Wegen der Insolvenz der StrandFabrik haben viele Startups und Kleinstunternehmer*innen die Halle am StrandOrt in Kiel-Friedrichsort räumen müssen. Neben ihrer innovativen Markt-Idee verhalf Ihnen ein besonderer Umstand zur Vertragsverlängerung.
Wie „leergefegt“ ist die Halle, die bis vor Kurzem noch umtriebige Startups ihr Zuhause nennen durften. Nur wenige „Restbestände“ erinnern noch daran, dass sich hier die kreativen Köpfe Kiels trafen, um neue Wege zu gehen und ihr persönliches Firmenglück schmiedeten. Unter diesen Beständen befinden sich auch mehrere auseinander gebaute, fünf Meter lange Fließbänder, auf denen ein DIN A4-Zettel klebt: „Baltic Materials“ steht in Kugelschreibertinte darauf geschrieben, um sie von der Insolvenzmasse zu unterscheiden, die in den vergangenen Wochen zusammengetragen und abgeholt wurde. Sie gehören zum Inventar von Tjark Ziehm und Marc Wejda, die mit ihrem neu gegründeten Unternehmen „Baltic Materials“ Seegras von den Stränden sammeln und es so aufbereiten, dass gleich mehrere Firmen unterschiedlicher Branchen davon profitieren. Ohne ihre Fließbänder stünde die Produktion im wahrsten Sinne still und Kundenaufträge könnten nicht erfüllt werden. Wie es zu der Hängepartie kam?
Was war geschehen?
Die Aus durch die Zahlungsunfähigkeit der StrandFabrik ist tatsächlich eine sehr bittere Geschichte. Nicht nur weil dadurch vielen aufstrebenden lokalen Unternehmen die Grundlage und Produktionsstätte fehlt, sondern weil sich diese auf die – leider oftmals nur mündlichen – Zusagen des ehemaligen Betreibers Lukas Zahling verließen. So auch die beiden Spezialisten für Seegras. „Die letzten drei Monate waren wirklich kräftezehrend“, sagt Ziehm, ehemaliger FH-Student und Mitbegründer von Baltic Materials. Sie hatten sich auf die Vereinbarungen mit Zahling verlassen, baten jedoch in mehrfach innerhalb eines Schriftverkehrs via Mail um einen schriftlichen Vertrag, in der die Konditionen für die Anmietung der Fläche in der StrandFabrik schwarz auf weiß nachzulesen waren. Was sie allerdings erhielten waren unspezifizierte Absätze und Klauseln aus allgemeinen Vordrucken von Mietverträgen und keine genauen Aussagen die konkrete Nutzung ihrer angemieteten Flächen. Wie sieht es mit der Strom- und Wasserversorgung aus? Können die LKW die Tonnen an Seegras überhaupt anliefern? Diese und weitere Fragen blieben über Monate unbeantwortet.
Ein Freund und Helfer
Nachdem Zahling allen Mieter*innen kurz vor Weihnachten 2022 mitteilte und diese ihre sieben Sachen zu packen haben, nahm sich Philipp Weiß von der Kieler Wirtschaftsförderung dem weiteren Prozedere rund um die StrandFarbrik an. Er ist einer der größten Förderer dieses und zweier weiterer Startups, die weiterhin in der Halle Obdach für ihre Firmenidee finden. Weiß gewährte ihnen weiteren Aufschub und zog die finale Räumung der Halle immer weiter hinaus. „Philipp war zu dieser Zeit vor allem eine psychische Stütze“, sagt Ziehm. Damit die jungen Unternehmen ihre Mieten jedoch weiterhin zahlen können, benötigen diese einen offiziellen Nachweis für die Kreditinstitute über ihre jeweiligen wirtschaftlichen Absichten. Ein so genannter Letter of Intent wird benötigt, um das weitere Förderverfahren zu initialisieren und Gelder von Banken und Stipendien von Initiativen zu erhalten. Diesen haben Ziehm und Wejda mittlerweile erhalten und können ihre Standortsicherung nun offiziell gewährleisten.
Was macht „Baltic Materials“?
Ob als Dämmung in der Hauswand oder als Paste im Gesicht – kaum ein Rohstoff ist so universal einsetzbar wie Seegras. Kein Wunder also, dass die Nachfrage seit Jahren auf einem konstant hohen Niveau bleibt. Diesen Umstand haben sich der Tjark Ziehm und Marc Wejda mit ihrem Unternehmen Baltic Materials zunutze gemacht und verwandeln Seegras aus dem Meer durch ein Säuberungsverfahren in ein natürliches Material zur Weiterverarbeitung. Dabei müssen sie gar nicht weit reisen, sondern nur vor der eigenen Haustür „kehren“.
Waschtrommel und KI am Werk
2.000 Tonnen Schwemmgut liegen jährlich allein an der Küste der Eckernförder Bucht, aus denen 1.400 Tonnen reine Biomasse entstehen. Hier sammelt die Kommune das Seegras von den Stränden zunächst ein, lädt es auf LKW und transportiert es zur Weiterverarbeitung an den derzeitigen Firmensitz in den StrandOrt, wo gleich mehrere Maschinen das Seegras sortieren, reinigen und trocknen. Die Anlage besteht aus zwei Stufen. Die erste Stufe ist eine sieben Meter lange Waschtrommel, wo die Biomasse durch Spülen mit Regenwasser von Sand befreit wird, der in einem Behältnis aufgefangen wird. Anschließend geht es auf einem Förderband in die zweite Stufe. Dort sucht eine KI mit optischen Sensoren nach allem, was nicht Seegras ist, und sortiert das mithilfe von 900 Mal die Minute zugreifenden Robotik-Armen aus.
Expansion geplant
Anschließend muss das Seegras dann noch getrocknet werden. Dies geschieht in Trockencontainern, die allerdings noch angeschafft werden müssen. Künftig sollen diese in der Strandfabrik stehen. Weil sich Baltic Material schon aktuell kaum vor Anfragen aus Bau- und Handwerksbranchen retten können, planen Tjark und Marc in den kommenden Jahren zu expandieren und Seegras auch weiter entlang der Ostsee zu sammeln. Der große Vorteil ist, dass die Sortieranlage nicht an einen Standort gebunden, sondern mobil ist. Und weil Seegrass natürlich nicht nur an der Eckernförder Bucht liegt, liegt der Gedanke nahe, weitere Gebiete anzufahren. Die Kommunen werden es ihnen danken, denn mithilfe ihres Verfahrens können Tjark und Marc etwa 5–10 Prozent der Kosten einsparen, die für die Entsorgung des Seegrases anfallen.
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