Christian Kuhtz wertet ausrangierte Gegenstände wieder auf und verleiht ihnen einen neuen Zweck. Einige seiner Tüfteleien haben längst Einzug in den Alltag der Menschen erhalten – am anderen Ende der Welt. Und das kam so:
„Es funktioniert! Vielen Dank für deine Inspiration“ oder „Deine Konstruktionen sind hier nicht mehr wegzudenken“, steht in den Briefen, die hin und wieder aus den entlegensten Gegenden der Welt ins Haus von Christian Kuhtz flattern. Einige waren dabei Wochen, andere sogar Monate unterwegs bis sie der Kieler Erfinder zu lesen bekam. Sie stammen aus dem Senegal, Tansania, Sambia, Mittel- und Südamerika oder Indien. Hier kommen die Kuhtz’schen Erfindungen zum Einsatz, die der Kieler seit 40 Jahren in seinen Bauanleitungen „Einfälle statt Abfälle“ in akribischer Arbeit verschriftlicht und veröffentlicht. Sie reichen von einem stromerzeugenden Windrad über eine pendelbetriebene Wasserpumpe, bis zu einem aus Fahrradteilen und einer Schubkarrenwanne zusammengeschraubten Lastrad.
Start der Kuhtz’schen „Life Hacks“
Schon als Kind war Christian Kuhtz von der Idee fasziniert, vermeintlich wertlose Gegenstände zu restaurieren und ihnen eine neue Verwendung zu geben. Als Heranwachsender in einer Zeit, in der das Fahrrad den Status eines Wertgegenstands besaß und weniger als Wegwerfartikel verstanden wurde, wie es für den Kieler Recycling-Pionier heute beobachtet, sammelte Kuhtz vor allem Materialien von der nahegelegenen Müllkippe in Klein Niendorf bei Bad Segeberg. Mit einem Kinderrad für Mädchen fuhr der minderjährige Hobby-Bastler ab 1967 zu der „Schietkuhle“, um weggeworfene Gerätschaften und Materialien zu sammeln und für neue Bauprojekte einzusetzen. Das 24er-Mädchenfahrrad funktionierte Kuhtz dabei aufgrund des fehlenden Sattels so um, weil es ihm noch zu hoch war, so um, dass er darauf sitzen konnte: ein Holzbrett verschraubte er dabei so auf der Verlängerung der Eisenstange des Rahmens zwischen ehemaligem Sitz und Lenker, dass er auf dem Holzbrett saß und strampelte – einer der ersten Kuhtz’schen „Life Hacks“ war geglückt.
40 Jahre „Einfälle statt Abfälle“
Ein Fahrradunfall seines Bruders führte vier Jahre später dazu, dass eines der damals noch seltenen Tandems auf deutschen Straßen fuhr, nachdem es die „Werkstatt“ des Jung-Mechanikers verließ. Weil das Fahrrad des Bruders irreparabel bei dem Unfall zerstört wurde und das vordere Ende des Zweirades nicht mehr zu retten war, weckte dies den kreativen Erfindergeist von Christian Kuhtz. Auf der umliegenden Müllkippe hatte er sich bereits ein weiteres Fahrradwrack mit noch brauchbarem vorderen Ende gesichert. Frei nach dem Motto „Man muss nicht alles besitzen, sondern nur jemanden kennen, der weiterhilft“, handelte Kuhtz auch in der Folge: ein Segeberger Fahrradmechaniker war begeistert von der Bastel-Idee und schweißte die beiden Enden nach Feierabend zusammen. Fertig war das erste Buddy-Bike in Eigenregie. „Damals staunten die Leute nicht schlecht auf der Straße, als sie das Tandem sahen – eine absolute Rarität“, sagt Christian Kuhtz heute.
Seit 1979 hält der Kieler Erfinder seine Ideen schriftlich in seinen Bauanleitungen fest, seit 1981 unter dem Titel „Einfälle statt Abfälle. Von Solarstrom in 12-Volt-Anlagen erzeugen, „Wir bauen ein Lehm-Fachwerkhaus“ oder „Windkraft – ganz einfach“ – in „Einfälle statt Abfälle“ erscheinen seine wunderbaren Ideen, die zu weniger Müllproduktion anregen und die Nutzbarmachung der Naturgesetze in einem stärkeren Maße empfehlen.
Unverhofft kommt oft
Hin und wieder gerieten die Niederschriften und penibel ausgeführten Aufzeichnungen des Kielers aus der letzten 40 Jahren offensichtlich in die Hände Reisender, die „Einfälle statt Abfälle“ als Grundlage für die gesellschaftliche Entwicklung in anderen Teilen der Welt erachteten. Sie nutzten die Ideen und Anleitungen entweder selbst oder übersetzten sie so, dass sie fremdsprachige Bevölkerungsgruppen verstehen und anwenden konnten. Wenn ihn nicht die Zuschriften dieser Reisenden aus aller Herrenländer erreichen würden, wüsste Christian Kuhtz heute vermutlich nicht, dass seine Konstruktion des Lastrades in Indien besonders häufig praktische Anwendung findet.
Gelegentlich erreiche ihn außerdem Anfragen von Buchautoren wie jene von Juergen Ghebrezgiabiher und Eric Poscher-Mika, die in „CarGo BikeBoom“ die bunte und wachsende Cargobike-Bewegung zusammentrugen. Sie hatten für ihr Sammelwerk mit Ian Grayson „The Amazing Bycycle Wheel Barrow“ gearbeitet, in welchem die Kuhtz’sche Lastrad-Konstruktion in Nicaragua verortet werden konnte.
In „Sailing for Future“ trugen Corentin de Chatelperron und Nina Fasciaux ihre Erfahrungen aus der Reise durch elf Länder auf vier Kontinenten zusammen, in denen sie auf lokale Umweltprobleme aufmerksam wurden und originelle und nachhaltige Lösungsansätze erprobten. Im stießen sie so auf das Druckermotor-Windrad. Grundlage sind auch hier die Niederschriften von Christian Kuhtz. Auf insgesamt sieben Seiten widmen sich die Autorinnen der Erfindung des Kieler Kreativkopfes.
Um auch das Bewusstsein in der Landeshauptstadt weiterhin für nachhaltige Erfindungen zu stärken, veranstaltet Kuhtz bereits seit einigen Jahren unterschiedliche Workshops, wie zu Zeiten vor Corona in der Alten MU. Das artefact - Bildungszentrum für nachhaltige Entwicklung oder die Evangelische Landeskirche waren weitere Auftraggeber*innen, welche den Kieler Erfinder einluden, um das Fahrrad als Kraftmaschine nutzbar zu machen, wie für das Mahlen von Getreide oder um Wäsche zu waschen. Bis der Tüftler seine Ideen wieder in Präsenz-Workshops in die Welt tragen darf, arbeitet er an seiner Jubiläumsausgabe von Einfälle statt Abfälle und bekommt vielleicht bald die nächsten Zuschriften aus fernen Ländern, in denen zu lesen ist, wie weniger wohlstandsverwöhnte Gesellschaften von den Kuhtz’schen Erfindungen profitieren.
Alle 20 Hefte der Reihe „Einfälle statt Abfälle“ bekommt ihr im Buchladen ZAPATA am Wilhelmplatz 6, 24116 Kiel.