Obwohl der ganz große Traum zerplatzte, war es eine spektakuläre Saison. Wir blicken noch einmal auf die Spielzeit 2020/21 zurück.
Als sich die blau-weiß-roten Nebelschwaden vor dem Holstein-Stadion langsam verzogen, Fangesänge verstummten und sich die Menschenmasse lichtete, blieb neben leeren Bierflaschen und Feuerwerkskörpern vor allem eines zurück: die Gewissheit, dass Holstein Kiel auch in der kommenden Saison in der 2. Bundesliga auf
Torejagd gehen wird.
Die Szenerie erinnerte ein wenig an den Kater nach der Kieler Woche, wenn die Aufräum-Aktionen starten und die Truppen der Kieler Stadtreinigung durch die verlassenen Straßen ziehen, in denen sich zuvor Menschen trafen, um gemeinsam zu feiern. Mit dem Unterschied, dass es nicht das Segelevent war, welches im Mai stattgefunden hatte, waren es die Holstein-Wochen, die trotz vieler Widrigkeiten für die Mannschaft von Ole Werner erfolgversprechend begannen. Mit einem Mammut-Programm bis zum Saisonende vor der Brust wappneten sich die Störche, aus einer zweimaligen Quarantäne kommend, gegen ein Abrutschen von den oberen Tabellenrängen und für einen möglichen Aufstieg in die 1. Bundesliga.
„Holstein in der 2. Bundesliga etablieren“ – das war das selbstgesteckte Ziel des Vereins, der zur Saison 2017/18 ins Unterhaus des deutschen Profifußballs aufgestiegen war. Was danach geschah, hat wohl niemand für möglich gehalten. Bereits in der Folgesaison 2018/19 standen die Störche kurz vor dem Durchmarsch in die 1. Bundesliga, scheiterten jedoch in der Relegation gegen die Wölfe vom VfL Wolfsburg. Nun, zwei weitere Jahre und etliche Personalwechsel sowohl im Team als auch auf dem Trainerposten später, blicken wir auf eine Spielzeit zurück, in der unsere Störche Bemerkenswertes geleistet haben und welche die Landeshauptstadt Kiel ins Licht der bundesweiten Aufmerksamkeit rückte.
Immer oben auf
Verheißungsvoll begann die Saison 2020/21 für die KSV Holstein von 1900. Nach dem Auftaktsieg gegen den SC Paderborn (1:0) folgte ein Unentschieden beim BTSV Eintracht Braunschweig (0:0) sowie ein Auswärtssieg bei Fortuna Düsseldorf (2:0), die später noch ein Wörtchen beim Zieleinlauf der Saison mitreden sollten. Auch im vierten Spiel in Folge blieben die Kieler ohne Niederlagen und heimsten beim FC Würzburger Kickers einen ungefährdeten 2:0-Sieg ein – Tabellenplatz zwei war die Folge. Am 5. Spieltag kam es bereits zur Begegnung der Störche mit der SpVgg Greuther Fürth, welche im Holstein-Stadion mit 1:3 aus Sicht der Gastgeber endete. Danach folgte eine wahre Punkteserie: In acht Spielen ohne Niederlage fuhr die KSV 18 Punkte ein und festigte nach Ablauf des 13. Spieltag bereits den 1. Tabellenplatz.
Dass die KSV am Ende der Saison ebenfalls um die ersten drei Tabellenplätze spielen würde, hat weniger mit einem Wunder oder gar Glück zu tun, sondern ist das Ergebnis aus harter Arbeit, Fleiß, einem Kraftakt in mehreren Sätzen und typisch norddeutscher Akribie. Während der gesamten Spielzeit waren die Störche dabei nie schlechter platziert als der 7. Tabellenplatz. 18 ihrer 34 Spiele gewannen die Kieler und heimsten dabei insgesamt 62 Punkte im Laufe der Saison ein. Mit 26 ihrer insgesamt 57 erzielten Tore galten die Norddeutschen zwischenzeitlich als auswärtsstärkste Mannschaft der 2. Bundesliga.
