Seit Jugendtagen arbeitet Klaus Jänicke an seiner Miniaturversion des Holstein-Stadions von 1964. Der Nachbau gelangte durch einen Zufall zurück in die filigranen Hände des passionierten Bastlers und wurde so zu seinem Lebenswerk.
Das Flutlicht erleuchtet das Spielfeld des Holstein-Stadions bereits hell, die Haupttribüne hat allerdings noch kein Dach und noch ist eine ganze Menge zu tun im Wohnzimmer der Störche. Wo wir sind? Wir befinden uns nicht im Stadion am Westring 501, sondern nur wenige Gehminuten vom Original entfernt – in Klaus Jänickes Küche. Hier bastelt der pensionierte Architekt und Stadtplaner an einem maßstabsgetreuen Nachbau des Holstein-Stadions von 1964.
Von der Faszination Holsteins „angesteckt“
Überall liegt Werkzeug augenscheinlich wahllos herum, doch alles gehört an seinen Platz. Seit 56 Jahren arbeitet der Störche-Fan mit dem Gespür für das Filigrane an dem Modell, allerdings mit längeren, jahrzehntelangen Unterbrechungen. Die Abschlussarbeit zur mittleren Reife war damals der Anlass für das Projekt „Blau-Weiß-Rot“ und geriet nach etlichen Umzügen in Vergessenheit. Bereits 1958 sah Klaus Jänicke sein erstes Holstein-Spiel. Die Störche trafen damals in der Oberliga Nord auf den VFL Osnabrück. Es versprach eine interessante Partie zu werden, weil die Atmosphäre und die Stimmung damals kaum besser sein konnten: Die KSV belegte in der zuvor abgelaufenen Spielzeit den zweiten Tabellenplatz, wurde Vizemeister und scheiterte in der Endrunde um die deutsche Meisterschaft.
Viel hatten sich die Störche deshalb für die darauffolgende Saison vorgenommen und die knapp 7.000 Kieler Fans, die im Schnitt zu den Spielen der KSV kamen, peitschten ihre Mannschaft zu hervorragenden Leistungen auf dem Platz nach vorn. Jänicke stand damals in Block B. „Die Atmosphäre, die Stimmung auf der Tribüne, das alles hat mich früher nachhaltig beeindruckt“, sagt der Hobby-Bastler.
„Von diesem Tag an war ich ein Holsteiner Jung“.
Wenige Jahre später stand Jänicke mit 17 Jahren kurz vor seinem Schulabschluss. Für den Abschluss des mittleren Reifegrades verfassten die Schüler*innen eine Jahresarbeit, welche in die Bewertung des Zeugnisses einfloss. Während einige Mitschüler*innen sich für eine Arbeit mit dem Schwerpunkt Mathematik entschieden, andere für die Interpretation eines Gedichtes, fiel Jänicke nur ein Thema ein, mit dem er sich langfristig beschäftigen würde: Holstein Kiel. Der junge Jänicke zeichnete in seiner Freizeit genauso gern wie er die Spiele der Störche im Stadion sah und schlug seinem Lehrer die besondere Idee der Jahresarbeit vor. Neben der Abhandlung über die „Entwicklung des deutschen Fussballsports“ widmete sich der Absolvent dem Praxisteil als Herzstück der Arbeit – der „Bauanleitung für den Modellbau des Kieler Holstein-Stadions“.
Natürlich hätte der Holstein-Fan vieles aus dem Gedächtnis gestalten können, doch der Bastler, der sein Hobby später zum Beruf machen sollte, ging professionell an das Thema heran. Er besorgte sich die Baupläne des Stadions vom Architekten des Umbaus in den 50er Jahren, „Addi Hoff“, der damals sein Büro in der Holstenstraße hatte. Während Jänicke für seinen Nachbau den Maßstab 1:250 wählte, waren die Originalpläne teilweise in unterschiedlichen, größeren Abmessungen angefertigt worden. So lag der Maßstab der Tribüne zum Beispiel bei 1:100, derjenige des Platzes allerdings bei 1:500. Ein wenig Rechenarbeit war für einen erfolgreichen Abschluss letztlich also doch unumgänglich.
Entdeckung nach Jahrzehnten
Nachdem der Absolvent seinen Schulabschluss in der Tasche hatte, zog Jänicke für das Architekturstudium nach Berlin. Jahre vergingen und das einst unter großen Mühen angefertigte, detailverliebte Modell des Holstein-Stadions geriet in Vergessenheit. Sein Herzensverein spielte natürlich weiterhin eine große Rolle in seinem Leben:
„Wo auch immer ich auf der Welt war, ich hatte immer eine starke Verbindung zu Holstein“,
sagt der leidenschaftliche Weltenbummler mit einem Faible für die USA. Erst 1996 entdeckte Jänicke seine einstige Praxisarbeit aus Schulzeiten bei Aufräumarbeiten auf dem Dachboden seines Elternhauses wieder. Etwas verstaubt und nicht mehr ganz vollständig hatte er es wiedergefunden, voller Enthusiasmus machte sich der ambitionierte Bastler jedoch ans Restaurieren. Allerdings dachte der mittlerweile erfahrene Architekt Jänicke beim Wiederaufbau an eine stabilere Konstruktion als der 17-jährige Schüler Klaus. Während Tore und Netze damals aus Streichhölzern und Gardinenfetzen der Mutter bestanden, verwendete der Bastler im zweiten Anlauf Drähte und ließ diese in die Holzplatte des Modells ein. „Das ist ein unglaublicher Tüddelkram“, sagt Jänicke heute und holt sich gelegentlich Hilfe bei einem befreundeten Zahntechniker, der die technischen Mittel hat, um dem Tüftler mit seinem Gewerk zu Hilfe zu gehen.
Schneiden, biegen, bohren und kleben...
...das alles gehört zu den alltäglichen Herausforderungen des Rentners. Den Zeichenblock und Bleistift aus aktiven Berufsjahren hat Jänicke gegen Pinzette, Zahnbürste, UHU-Kleber und Wattestäbchen getauscht, die bei dem Wiederaufbau des Stadion-Modells zum Einsatz kommen. Seine Materialien der Größe „H0“ bezieht der 74-Jährige aus dem Eisenbahnmodellbau. Viele Teile seien sehr gut für sein Holstein-Modell geeignet. Wieso der Pensionär noch immer für seine alte Liebe, die KSV Holstein von 1900 brennt? „Wenn man einen Verein in seiner Kindheit kennen und lieben lernt, dann bleibt man dabei“, sagt Jänicke. Eigentlich wollte er bereits zum Aufstieg in die zweite Liga mit dem Modell fertig sein und dies der KSV feierlich übergeben. Das hat leider nicht geklappt. Da es sich die Holstein-Elf momentan nach einem erfolgreichen Start in die Saison auf einem oberen Rang der Tabelle der 2. Bundesliga bequem gemacht hat, stehen die Chancen zum Aufstieg ins Oberhaus des deutschen Fußballs zumindest nicht schlecht. Dann würde Jänicke gern spätestens mit seinem Projekt abgeschlossen und der KSV mit seinem Lebenswerk ein besonderes Geschenk machen. Ob dieser Traum 2021 in Erfüllung geht, steht wohl weder in den Plänen des Vereins, noch in jenen der Stadt geschrieben, sondern wohl eher in den Sternen.