In der zweiten Runde des DFB-Pokals gelang Holstein Kiel die Sensation: Im Elfmeterschießen bezwangen die Störche den Titelverteidiger und Champions League Sieger FC Bayern München und setzten das erste Ausrufezeichen des jungen Jahres 2021.
Bis tief in die Nacht feierten die Holstein Kiel-Fans ihre Störche und organisierten einen Autokorso zu der Spielstätte, an der sich am 13. Januar 2021 Historisches zugetragen hatte: In der zweiten Runde des DFB-Pokals traf die KSV auf den Rekordmeister und Titelverteidiger FC Bayern München und setzte sich in einem umkämpften Spiel gegen den haushohen Favoriten durch. Aus allen Richtungen strömten Kieler*innen zum Stadion, packten Feuerwerks-Restbestände aus 2019 ein und tauchten den Nachthimmel über dem Holstein-Stadion in dichten Nebel.
Immer daran geglaubt
„Am Ende des Tages ist ein Elfmeterschießen immer Glücksache, aber die sechs versenkten Elfmeter sprechen auch für die Klarheit der Jungs, mit der sie dieses Spiel angegangen sind“, sagte Trainer Ole Werner nach dem Spiel. Dass es eines Quäntchens Glück bedurfte, um den Triple-Sieger der vergangenen Saison in einem Spiel ein Bein zu stellen, war allen Beteiligten bereits vor dem Spiel klar.
Akribisch bereitete Werner seine Mannschaft dennoch auf das anstehende Pflichtspiel gegen den Rekordmeister vor, schaute ganz genau auf die Defensivschwächen der Münchener, die Borussia Mönchengladbach im letzten Bundesligaspiel zutage gefördert hatte und stellte seine Hintermannschaft auf die Angriffe von Serge Gnabry, Leroy Sané, Robert Lewandowsky und Co ein. Letzterer – jüngst zum offiziell besten Fußballer der Welt gekürt – nahm zunächst jedoch auf der Reservebank Platz. Genau wie der polnische Nationalspieler gehörten Größen wie Jerome Boateng, Benjamin und David Alaba zu den Ergänzungsspielern, die Bayern-Trainer Hansi Flick an diesem Abend wegen der hohen Spielbelastungen der vergangenen Wochen schonte.
Champions-League-Sieger-Besieger
Die Kieler starteten aus der gewohnten stabilen Abwehr heraus in die Partie, ließen wenig vor dem eigenen Kasten zu. Der FC Bayern begann erwartet dominant und wurde seiner Favoritenrolle in der Anfangsphase gerecht. Die erste Torannäherung verbuchten die Gastgeber nach neun Minuten durch Joshua Kimmich, dessen Distanzschuss knapp am Tor vorbei ging. Kurz darauf setzte es die erste kalte Dusche: KSV-Keeper Ioannis Gelios parierte den Kopfball von Thomas Müller nicht entscheidend genug, sodass der heranstürmende Serge Gnabry das Leder nur noch in das leere Tor einschieben musste (14.). Besonders bitter: Gnabry stand beim Kopfball vom Müller in der passiven, wenn auch deutlichen Abseitsposition, weshalb das Gegentor nicht hätte gewertet werden dürfen. Weil der Video Assistant Referee (VAR) in der zweiten Runde des DFB-Pokals jedoch nicht zum Einsatz kam, konnte die Fehlentscheidung des Schiedsrichters nicht zurückgenommen werden.
„Wir haben gut auf die Gegentore reagiert und sind ruhig geblieben“,
sagte Ole Werner über das Abseitstor (Gnabry) und den Wahnsinns-Freistoß von Leroy Sané.
Doch das Gegentor brachte die nach spielerischen Lösungen suchenden Kieler nicht aus dem Konzept – im Gegenteil: Sie schienen fortan mutiger. Die Kieler glichen mit dem ersten echten Torschuss aus: Jannik Dehms langen Ball verfehlten Niklas Süle und Jae-Sung Lee, wodurch die Kugel bei Fin Bartels landete, der frei aufs FCB-Tor zuging und eiskalt vorbei an FCB-Torwart Manuel Neuer ins linke untere Eck vollendete (37.). In der zweiten Hälfte trat Leroy Sané zum Freistoß an und traf unhaltbar für Gelios aus 20 Metern in den rechten Winkel (48.). Mit dem einsetzenden Schneefall in der Schlussphase holten die Störche noch einmal alles aus sich heraus. In der Nachspielzeit der regulären 90 Minuten flankte Johannes van den Bergh den Ball von der linken Seite in den Strafraum der Bayern, wo Kapitän Hauke Wahl per Kopf/Schulter die Kugel an Manuel Neuer vorbei ins lange Eck wuchtete.
„Der Schlüssel war, dass wir von Anfang an und bis zur 93. Minuten daran geglaubt haben.“ (Ole Werner)
Folglich ging es in die Verlängerung, in der die Störche alles in die Waagschale warfen, mit Glück und Geschick das Ergebnis hielten und sogar selbst weitere Möglichkeiten erspielten. Holstein überstand die Druckphase des amtierenden Triple-Siegers und rettete sich ins Elfmeterschießen, bei dem häufig das Glück über Sieg oder Niederlagen entscheidet. Weniger mit Glück als mit Können hatten die präzise geschossenen Elfmeter der Störche zu tun, die Welttorhüter Manuel Neuer ein ums andere Mal um die Ohren und in das Netz flogen. Nachdem KSV-Keeper Ioannis Gelios grandios den sechsten Schuss von Bayerns Marc Roca hielt, war es einmal mehr der Kieler Fin Bartels, der nicht nur seine Mannschaft, sondern eine ganze Stadt in den kollektiven Freudentaumel schoss. „Ein Spiel, an das sich die Kieler*innen und alle, die mit der Stadt verbunden sind, noch Jahre erinnern werden“, sagte der Erfolgstrainer der Störche, Ole Werner. „Das passiert nur ein Mal im Leben, deshalb genießen wir den Moment.“
Ob es wirklich bei diesem einen Mal bleibt, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Denn mit dem Rückenwind aus der Pokalnacht peilen die Störche ein weiteres Ziel an, das in nicht allzu weite Ferne gerückt ist: der Aufstieg in die 1. Bundesliga. In der laufenden Saison konnte die KSV bereits mehrmals die Tabellenführung verteidigen und setzte sich zuletzt in der Spitzengruppe der Aufstiegsplätze fest.
