Ob Krabbenfischen, Feuerspucken oder Voltigieren – Redakteur Thore Albertsen tut das, was Sie sich wünschen. Dieses Mal: Rollerderby.Vor diesem Tag habe ich mich gefürchtet. Denn schon die Ausrüstung, die beim Rollerderby getragen wird, lässt mich sofort an Schmerzen denken: Helm, Knieschützer, Ellenbogen und Handgelenkschoner gehören hier zum Standardrepertoire. Dennoch wage ich mich an einem Donnerstagabend in den Winterbeker Weg, um beim Training dabei zu sein.
Beim Betreten der Sporthalle kommt mir der typisch-muffige Geruch aus meiner Schulzeit entgegen: eine Mischung aus alten Socken, Schweiß und Linoleum – eben Sportunterricht. Das Training ist bereits voll im Gange. In einer Geschwindigkeit, wie sie die Darsteller des Musicals Starlight Express nicht überbieten könnten, rasen circa 20 Rollschuhfahrer durch die Halle. Eine Spielerin mit lila Haaren kommt auf mich zu und bremst einen Meter vor mir abrupt ab. Rockiges Shirt, dunkle Hose, schwarze 50er Jahre-Rollschuhe und grüner Mundschutz – das sich viele Rollerderbyspielerinnen in der Punk-Szene wie zu Hause fühlen, ist eindeutig erkennbar. Sie heißt Wibke Scholz und ist eine der Begründerinnen der Smashing Sailorettes. Zusammen mit Tamy Wefer war sie vor einem Jahr während einer Party auf die Idee gekommen. Die beiden kannten Rollerderby aus Amerika. Hier erlebt der Sport, der sich aus den Rollschuhrennen entwickelt hat, vor allem bei Frauen seit Beginn der 90er Jahre ein riesiges Comeback. Auch im Rest der Welt wird Rollerderby immer beliebter.
„Du bist dann wohl der Neue“, begrüßt sie mich mit einem diabolischen Lächeln, nimmt mich mit in die Umkleidekabine und übergibt mir meine Ausrüstung: Knie-, Handgelenk-, Ellenbogenschützer, Helm und rot-weiße Rollschuhe. Es braucht 15 Minuten, bis ich die komplette Montur angezogen habe. Dann begebe ich mich auf wackligen Beinen – mein letztes Mal auf Skates ist gefühlte zwölf Jahre her – zurück in die Halle. So müssen sich Kleinkinder fühlen, die gerade das Laufen lernen.
Sofort werde ich ins Training eingebunden. Während der ersten langsamen Runden überholt mich ein Kamikaze nach dem anderen – so als wären sie bereits mit Rollen an den Füßen auf die Welt gekommen. Dann folgen ein paar Variationen: Beim Pfiff des Trainers in die Hocke gehen, auf einem Bein fahren oder sich gegenseitig anschieben. Ich tue mein Bestes, um mitzuhalten, und bin am Ende dieses Warm-ups so nass geschwitzt, als hätte ich gerade einen Regenschauer hinter mir. Doch ausruhen? Keine Chance.
Es werden Gruppen gebildet. Wibke teilt mich den sogenannten „Noobies“ zu. Das sind die Spieler, die noch am Anfang ihrer Karriere auf vier Rollen stehen. Trainieren wird uns Katti Marx. Die 23-Jährige ist seit Beginn dabei und ein echtes Naturtalent. Denn – auch wenn sie mit ihrer schmalen Figur eher so wirkt, als wäre sie der Yoga- und Handarbeitstyp – kann sie es trotzdem mit den kräftigsten Spielerinnen aufnehmen. Wir Noobies lernen etwas über die richtige Bremstechnik. Dies gehört zu den wichtigsten Dingen beim Rollerderby, denn kann man nicht Bremsen, kommt es schnell zu gefährlichen Stürzen. Anschaulich erklärt das rothaarige Rollergirl, wie es geht: „Stellt euch vor, ihr seid auf einem Festival und müsst ganz dringend auf die Toilette, aber diese ist so dreckig, dass ihr sie nicht berühren wollt. Also streckt ihr den Hintern ganz raus“, sagt sie und zeigt die beschriebene Bewegung, sodass sie an eine Ente erinnert. „Wenn ihr bremsen wollt, müsst ihr in dieser Haltung die Füße einfach kräftig nach innen drehen“, führt sie weiter aus. Ich beobachte Katti skeptisch und versuche es dann selbst. Es fühlt sich an wie das Bremsen beim Skifahren in der neunten Klasse. Nach gefühlten 20 Versuchen bringe ich die Rollschuhe auch wirklich zum Stehen. Meine inneren Oberschenkelmuskeln brennen. Jetzt fühle ich mich bereit für das große Spiel.
Normalerweise dürfen Neulinge dabei gar nicht mitmachen, aber die Sailorrettes machen eine Ausnahme. So stehe ich auf dem Spielfeld, als der sogenannte „Bout“ beginnt. Hierbei treten zwei Fünfer-Teams gegeneinander an, die sich beide auf dem Track, der ovalen Rollschuhbahn, befinden. Vier der Spieler in jedem Team sind Blocker, einer ist Jammer. Die Blocker sind dafür zuständig, die Gegnerinnen außer Gefecht zu setzen und ihren Jammer durch das schubsende „Pack“ aus Blockern zu lotsen. Der Jammer versucht, schnell vorbeizukommen. Pro überholtem gegnerischen Blocker gibt es einen Punkt. Klingt kompliziert, ist aber einfach umzusetzen. Ich bin im Pack dabei. Als es losgeht, versuchen wir alles, um den Gegner am Vorbeikommen zu hindern. Es wird gerempelt, geschubst, Ellenbogenschoner knallen aneinander. Hier wird deutlich, dass sich die Spieler beim Rollerderby nicht umsonst Namen wie Tamykatze, Coast Buster oder Nini Napalm geben, anstatt wie beim Fußball Nummern zu bekommen. So laut wie möglich schreien wir uns zu, wo sich der Feind gerade befindet. Im Gesicht der Mädchen zeigt sich die Anspannung. Fast ist mir, als könnte ich sie schnauben sehen, so wie Stiere, denen ein rotes Tuch vor die Nase gehalten wird. Ich konzentriere mich mehr darauf, im wahrsten Sinne des Wortes nicht unter die Räder zu kommen. Nach zwei Minuten ist der Jam vorbei. Ich habe es überstanden. Meine anfänglichen Bedenken sind wie weggeblockt und ich muss zugeben, insgeheim wäre ich doch gern Thor-Nado!