Er ist der Mittelpunkt des Kieler Weihnachtsmarktes und sorgt mit seinen hunderten Lichtern für die richtige Weihnachtsstimmung: der festliche Baum vor dem Rathaus. Doch auch er hat einst ganz klein angefangen …
Es war einmal in einem Waldstück nahe Preetz, als viele kleine Setzlinge des Baumes Abies nordmanniana – besser bekannt als Nordmanntanne – ihren Weg von der Forstbaumschule hinaus in die freie Natur fanden. 6.000 Stück pro Hektar, um genau zu sein. Einer davon sollte eines Tages der prächtige Weihnachtsbaum in Kiel werden. Doch bis es so weit sein würde, galt es, vielen Widrigkeiten zu trotzen.
Im zarten Alter von zwei Jahren ist ein Baum noch sehr anfällig für äußere Einflüsse und bedarf daher intensiver Forstpflege. Frost und Hagel rütteln an seinen Zweigen, und Wildtiere, Mäuse oder gemeine Tannentriebläuse wollen an ihm knabbern. Auch eine schöne Wuchsrichtung ist nicht von Natur aus gegeben. Dass der kleine Baum eine gute Überlebenschance hat und darüber hinaus zu erhabener Schönheit gelangt, stellt der Förster sicher.
Für den Baumbestand im Klosterforst Preetz, aus dem auch der Kieler Baum stammt, ist Förster Dirk Sauer seit vier Jahren der zuständige „Herr der Bäume“. Mit Zäunen schützt er die kleinen Grünlinge vor tierischen Störenfrieden, mit der Schere sorgt er dafür, dass der Baum schön in die Höhe wachsen kann und nicht durch erhöhten Graswuchs behindert wird. „Wir verwenden hier so gut wie keine chemischen Mittel, alles läuft motor-manuell. Das können wir gewährleisten, da der Baumverkauf für uns eher Nebengeschäft ist, hauptsächlich widmen wir uns der Forstpflege.“
So kann der kleine Baum tüchtig heranwachsen und findet seinen Weg zu imposanter Größe. Ungefähr zehn Jahre dauert es, bis er die Größe von zwei Metern erreicht hat, im Laufe dieser Zeit verlassen ihn viele seiner einstigen Alterskameraden – zehn bis 20 Prozent der Bäume werden im Laufe der Jahre zu stark in Mitleidenschaft gezogen, ihnen ist sein adeliges Schicksal nicht vergönnt. Ihre schönen Zweige werden noch Kränze oder Gestecke zieren.
Und von anderen Verbliebenen muss der Baum jetzt Abschied nehmen: „Zwei Meter ist die gängige Größe, die die meisten für ihren Weihnachtsbaum vorgesehen haben, daher werden viele in dieser Größe gefällt“, erklärt der Fachmann. Für unseren Baum ist die Zeit aber noch nicht gekommen, er darf noch einmal dieselbe Zeit weiterwachsen.
Eines Tages ist es dann so weit: Statt der gewohnten Zweigpflege bekommt der einst kleine Baum ein rotes Schleifchen umgebunden – der große Tag ist nahe! Bereits wenige Tage später rumpelt und poltert es in dem sonst so stillen Waldstück gewaltig. Die Mitarbeiter des Forsthofes nahen mit schwerem Gerät – hat unser kleiner Baum doch inzwischen ein stattliches Gewicht von 250 bis 400 Kilo erreicht. Über zwölf Meter misst er und hat einen Umfang von etwa 60 Zentimetern.
Das Fällen muss gut durchdacht werden, auf keinen Fall soll die Spitze, der wichtigste Teil, beim Umfallen zu Schaden kommen. Und schon wird mit einem durch die Waldfluchten hallenden Röhren die Kettensäge angeworfen. Mit einigen beherzten Schlägen auf den Spaltkeil spaltet der Mitarbeiter des Forsthofes anschließend den Baum so, dass er in einer sanften Bewegung zu Boden fällt.
Ein erneuter Einsatz der Kettensäge trennt den Stamm schließlich von der oberen Hälfte, denn nicht die gesamte Länge wird für seine spätere Bestimmung benötigt. Das war dem Bäumchen gar nicht bewusst – auch in Möbelstücken wird sein Holz eine ewige Würdigung erfahren. Etwa acht bis neun Meter misst er jetzt.
Ein Bagger mit Greifer nähert sich durch die noch stehenden Bäume, um ihn sogleich aufzuheben und zum Transport fertig zu machen. Auf dem Weg nach Kiel soll dem grünen Riesen nichts zustoßen, daher wird er passgenau auf die Ladefläche des Transporters gehoben und ordentlich verzurrt. Los geht es, zwei Stunden werden Baum und Fahrer unterwegs sein, bis sie den Kieler Rathausplatz erreicht haben.
Dort angekommen, kommt erneut der Greifer zum Einsatz, der vorsichtig den Baum von seinem fahrbaren Untersatz hebt. Am Boden bewegen ihn zahlreiche Mitarbeiter in Richtung Hülse, die in den Boden eingelassen ist. Bevor der Stamm in diese passt, muss noch einmal ordentlich gesägt und gehobelt werden, etwa ein Meter des Stammes sollen im Boden versenkt werden.
Langsam richtet der Greifarm den Baum auf, die Männer drücken und schieben, bis der Baum an der richtigen Stelle angekommen ist und der Stamm sich in den eingelassenen Ständer einfügen lässt. Dort wird er dann noch mit Holzstücken verkeilt und fertig – da steht er nun, der imposante Riese in all seiner Pracht.
Na ja, noch nicht ganz, es fehlen ihm noch die weihnachtlichen Lichter – 120 einzelne Glühbirnen sollen ihn schmücken. Das ist eine Kette mit einer Gesamtlänge von 60 Metern. Noch einmal ist ein Großgerät nötig: Ein Kranwagen hebt einen Mitarbeiter nach oben, unten, rechts und links, der geschickt die einzelnen Lämpchen anbringt. Er beginnt ab einer Höhe von 2,50 Metern, damit Baum und Kette nicht Opfer von Übergriffen weihnachtsmuffeliger Passanten werden, und hüllt so Stück für Stück den Baum in sein leuchtendes Lichtgewand, das ihn schließlich offiziell zum Weihnachtsbaum erhebt.
Dana Wengert