-Städtebattle belegte, vor. Mit 31 Punkten erhielt er eine solide Punktzahl.
Gunnar Storm beim U20-Städtebattle
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Ebenfalls aus Kiel kommt Katharina Brutscher, die als Zweite an den Start ging und zwei ruhige Texte vorstellte. "Du und ich" wurde in ihrem ersten Beitrag zu "ich", sie beschrieb darin eine gescheiterte Beziehung. Anschließend teilte sie ihre Gedanken zum Thema "Halten" mit dem Publikum. 35 Punkte gab es dafür von den Juroren.
Till Reiners kam extra aus Berlin nach Kiel und präsentierte ein Zwiegespräch mit seiner Generation: Er sprach darin über Teilzeit-Ökos, Bionade-Trinker und Manchmal-Veganer und brachte das Publikum zum Lachen. Mit stattlichen 40 Punkten wurde Till dafür belohnt. Eine ebenso humorvoller Beitrag kam von der Oldenburgerin Annika Blanke - sie widmete sich dem Metal-Festival Wacken und beschrieb die komplexe Natur der Metalfans auf diesem riesigen Happening. Dass das Publikum sich den Bauch vor Lachen halten musste, bewiesen 41 Punkte von der Jury.
Mit Falk Dietrich betrat dann ein alter Poetry-Slam-Hase die Bühne: Der Berliner erzählte bittersüß in monotoner und so umso witziger Art in "Bergfest" von einem Brief, den er sich zum 35. Geburtstag selbst geschrieben hat. Sätze wie "Ich spreche gerne zu mir, denn ich höre gerne vertraute Stimmen" fand neben dem Publikum auch er selbst zum Lachen und kassierte hierfür stolze 45 Punkte, die ihn später in die Finalrunde führten.
Sechster und letzter Teilnehmer der ersten Gruppe war der Hamburger Nico Semsrott. Er beschäftigte sich ausgiebig mit dem Thema "Versagen" und den Auswirkungen des Verlierens und forderte, dass "Lebensabschlussnoten" vergeben werden sollten. Mit Erfolg: Gemeinsam mit Falk Dietrich waren nun zwei Poeten für die Finalrunde gefunden.
Nico Semsrott bei YouTube
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Wer gewinnt: eine schwierige Entscheidung
Nach einer kurzen Pause ebnete Björn Högsdal mit Worten zum Thema "Reisevorbereitungen" den Weg für die zweite Teilnehmergruppe. Luka Thomsen lieferte zwei Texte zu "Berliner Bildern". Ein wenig unsicher wirkte er zu Beginn, taute aber zusehendst auf. Kein Wunder, erst zum dritten Mal nahm der Neumünsteraner an einem Poetry Slam teil. Mit 31 Punkten wurde er für den Mut, sich neben erfahrenen Poeten zu beweisen, belohnt.
Moritz Neumeier aus Itzehoe widmete seine Worte seinen Ex-Freundinnen, mit Sätzen wie "du bist 'ne Phase" und "ich bin der Hase, du mein Gewehr" lieferte er sich einen unterhaltsamen Schlagabtausch und unterhielt sich in einem zweiten Text mit einem Kaninchen. Ergebnis: ansehnliche 38 Punkte. Der Mainzer Ken Yamamoto lieferte Gedichte ab und begeisterte das Publikum nicht nur mit seinen Metaphern, sondern auch durch seine lebendige und vor allem freie Vortragsweise. 48 Punkte sicherten ihm einen Platz im Finale.
Anschließend begann der Text "Montagmorgen" der Poetin Sabrina Schauer am Freitagabend. Sie sprach darin über ihre Wochenendfreizeit, die sie lieber arbeitend verbringen würde. Sie wurde zum Egoshooter und ließ ihren nächtlichen Besuch die Wohnung putzen. Schallendes Gelächter brachte der Pinnebergerin 40 Punkte. Als letzter Kandidat kam Morten von Holdt ans Mikro und berichtete vom U-Bahn-Fahren in Hamburg und brachte das Publikum sogar zum Mitmachen, sagte der "Digger", übernahm das Publikum mit "Was?". 42 Punkte und einen Platz im Finale erhielt der Hamburger für diesen Spaß.
Spannendes Finale
Johanna Wack machte ihre "Kinder"-Trilogie mit dem Text "Perfekt" rund und leitete zum Finale ein. Falk Dietrich, Nico Semsrott, Ken Yamamoto und Morten von Holdt kämpften um den ersten Platz beim Kieler Poetry Slam. Jeder Finalist trug einen weiteren Text vor. Der sonst humoristisch veranlagte Morten wurde zum Abschluss traurig, Ken trug das Gedicht "Enttäuschung" vor, Falk war politisch engagiert und Nico hatte ja eigentlich mit dem Versagen gerechnet. Anschließend übertrug Björn Högsdal dem Publikum die Qual der Wahl: Vier unglaublich gute Poeten standen zur Auswahl. An der Lautstärke des Publikumsklatschens ermittelte Veranstalter Högsdal den Sieger und kurze Zeit später war klar: Mit weitem Abstand wurde Ken Yamamoto verdienter Sieger dieses Slams und ein toller Poetry Slam ging um Mitternacht (gefühlt) viel zu früh zu Ende.
Ken Yamamoto bei der Slam Tour mit Sarah Kuttner
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Der nächste Kieler Poetry Slam ist am 12. November um 20.30 Uhr im Roten Salon der Pumpe. Tipp der Redaktion: Ganz neu ist die Kieler Slam-Volksbühne "Brot&Spiele" in der Schaubude, erstmals findet sie am 21. Oktober ab 20.30 Uhr statt und gibt dem Nachwuchs die Möglichkeit, sich in kleinerer Runde zu zeigen.