Mit nicht enden wollendem Applaus honorierte am Samstagabend das Publikum die Premiere von „Cabaret“ im Kieler Schauspielhaus. Eindrucksvoll stellte das Ensemble erneut seine Vielseitigkeit unter Beweis.
Von den großen Klassikern bis hin zum Gegenwartstheater – das Schauspiel Kiel bietet dem Publikum stets abwechslungsreiche Unterhaltung auf hohem Niveau. So auch in der Spielzeit 2011/2012, die für jeden Geschmack etwas bereithält. Für alle Musical-Fans startete am Samstag „Cabaret“, ein Broadway-Stück aus dem Jahr 1966.
Bereits im Foyer des Schauspielhauses tauchen die Zuschauer in die Glanz- und Glamourwelt der „Goldenen Zwanziger“ ein: Zwei Revuegirls in knappen schwarzen Outfits bieten ihre Waren – von Programmheften bis Süßigkeiten – in Bauchläden feil. Im Zuschauerraum sorgen Discokugel und Jazzmusik für Nachtclub-Atmosphäre, das Wort „Cabaret“ prangt in riesigen leuchtenden Buchstaben auf der Bühne. Beeindruckend: Über der Bühne „thront“ auf einer zweiten Ebene eine siebenköpfige Live-Band. Vor der Bühne sind mehrere kleine, runde Tische aufgebaut – ganz im Stile eines Varietés. Leicht bekleidete Kellner schenken Sekt aus. Alles wartet gespannt auf die erste Darbietung, bis das Stück von dem berühmten Song „Willkommen, Bienvenue, Welcome“ eröffnet wird.
Die Handlung
Clifford Bradshaw (Rudi Hindenburg), ein junger amerikanischer Schriftsteller, reist von Paris nach Berlin. Dort hofft er, endlich ein Thema für seinen neuen Roman zu finden. Im Zugabteil lernt er Ernst Ludwig (Marko Gebbert) kennen, der für die NSDAP mit Hilfe gutgläubiger Ausländer Devisen nach Deutschland schmuggelt. Von diesem bekommt Clifford die Empfehlung, sich bei der sittenstrengen Zimmerwirtin Fräulein Schneider (Claudia Macht) einzumieten, die von dem Obsthändler Schultz (Werner Klockow) verehrt wird und mit Fräulein Kost (Eva Krautwig) bereits eine Untermieterin beherbergt, deren Lebenswandel sie mit Argusaugen beobachtet. Noch dazu bekommt er den Tipp, sich im heißesten Laden Berlins, dem Kit-Kat-Club, zu amüsieren. Seinen ersten Abend, Silvester 1929, verbringt er tatsächlich bereits in dem berühmt-berüchtigten Etablissement, wo allabendlich ein zynisch-zwielichtiger Conférencier (Imanuel Humm) die Attraktion der Show ankündigt: Miss Sally Bowles (Jennifer Böhm). Diese außergewöhnliche Engländerin verliebt sich Hals über Kopf in Clifford und die turbulent-tragischen Ereignisse nehmen ihren Lauf.
Nackte Tatsachen
Ausschweifende Partys und die verruchte Atmosphäre der Tanzlokale sind prägend für die „Roaring Twenties“. „Cabaret“ lässt das sündige Nachtleben jener Jahre überzeugend wiederauferstehen. Halbnackte, sich räkelnden Tänzerinnen in Strapsen sorgen immer wieder für ein Raunen im Publikum. Der Kit-Kat-Club ist bunt, schrill und frivol. Hier können die Besucher ihrer Vergnügungssucht frönen, sich einlullen lassen, das wahre Leben ausklammern. Der erste Teil des Stücks ist heiter, die drohende Machtergreifung der Nationalsozialisten wird nur an wenigen Stellen angedeutet. Nach der Pause dann die plötzliche Wendung: Die Gefahr durch die Nazis ist allgegenwärtig, die Komödie wendet sich zur Tragödie. Der Zuschauer wird dadurch regelrecht vor den Kopf gestoßen, wachgerüttelt, zum Nachdenken angeregt.
Schauspiel und Gesang
Einmal mehr stellt das Kieler Ensemble sein Können unter Beweis – nicht nur schauspielerisch, sondern auch gesanglich. Allen voran glänzt Imanuel Humm als Conférencier. Mit seinem clownähnlichen Aussehen – dem bleichen Gesicht, den schwarz umrahmten Augen und den roten Lippen – erinnert er an die Comicfigur „The Joker“. Auch sein Charakter scheint daran angelehnt: Stets ein teuflisches Grinsen auf den Lippen, mimt er den albernen Spaßvogel und bringt die Zuschauer ein ums andere Mal zum Lachen. Doch das ist nur Fassade. Dahinter steckt etwas sehr Gefährliches, Angsteinflößendes. Auch tänzerisch kann Imanuel Humm mit seinen Kit-Kat-Girls und -Boys, allesamt Musicaldarsteller aus Hamburg, mithalten.
Brillant ebenfalls Jennifer Böhm. Kraftvoll und leidenschaftlich der Gesang, hingebungsvoll das Schauspiel. Emotionen, die den Zuschauer einfach mitreißen. Besonders charmant ist das Zusammenspiel von Claudia Macht als Fräulein Schneider und Werner Klockow als Herr Schultz, die ein frisch verliebtes alterndes Paar geben. Dagegen verblasst die Leistung von Rudi Hindenburg. Eher langweilig und unauffällig wirkt sein Clifford Bradshaw im Vergleich zu den anderen starken Charakteren.
Fazit
Für das Kieler Schauspielensemble ist selbst ein berühmtes Musical keine Nummer zu groß. Das verdeutlichten auch die begeisterten Zugabe-Rufe des Publikums am Premierenabend. Broadway-Flair in Kiel – das muss man erlebt haben!
Termine und Tickets auf www.theater-kiel.de/schauspiel/spielzeit/cabaret/vorstellungen.htm
Fotos: Olaf Struck/struck-foto