Eigentlich sollte „die Hansa“ bereits 1981 abgerissen werden. Genau 40 Jahre später erinnert die Chronik des Kulturzentrums an ihre bewegenden Geschichten.
Sie ist Veranstaltungsort, Kulturzentrum und Zuhause gleichermaßen. Auf dem Grundstück in der Hansastraße 48 tummeln sich die Fahrradselbsthilfe, der Kinderladen, die Druckerei, die Kneipe Sponti Hansa und der Infoladen – und das seit genau 40 Jahren. Für viele Menschen ist „die Hansa“ wohl außerdem nicht nur Heimat, sondern auch Zufluchtsort und Begegnungsstätte zugleich. Sie ist ein Kommunikationszentrum, welches Anfang der 80er Jahre im Zusammenhang der Besetzerbewegung von einer Gruppe Kieler*innen zunächst vereinahmt und in der Folge mit Leben gefüllt wurde. Im ihrer Chronik „Hansa 48 seit 1981. Aus den ersten 40 Jahren“ haben sich nun Hansjörg Buss und Andreas Langmaack der Entstehungsgeschichte der Kieler Instanz gewidmet. Am kommenden Samstag, den 27. März – auf den Tag genau 40 Jahre nach der Erstbesetzung – präsentieren die beiden Autoren ihr Werk der Öffentlichkeit.
Im Zeitraffer-Tempo gearbeitet
Als sich der gemeinnützige Verein im November 2019 traf, um die Inhalte und das Programm für das anstehende Jubiläum 2021 zu besprechen, war nur die Rede von einer Veranstaltung zur Ehren des Kulturzentrums. Jan-Hinnerk Wittmershaus, Verantwortlicher des Kulturbüros der Hansa überlegte sich gemeinsam mit Charlotte Spieler, Mitglied des Vereins, eine Chronik für das runde Jubiläum anfertigen zu lassen. Sie gaben den Impuls für das 290 Seiten umfassende Werk, das nur 16 Monate später erscheinen sollte. „Uns war wichtig, dass sich jemand mit der Chronik befasst, der einen gewissen Blick für das gesamte Projekt hat“, sagt Charlotte Spieler, die das Grundstück seit 1985 bewohnt. Sie schrieben das Buchprojekt öffentlich aus und erhielten insgesamt sechs Bewerbungen von möglichen Autor*innen. Die Wahl fiel schließlich auf die Historiker Dr. Hansjörg Butt und Andreas Langmaack. „Sie bringen einerseits den beruflichen Hintergrund mit und haben andererseits persönlichen Bezug zur Hansa 48, der für uns von vorn herein für dieses Projekt im Vordergrund stand“, sagt Wittmershaus.
Unmengen an Material gesichtet
Langmaack, der bereits 2014 seine Magisterarbeit an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel zum Thema Hausbesetzerkultur im Zusammenhang der Geschehnisse in der Hansastraße verfasste, erwies sich als Glücksfall für die Entstehung der Chronik. Neben dem Quellenstudium führten die beiden Historiker viele Gespräche mit ehemaligen und aktuellen Bewohner*innen. „Viele Geschichten rund um die Hansa48 haben es in die Chronik geschafft – jedoch nicht alle. Einige haben lediglich eine kurze Erwähnung gefunden, andere konnten und mussten wir ausführlicher darstellen“, sagt Langmaack, der sich vor allem über eine gut sortiertes Archiv der Hansa freuen durfte. „Das Material war sehr gut sortiert und archiviert. Das macht die Arbeit einfacher.“ Neben dem Privatarchiv des Vereins arbeiteten die Historiker mit den Quellen aus dem Archiv der sozialen Bewegung in der Schweffelstraße – und wurden fündig.
„Die Geschichte der Hansa48 ist nicht als singuläres Ereignis, sondern als ein Ergebnis einer Epoche zu verstehen.“
Sie erzählen die Geschichte der Hansa seit ihren Anfängen, als die Wankendorfer Baugenossenschaft das Objekt gekauft hatte und die Gebäude abreißen wollte, um dort Wohnungen zu bauen. Von Anfang an sorgten die Besetzer*innen dafür, dass die Öffentlichkeit informiert und einbezogen wurde. Es wurden viele kulturelle und politische Veranstaltungen angeboten, Kino, Musik, Lesungen und Bewirtung. Es gab eine Druckerei, eine Fahrrad- und eine Autoselbsthilfewerkstatt. Der Kontakt zur Nachbarschaft wurde gesucht. Charlotte Spieler lebt in ihrer Wohnung auf dem Gelände der Hansa bereits seit 1985. „Ich finde es toll, die Möglichkeit zu haben, sich hier zu entfalten“, sagt die ehemalige Rechtsanwältin in Pension. „Es ist für mich ein Lebensmodell, dass in Kontrast zur öden Juristenlandschaft steht.“ Es sind Stimmen, wie ihre, die Buss und Langmaack in ihrer Chronik Gehör verschaffen. Es geht ihnen um Einblicke in eine Kieler Kulturinstanz, die ohne den Aktivismus der 80er Jahre heute nicht mehr existieren würde.
„Wenn das Material Lückenhaft war, war Charlotte sehr hilfreich, welche seit den Anfängen der Hansa als Wohn- und Kulturzentrum alles erlebt hat.“
Charlotte Spieler ist darüber hinaus Sprecherin für das Bündnis für bezahlbaren Wohnraum. Für eine Besetzung würden ihr aus heutiger Sicht bereits einige Gebäude einfallen. Sie würde jedoch aufgrund des fehlenden Netzwerkes scheitern. „Eine Besetzerbewegung wie in den 80er Jahren gibt es heute ja gar nicht“, sagt die langjährige Bewohnerin der Hansa. Das läge auch und vor allem daran, dass Besetzungen schon innerhalb kürzester Zeit durch die Polizei aufgelöst würden. „Damals schauten sich die Beamten die Szenerie an, winkten ab und fuhren in ihren Autos wieder davon“, sagt sie. Das funktioniere heute so nicht mehr.
Am Samstag, den 27. März findet ab 19.30 Uhr die feierliche Präsentation der Chronik „Hansa 48 seit 1981. Aus den ersten 40 Jahren“ statt. Es wird eine gestreamte Buchpräsentation geben, bei der die Moderatorin Siri Keil (u.a. NDR Nachtclub) das Buch mit den beiden Autoren Hansjörg Buss und Andreas Langmaack sowie weiteren am Buch beteiligten Gästen vorstellen und diskutieren wird. Hier gelangt ihr zur Veranstaltung.
Übrigens erhebt die Chronik keinen Anspruch auf Vollständigkeit, weshalb jeder gern dazu eingeladen ist, einen Folgeband in den kommenden Jahren zu verwirklichen. Vielleicht feiern wir dann 50 Jahre Hansa ebenfalls mit einer umfangreichen schriftlichen Chronik seit ihren Anfänge inklusiver Interviews und noch mehr Hintergrundgeschichten.