Bei einem unglücklichen Unfall verlor Bildhauerin Karen Löwenstrom aus Kochendorf ihren rechten Ringfinger – doch ihre positive Lebenseinstellung bleibt davon unberührt. Tauchen Sie ein in die Geschichte der schicksalhaften Begegnung von Karen und Förde Fräulein Finja
An einem Restauranttisch sitzt mir eine zierliche, dunkelblonde Frau mit strahlend blauen Augen und liebevollem Lächeln gegenüber. Ihre rechte Hand hat sie mit einer rosafarbenen Spitzen-Stulpe kaschiert. Dennoch bemerke ich, dass ihr ein Ringfinger fehlt. Das Treffen mit Bildhauerin Karen Löwenstrom ist kein alltäglicher Termin für mich, denn uns verbindet eine ganz besondere Geschichte. Eine schicksalhafte Geschichte, die das Leben schreibt.
Als ich im November letzten Jahres den Martinsmarkt in Bissee besuchte, entdeckte ich die beeindruckenden Kunstwerke von Karen das erste Mal. Ihre verspielten Holzskulpturen zauberten mir unweigerlich ein Lächeln ins Gesicht. Ich nahm mir danach vor, sie zu kontaktieren, um sie auf dem Förde-Fräulein-Blog vorzustellen. Im Alltagstrubel geriet das leider wieder in Vergessenheit.
Ein Schockerlebnis
Wochen später rief mich mein Freund am Abend aufgelöst an und berichtete mir davon, gerade einer Frau geholfen zu haben, die kurz zuvor einen Unfall hatte. Als diese über einen Zaun kletterte, blieb sie so unglücklich mit ihrem Ehering an einer Sprosse hängen, dass sie sich ihren rechten Ringfinger abriss. Ohne zu zögern half er ihr, rief den Notruf und leistete ihr seelischen Beistand, bevor sie mit dem Krankenwagen abgeholt wurde. Nach diesem Erlebnis sprachen mein Freund und ich immer wieder von der Frau. Wir fragten uns, wie es ihr wohl ergangen sein mag. Ohne ihren Namen konnten wir leider keine Antworten finden.
Eine E-Mail mit ungeahnter Antwort
Einige Zeit danach fiel mir die eingangs erwähnte Bildhauerin, die ich auf dem Martinsmarkt so bewundert hatte, wieder ein. Ich schrieb Karen Löwenstrom in meiner E-Mail, wie gerne ich sie für einen Artikel auf dem Förde-Fräulein-Blog porträtieren würde. Beim Lesen ihrer Antwort fiel ich fast vom Stuhl. Sie schrieb: „Vor zwei Wochen hatte ich einen Unfall, bei dem ich meinen rechten Ringfinger verloren habe. Ich weiß nicht, wann ich wieder arbeiten kann, ich melde mich aber, sobald es mir besser geht.“
Das kann doch nicht möglich sein, dachte ich. Dass ich genau der Frau geschrieben habe, an die mein Freund und ich so viel gedacht haben. An die ich sogar schon viel längere Zeit dachte. Ich zeigte ihm ein Foto und bekam seine Bestätigung. Ich erklärte Karen die Zusammenhänge – wir konnten es beide nicht fassen. Wir verabredeten uns und ich erfuhr endlich, wie es ihr ergangen ist.
„Mich macht die Geschichte noch stärker. Meine kleine Hand wird jetzt zu meinem Markenzeichen“
Das Wiedersehen
Bereits nach wenigen Minuten am Tisch mit Karen wird mir klar: Sie ist eine Kämpfernatur, eine Macherin und stark wie eine Löwin. Dass ausgerechnet sie als Bildhauerin einen Finger verliert, klingt für mich wahnsinnig ungerecht. Aber sie hat die Folgen ihres Unfalls erstaunlich gut verarbeitet. „Ich wundere mich selbst, wie gut es mir bei all dem Schlamassel geht. Ich habe das Gefühl, mich macht die Geschichte noch stärker. Meine kleine Hand wird jetzt zu meinem Markenzeichen. Ich bin nun eine Kriegerin, wie eine Freundin mir sagte, und habe mir fest vorgenommen, alle Rekorde zu brechen.“
Im Alltag mussten sie, ihr Mann und die zwei Kinder sich an die neuen Umstände erst gewöhnen. „Es hat zwei Wochen gedauert, bis ich das erste Mal bitterlich geweint habe. Da kam plötzlich alles hoch und ich realisierte den Verlust“, sagt Karen. Zum Glück kann sie trotzdem weiter als freischaffende Künstlerin arbeiten und verspürt so gut wie keine Beeinträchtigungen dabei.
Karens Werdegang
„Schon von klein auf wollte ich etwas mit meinen eigenen Händen machen. Früher hatte ich vor, Goldschmiedin zu werden“, erinnert sie sich. Karen besuchte jedoch eine Fachhochschule für Grafik und Design, bevor sie eine schulische Ausbildung zur Holzbildhauerin absolvierte. Mit ihrem Gesellenstück wurde sie sogar erste Bundessiegerin im Bereich „Bestes Handwerk“. „Ich mochte schon immer gerne mit Holz arbeiten. Allein schon wegen des Geruchs“, sagt sie schmunzelnd. Dass sie in ihrem Beruf ihre Erfüllung findet, spüre ich auf Anhieb.„Meine Kunst hat den bescheidenen Anspruch, Freude auf die Gesichter der Betrachter zu zaubern“
Zu Besuch in Karens Atelier
Kurz nach unserem Treffen besuche ich Karen in ihrer Werkstatt. In ihrem kleinen Atelier stehen überall Holzfiguren und angefangene Arbeiten, liegen Pinsel, Späne und Werkzeug herum. „Für eine Figur brauche ich zwei bis drei Wochen. Vorab benötige ich Bilder der Person aus allen Winkeln. Mittlerweile habe ich die Arbeit so perfektioniert, dass ich vorher keine Modelle mehr anfertige, sondern direkt aus dem Fichtenholz herausschnitze“, erklärt sie.
Die Auftragsarbeiten stammen nicht nur von prominenten Persönlichkeiten. „Bei mir können auch Figuren von Familien und Kindern in Auftrag gegeben werden. Dazu kommen Skulpturen von verstorbenen Menschen oder Haustieren, die als Erinnerung für die Hinterbliebenen dienen“, erzählt sie und zeigt mir einige ihrer Werke.
Für mich versprühen sie Leichtigkeit, Poesie, Detailliebe. Der maritime Charakter ist bei einigen deutlich spürbar. Unglaublich, wie filigran Karen Gesichtszüge aus dem Holz herausarbeiten kann. Ich bin beeindruckt von ihrem Talent und ihrer positiven Lebenseinstellung, die in jedem ihrer Werke zum Vorschein kommt.
Wir verabschieden uns herzlich und ich fühle mich tief berührt und inspiriert von dieser löwenstarken Frau, die ich scheinbar aus einem unerklärlichen Grund treffen sollte. Eine wahrlich schicksalhafte Begegnung, die ich ganz sicher niemals in meinem Leben vergessen werde.
Hier gibt es Karens Kunst zu bestaunen:
– Dauerhaft in der Galerie Chaco in den Zeisehallen Hamburg Ottensen
– Bis zum Ende des Sommers in Keitum auf Sylt bei Goldschmiedin Birte Wieda
Weitere Informationen und alle Werke unter www.karen-loewenstrom.de