Die Fotografieausstellung „Flut“ von Lis Kortmann im Anscharpark zeigt das Meer aus einer anderen Perspektive: Konstruiert aus dem Plastikmüll, der am Strand angespült wird.
Fotografische Meereslandschaften aus schleswig-holsteinischem Plastikmüll, angespült und gesammelt auf der Insel Föhr, zeigen nicht nur die Urgewalt der scheinbar endlosen Tiefe des Meeres. Sie sorgen auch für neue Blickwinkel und bieten eine Chance, den eigenen Umgang mit der Natur zu hinterfragen. Lis Kortmann möchte mit „Flut“ aber nicht mit dem Finger auf andere zeigen, sondern das Bewusstsein für neue Perspektiven und die Reflexion der menschlichen Beziehung zur Natur stärken. In einem Gespräch führt sie durch ihre Ausstellung.
KIELerleben: Wie bist du zur Fotografie gekommen?
Lis Kortmann: Mit 13 Jahren habe ich das Dunkelkammerequipment meines Foto-Opas geerbt und das war sozusagen die Infektionsphase. Seitdem habe ich gelernt, anders zu sehen und die Kamera immer dabei gehabt, um mich visuell auszudrücken. Dann habe ich den Kunst-Leistungskurs in der Schule belegt und versucht, jedes Projekt in Form von Fotografie umzusetzen. Von 1998 bis 2001 habe ich in Schottland Fotografie, Film und Fernsehen studiert und seit 2007 bin ich als freie Fotografin und Künstlerin unterwegs.
KIELerleben: Woher kam die Idee für die Ausstellung?
Lis Kortmann: Auslöser war tatsächlich der erste Lockdown. Ich komme aus dem südlichen Schleswig-Holstein und durfte nicht ans Meer. Ein Zehn-Kilometer-Radius im Kreis Segeberg führt nicht ans Wasser, dementsprechend habe ich angefangen, aus Alltagsgegenständen, die mich im Lockdown beschäftigt haben, unscharfe Meereslandschaften zu bauen. Aus Bettlaken und Putzlappen zum Beispiel. Als ich dann wieder zum Meer durfte, war es sehr offensichtlich, dass sehr viel Plastikmüll angespült worden war. Den habe ich zunächst nur eingesammelt und zu Hause habe ich dann gesehen, dass durch den Müll Meeressituationen entstanden.
KIELerleben: Wie haben andere reagiert, als du auf Föhr angefangen hast, den Müll mitzunehmen?
Lis Kortmann: Unterschiedlich. Tatsächlich musste ich mir häufiger Kommentare anhören wie: „Was soll das? Wir gucken uns lieber das Meer an, so schlimm ist das ja gar nicht!“ Es ist immer die Frage, ob man die ersten Zeichen ignorieren sollte, wobei man natürlich weiß, dass es in anderen Teilen der Welt schon schlimmer ist. Die Menschen verschließen gerne ihre Augen.
KIELerleben: Und die Reaktionen auf die Ausstellung?
Lis Kortmann: Die Besucher*innen sind teilweise wirklich erschrocken, wie wenig sie diese Katastrophe eigentlich wahrgenommen haben. Manche fühlen sich richtig ertappt, wenn sie sich durch die trügerische Schönheit der Kunst hingezogen fühlen. Aber genau damit spiele ich. Ich wollte keinen dreckigen Strand fotografieren, sondern Sichtweisen schaffen. Und wenn ich damit etwas in Bewegung setzen kann, in welcher Form auch immer, ist schon viel passiert.
KIELerleben: Wie entsteht ein Bild?
Lis Kortmann: Aufgenommen sind alle Bilder im Mikroformat, also nie größer als DIN A4. Bei manchen Motiven dient eine Plexiglasscheibe als Horizontlinie und sorgt für eine besondere Spiegelung. Belichtet sind sie entweder mit Sonnenlicht oder Studioleuchten. Der Müll wurde komplett auf Föhr gesammelt und die Fotos sind auch alle dort entstanden. Auf dem einen Motiv ist sogar noch ein Etikett mit der französischen Aufschrift „humain“ (dt. menschlich) zu erkennen. Im Ganzen stand dort mal: „Nicht für den menschlichen Verzehr geeignet“ – sehr symbolisch.
KIELerleben: Die Glitzerfolie eines Heliumballons findet sich auf einigen Stücken der Ausbildung wieder. Was ist das Besondere daran?
Lis Kortmann: Am Strand sah der Ballon vollkommen unscheinbar aus, fast wie eine Alge. Nur wenn die Sonne in einem bestimmten Winkel darauf scheint, leuchten die Glitzerpartikel. Das Spannende daran ist, dass der Ballon seine Bedeutung so sehr verändert hat. Irgendwann wurde er mal aus einem freudigen Anlass steigen gelassen und sobald er sich dann von den Menschen entfernte, wurde er zu einer Umweltkatastrophe. Und dieser Müll wurde der Natur entnommen und daraus wird jetzt wieder etwas ganz anderes. Eine wirklich interessante Transformation.
KIELerleben: Was macht das Meer für dich aus?
Lis Kortmann: Das Meer hat ganz unterschiedliche Wesen und Wirkungen. Und das möchte ich durch meine Ausstellung auch ausdrücken. Das fängt an mit dieser Naturverehrung, ausgedrückt durch goldene Bilderrahmen, das Defokussierte zeigt das Augenverschließen der Menschen und die Urgewalt kommt in der Tiefe zum Vorschein.
KIELerleben: Inwiefern kann Kunst etwas in den Köpfen bewegen, was andere Darstellungsformen nicht können?
Lis Kortmann: Reportagen und Fotos zum Thema Meeresverschmutzung gibt es schon unzählige. Davon sind wir so überschwemmt, dass wir mittlerweile richtig abgestumpft sind. Ich könnte jetzt eine Plastikflasche am Strand fotografieren und es würde traurigerweise nichts mehr bewirken. Das ist schockierend, aber wahr. Meine Fotos regen hoffentlich zum Stehenbleiben und genauem Hinsehen an.
KIELerleben: Wenn du deine Kunst in ein paar Worten zusammenfassen müsstest, welche wären es?
Lis Kortmann: Meine Kunstwerke sind bildlich gewordene Gedanken. Ich sehe etwas, ein Zeichen, das mich triggert und dann denke ich darüber nach. Und dann entstehen meine Serien.
KIELerleben: Was sollten Besucher*innen aus der Ausstellung mitnehmen?
Lis Kortmann: Das Hinterfragen und die Offenheit für andere Blickwinkel. Sie sollen ehrlich zu sich sein und sich auch bewegen lassen.
Die Ausstellung ist bis zum 12. September Freitag und Samstag von 16-19 Uhr und Sonntags von 12-18 Uhr in Haus 3 im Anscharpark zu sehen. Der Eintritt ist frei. Mehr Infos unter http://www.ocean-summit.de.