Die Siegesschützen
Hauke Wahl
Holsteins Kapitän ist in Hamburg geboren, jedoch schon früh mit seinen Eltern in den Kreis Stormarn gezogen, wo er beim Witzhaver SV und dem TSV Trittau das Fußballspielen erlernte. Im Alter von 13 Jahren besuchte er ein Sportinternat in Schwerin und spielte für Eintracht Schwerin, ab 2010 für die A-Jugend von Dynamo Dresden. Genau wie Bartels verbrachte auch Wahl eine Zeit in der Jugendabteilung der Störche, bevor er einen Vertrag in der Ligamannschaft der KSV unterschrieb. Nach Stationen beim SC Paderborn, dem FC Ingolstadt und dem FC Heidenheim wechselte Wahl 2018 wieder zurück an die Kieler Förde, wo er sich sichtlich wohlfühlt.
Ahmet Arslan
Der offensive Mittelfeldspieler wurde 1994 in Memmingen (Bayern) geboren. 2001 zog er im Alter von 7 Jahren mit seinen Eltern berufsbedingt nach Lübeck, wo er für den 1. FC Phönix Lübeck stürmte. Von 2012 bis 2014 erzielte er in 31 Spielen für die Ligamannschaft des VfB Lübeck 18 Tore, woraufhin der Hamburger SV auf den jungen Spieler aufmerksam wurde. Zur Saison 2014/15 wechselte Arslan in die zweite Mannschaft (U23) des Hamburger SV. Dort konnte er sich auf Anhieb durchsetzen und erzielte in der Hinrunde in 16 Spielen 14 Tore. Zur Saison 2015/16 rückte er in den Profikader auf und wurde zum Kapitän der zweiten Mannschaft ernannt. Nach der Erfüllung seines Zweijahresvertrags beim VfL Osnabrück wechselte Arslan 2018 zurück in die Regionalligamannschaft der Lübecker. Seit dem Sommer 2020 hat sich Holstein die Dienste des Angreifers bis zum 30. Juni 2024 gesichert.
Janni Serra
Bereits als 10-Jähriger wechselte Serra in die Nachwuchsabteilung von Hannover 96, wo er mit Unterbrechungen durch einen Wechsel zum TSV Havelse insgesamt drei Jahre ausgebildet wurde. Mit 16 Jahren wurde er für das Nachwuchsleistungszentrum von Borussia Dortmund verpflichtet, wo er jeweils Deutscher Meister der A- und B-Junioren wurde. Nach einem kurzen Gastspiel bei den Profis des VfL Bochum wechselte er im Sommer 2018 an die Kieler Förde, wo der Stürmer in 62 Spielen 22 Tore erzielte. Zur Saison 2021/22 wird der gelernte Stürmer zum Erstligisten Arminia Bielefeld wechseln.
Jae Sung Lee
Der südkoreanische Nationalspieler wechselte im Sommer 2018 von Jeonbuk Hyundai Motors zu Holstein Kiel und schlug ein wie eine Bombe. Er erhielt einen Drei-Jahres-Vertrag bis zum 30. Juni 2021 und wurde bereits in seinem ersten Spiel für die KSV vom Magazin Kicker zum Spieler des Tages gewählt. Bislang erzielte Lee in 73 Spielen für die Störche 17 Treffer und steht Gerüchten zu Folge vor einem ablösefreien Wechsel in die Bundesliga. Wer sich die Dienste des Südkoreaners sichern wird, ist noch unklar.
Niklas Hauptmann
Der Sohn des Fußballspielers Ralf Hauptmann und Enkel von Reinhard Hauptmann begann seine Karriere bei der DJK Viktoria Frechen. Zu Beginn der Saison 2015/16 stieß Hauptmann zur Drittligamannschaft von Dynamo Dresden. Sein Pflichtspieldebüt für diese absolvierte er am 23. April 2016 beim 4:0-Heimsieg gegen den SV Wehen Wiesbaden. Im Mai 2018 bekundete der 1. FC Köln sein Interesse an dem Mittelfeldspieler, der Hauptmann für eine Ablösesumme von 3,4 Millionen Euro verpflichtete. Die Zweitligasaison 2020/21 wird Hauptmann auf Leihbasis bei Holstein Kiel verbringen.
Fin Bartels
Der 33-Jährige kehrte in diesem Sommer in seine Heimat Kiel zurück. Nachdem Bartels das Fußballspielen beim TSV Russee und Eidertal Molfsee erlernte, wechselte das junge Talent 2002 zu Holstein Kiel, wo er die Jugendmannschaften durchlief, bevor ihm 2005 der Sprung zu den Profis gelang. 2007 startete Bartels seine Rundreise durch Norddeutschland und kickte für den FC Hansa Rostock, den FC St. Pauli und den SV Werder Bremen, wo ihn ein Achillessehnenriss im Dezember 2017 gegen Borussia Dortmund insgesamt über ein Jahr außer Gefecht setzte. Zurück an der Kieler Förde denkt Bartels noch nicht ans Aufhören, sondern möchte weiterhin Erfolge mit seinem Heimatverein feiern.