Er meldete der Landeshauptstadt Kiel bereits rund 1.600 Verkehrswidrigkeiten im Straßenverkehr. Nicht selten gerät Christian (Name geändert) durch seine Tätigkeit als "Anzeigenhauptmeister" von Kiel mit den Delinquenten aneinander. Dabei sind seine Motive ehrenwerter Natur.
Der selbst ernannte „Anzeigenhauptmeister" Niclas Matthei zeigt Autofahrerinnen und Autofahrer wegen Verkehrswidrigkeiten im Straßenverkehr an und gelang durch eine SPIEGEL Reportage zu überregionaler Bekanntheit. Auch in Kiel gingen 2023 gingen rund 3.000 Anzeigen von Privatpersonen ein – 369 davon übermittelte Christian (Name geändert) über die Plattform weg.li. Was ihn zu seiner ehrenamtlichen Tätigkeit für die Landeshauptstadt bewegt und wo er häufig kontrolliert, erklärt er uns im Interview.
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An einem Mittwochvormittag hat Christian im Kieler Königsweg "alle Hände vor zu tun". Er knipst Bilder von gleich mehreren ordnungswidrig parkenden Fahrzeugen. "Was ist denn hier heute los?", fragt er sich und wundert sich zugleich über das aus seiner Sicht rücksichtlose Verhalten der Autofahrerinnen und Autofahrer. Später wird er die Fotos auf die Plattform weg.li hochladen und das Vergehen anzeigen. Im Anschluss erhalten die Fahrzeughalter Post mit der Bitte um Zahlungsaufforderung. Christian ist einer von vielen privaten Ordnungshütern in Kiel, welche die Arbeit der offiziell Angestellten in der Landeshauptstadt unterstützen. Aber wieso eigentlich?
KIELerleben: Christian, was steckt hinter der Motivation, dich so intensiv um das Anzeigen von Fehlverhalten (von Autofahrern) im Straßenverkehr zu kümmern?
Fußgänger*innen und Radfahrer*innen werden im öffentlichen Raum extrem wenig Platz eingeräumt. Viele Leute, vor allem Rentner*innen und Eltern mit kleinen Kindern, fahren nicht gerne Rad, weil Ihnen die Infrastruktur kein sicheres Gefühl gibt. Dabei ist Radfahren oder zu Fuß gehen ja nicht per se gefährlich. Das was es gefährlich macht sind Autos.
Zum Beispiel, wenn ein Auto auf dem Radweg parkt und man gezwungen ist auf die Straße in den Autoverkehr auszuweichen oder, wenn ein Auto so parkt, dass ein Fußgängerüberweg nur schwer einsehbar ist. Sowas führt immer wieder zu schweren oder sogar tödlichen Unfällen. Deswegen habe ich irgendwann angefangen dieses rücksichtslose Verhalten zu melden in der Hoffnung langfristig meinen Teil zu sicheren und freien Wegen für alle, auch wenn man nicht im Auto sitzt, beitragen zu können.
Und wie lange machst du das schon?
Christian: Ich mache das jetzt ca. vier Jahre. Damals hatte ich mich auf meinen täglichen Wegen schon häufiger über Falschparker geärgert, aber es hat gedauert, bis ich mich überwunden und meine erste Anzeige abgeschickt habe.
Meine Motivation ist wohl eine Mischung aus persönlicher Betroffenheit, Unrechtsempfinden und der Glaube daran, die Situation verbessern zu können.
Wie ist das Prozedere – von der Beobachtung einer Verkehrs- und/oder Ordnungswidrigkeit bis zur Anzeige?
Wenn ich auf einen Falschparker treffe, mache ich vor Ort nur Fotos von dem Vergehen. Später lade ich die Fotos auf die Website hoch, die viele der für die Anzeige nötigten Infos, wie Kennzeichen, Autofarbe und Hersteller oder Zeitpunkt und Ort des Vergehens aus den Bildern ausliest. Nachdem ich fehlende Daten ergänzt habe, schickt die Website alle Informationen zusammen mit den Bildern an die Bußgeldstelle. So brauche ich nur etwa eine Minute vom Foto bis zu fertigen Anzeige.
Wie viele Anzeigen hast du schon bei der LH Kiel gemeldet?
Ungefähr 1600.
Wie reagieren Autorfahrerinnen und Autofahrer, die du auf frischer Tat ertappst?
Es gab schon Situationen in denen ich von Autofahrern festgehalten, bedroht oder verfolgt worden bin und die Polizei rufen musste. Einmal wurden mir 20 Euro angeboten, damit ich meine Fotos lösche. Ein anderer Falschparker war Anwalt und hat bei der Bußgeldstelle Akteneinsicht verlangt, um meine Kontaktdaten herauszubekommen. Er rief mich dann an und wollte diskutieren.
Seitdem gebe ich bei den Anzeigen nur noch so wenig persönliche Daten wie nötig und die Adresse meines Arbeitgebers statt meiner Privatadresse an, um so anonym wie möglich zu bleiben. Früher habe ich häufiger das Gespräch mit den Falschparker*innen gesucht, aber in der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass das selten Sinn ergibt. Die meisten reagieren aggressiv und wenig einsichtig. Deswegen mache ich jetzt nur noch Fotos und fahre dann weiter.
Parkverhalten ändert sich an Kieler Hot Spots
Welche Resonanz erfährst du von der Öffentlichkeit und den Behörden auf deine Arbeit?
Von den Behörden bekommt man in der Regel auf seine Anzeigen keine Rückmeldung. Ich weiß aber, dass die Bußgeldstelle in Kiel den Privatanzeigen nachgeht. Zum Beispiel durch den Anwalt, der mich angerufen hat. Es ist an Hot Spots auch zu beobachten, dass sich das Parkverhalten angezeigter Autofahrer ändert oder bauliche Maßnahmen wie zusätzliche Begrenzungspfeiler durch die Stadt ergriffen werden.
Gibt es Straßen/Orte in Kiel, an denen du besonders häufig Verkehrswidrigkeiten zur Anzeige bringst?
Ich mache das nebenbei auf meinen täglichen Wegen durch die Kieler Innenstadt. Ich fahre keine Patrouille oder mache irgendwelche Umwege nur um Falschparker zu erwischen. Von daher naturgemäß am meisten auf meinem Weg zur Arbeit oder in der Nähe meines Wohnortes.
Anzeigen im Kieler Stadtgebiet von Privatpersonen
2023 gingen rund 3.000 Anzeigen von Privatpersonen ein. Davon waren rund 2.500 Anzeigen qualifiziert, um sie weiterzuverfolgen.
Auf eine Privatanzeige kommen ca. 50 Anzeigen durch Mitarbeitende des Ordnungsamts.
„Als Ordnungsbehörde verfolgen wir die Anzeigen nach pflichtgemäßem Ermessen. In der Landeshauptstadt Kiel steht aber die Wahrnehmung dieser Aufgabe durch die Kolleg*innen des Ordnungsamtes entsprechend des aktuell vorgestellten Konzepts zur Überwachung des ruhenden Verkehrs im Vordergrund. Hier wird entsprechend einheitlicher Maßstäbe und unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen der wichtige Beitrag zur Verkehrssicherheit in der Landeshauptstadt erbracht."
Quelle: Landeshauptstadt Kiel
ÜBRIGENS: Am Samstag, den 13. Juli ist Anzeigenhauptmeister Niclas Matthei als Gast im Kieler MAX Nachttheater geladen, um seine Knöllchen an die Feiernden zu verteilen.