Mit seiner Gastro-Preisbörse sagt Stefan Koch der Lebensmittelverschwendung den Kampf an und fordert die Politik zum Umdenken auf.
KIELerleben: Herr Koch, was ist die Gastro-Preisbörse?
Stefan Koch: Sie ist eine Art Schnittstelle zwischen Unternehmen, die ihre überschüssigen Lebensmittel zum Verkauf anbieten und den Endverbraucher*innen, welche sie verwerten und womöglich dringend brauchen können. Ein Beispiel: Ich kaufe Lebensmittel von Großhändlern zu einem Zehntel des Preises an und bringe sie mit ein wenig Gewinn zurück in den Kreislauf, wo sie gebraucht werden.
Ware, die aber noch genießbar ist?
Richtig. Die Lebensmittel sind zum überwiegenden Teil noch völlig in Ordnung. Es werden leider eine ganze Menge Waren produziert, die nicht verkauft werden. Auf der anderen Seite gibt es Produkte, die nicht den Verkaufsstandards entsprechen. Dies sind zum Beispiel Butterkuchenstücke, die nicht ausreichend mit Mandelblättern versehen sind und so automatisch aussortiert werden. Nach EU-Richtlinien müssen gewisse Lebensmittel einen Standard erfüllen. Bringt beispielsweise die Frikadelle nicht die gewünschten 80 Gramm auf die Waage, sondern nur 78, landet sie auf dem Müll. Andere Geräte messen die Farbgebung einer Tomate. Entspricht diese nicht der Norm, darf sie nicht verkauft werden.
Das ist ein Missstand, der nicht sein darf.
„Mit den Lebensmitteln, die jährlich in Europa auf dem Müll landen, könnte der Welthunger zwei Mal gestillt werden.“
Haben Sie deshalb die Gastro-Preisbörse ins Leben gerufen?
Ich habe als gelernter Fleischermeister bereits in sehr vielen großen Küchen gearbeitet und habe mich über die immensen Mengen weggeworfener Lebensmittel geärgert. Daraufhin habe ich mich intensiv mit den Zusammenhängen der Lebensmittelverschwendung beschäftigt und festgestellt, dass das größte Problem die Industrie darstellt. Diese darf in Kürze ablaufende Artikel nicht mehr in Umlauf bzw. an Endverbraucher*innen bringen und schmeißt sie somit weg. So entstehen jährlich 15 Millionen Tonnen weggeworfene Lebensmittel in Deutschland, die zum Teil noch genießbar sind.
Ziemlicher Irrsinn oder?
Irrsinnig ist die Massenproduktion an Fisch, Fleisch und anderen „Luxusartikeln“, mit denen die Verbraucher*innen zu sorglos umgehen sowie die Kategorien, nach denen die Lebensmittel für „verkaufsgeeignet“ eingestuft werden. Andererseits ist es so, dass die Produktion der Lebensmittel auch Arbeitsplätze sichert. Würde Gemüse, Obst, Brot, Weizen und Co. nur in dem Maße produziert werden, hätten Millionen Menschen von heute auf morgen keinen Job mehr. Es ist ein zweischneidiges Schwert.
Das klingt enorm viel.
Das ist es auch! Das entspricht eine Menge von 500.000 Lastwagenladungen, die hintereinander aufgereiht eine Schlange von Berlin bis Peking bilden würde.
„In normalen Zeiten fahren wir die Ware im Kühlauto zu den Kunden wie Altenheime – das geht momentan natürlich nicht.“
Wie agiert die Gastro-Preisbörse konkret dagegen?
Wir reden mit Industriebetrieben, die fehl- und überproduzieren und am Ende die Lebensmittel nicht entsorgen wollen. Es geht um große Unternehmen, die davon profitieren. Ein Caterer in Berlin kauft beispielsweise die um über 80 Prozent günstigere Ware bei mir und spart so einen enormen Teil ein – und das für völlig intakte Ware. Da ziehen aber bislang nur die wenigsten mit. Viele sagen, dass sie keine Lebensmittel zu Dumping-Preisen anbieten wollen. Ein anderer Fall: Ein Kreuzfahrtschiff ist Anfang des Jahres in Lissabon mit deutscher Ware beliefert worden. Dabei konnte die Kühlkette nicht eingehalten werden, worauf die Reederei die Ware nicht annahm. Ein sogenannter Havarie-Kommissar prüft die Ware auf Verkehrsfähigkeit und bietet sie auf dem Markt an – da haben wir zugeschlagen für einen Einkaufswert von 10 Prozent des Originalpreises.
So ein Netzwerk von Kooperationspartner*innen entsteht sicher nicht von heute auf morgen.
Absolut richtig! Ich habe dieses Netzwerk aus Unternehmen, Großhändlern und Gastronomen über fünf Jahre lang aufgebaut und zehre natürlich heute von den Kontakten. Denn Industriebetriebe müssen das Vertrauen haben, damit sie dir die Ware anbieten. Es gibt hingegen auch Spielregeln, an die sich jeder zu halten hat. Die aussortierte Ware bekommt ein neues Etikett und eine neue Verpackung – sie wird neutralisiert.
Dabei geht es der Börse nicht nur um den Gewinn, richtig?
Ich denke zwar betriebswirtschaftlich, sehe aber den enormen Überschuss an Lebensmitteln, der an anderen Stellen der Erde fehlt. Wir unterstützen verschiedene soziale Projekte in Deutschland. Und adoptieren Kinder in der Dritten Welt mit einem monatlichen Betrag über Plan, eine Organisation für Kinderpatenschaften in der Dritten Welt.