Bis zum 24. Spieltag hielt die Werner-Elf sogar der Doppelbelastung aus Ligabetrieb und den Einsätzen im DFB-Pokal stand, in dem die Kieler Störche spätestens nach ihrem unglaublichen Sieg gegen den Rekordmeister und Triple-Sieger FC Bayern München, auf einer Erfolgswelle schwappten. Jedoch unterbrachen Corona-Fälle innerhalb der Mannschaft die erfolgreichen Störche. Jeweils zwei Mal war das Team in die Quarantäne verbannt worden und konnte nicht unter „normalen“ Voraussetzungen trainieren. Insgesamt vier Wochen hinderten die Mannschaft von Ole Werner daran, taktische Feinheiten einzustudieren, um sich gemeinsam auf den bevorstehenden Schlussspurt der Saison vorzubereiten. Als so gut wie niemand mit einem positiven Verlauf des kommenden Mammut-Programms rechnete, stachen die Störche als Einheit hervor und straften ihre Zweifler Lügen.
Erstes Schlüsselspiel: 31. Spieltag
Wie würden die Störche aus ihrer Quarantäne kommen? Sollten sie an der „Bremer Brücke“ – dem Stadion des VfL Osnabrück sang- und klanglos untergehen, weil ihnen die nötigen Kräfte fehlen würden? Von wegen! Im ersten Spiel nach der zweiten Quarantäne binnen weniger Wochen übernahmen die Kieler von Beginn an die Spielkontrolle, hatten deutlich mehr Ballbesitz und kamen zu ersten Chancen. Nachdem Janni Serras Kopfball noch in Philipp Kühns Armen gelandet war (3.), war der Osnabrücker Torhüter wenig später machtlos, als eine Direktabnahme des Kieler Stürmers aus elf Metern unhaltbar im rechten Eck einschlug (7.). Holstein blieb tonangebend und hatte weitere Möglichkeiten. Wenig später lag der Ball wieder im VfL-Tor: Nach einer tollen Kombination steckte Serra auf Hauptmann durch, der vor Kühn nochmal querlegte. Der Ball landete zwar im Rücken von Fabian Reese, doch Bashkim Ajdini bugsierte das Leder unfreiwillig per Hacke ins eigene Netz (23.). Mit dem Halbzeitpfiff legten die Kieler noch einmal nach, als Bartels entscheidend im Osnabrücker Aufbauspiel störte, anschließend auf Kühn zulief und den Ball per Außenrist im linken Eck unterbrachte (45.). In der zweiten Halbzeit gab der VfL nicht auf und versuchte bis zum Ende, zum Anschlusstreffer zu kommen, biss sich aber an den im Kollektiv stark verteidigenden Gästen von der Förde die Zähne aus, sodass hüben wie drüben keine weiteren Hochkaräter hinzukamen und die KSV somit einen vor allem wegen einer bärenstarken ersten Hälfte verdienten Auswärtssieg – den ersten in Osnabrück seit 2006 – einfahren konnte.
Zweites Schlüsselspiel: 32. Spieltag
Nachdem beide Seiten ein paar Minuten benötigt hatten, um sich auf dem tiefen Boden einzugrooven, entwickelte sich eine flotte Partie, in der sich St. Pauli ein leichtes optisches Übergewicht erspielte, was zu ersten Gelegenheiten führte. Nach 19 Minuten meldeten sich auch die Störche in der Offensive an, als FCSP-Torwart Dejan Stojanovic einen satten Schuss von Ahmet Arslan prallen ließ, aber noch vor der eigenen Torlinie zu fassen bekam. Wenig später lag der Ball jedoch nach einem tollen Angriff der Gastgeber im Netz der Hamburger: Alexander Mühling spielte einen Doppelpass mit Janni Serra, der in den Strafraum eindrang und vor Stojanovic nochmal querlegte, sodass Arslan nur noch einzuschieben brauchte (22.). Der Jubel war kaum verflogen, da legte die KSV prompt nach: Nach einer Ecke der Kiezkicker wurde Fin Bartels von Serra auf die Reise geschickt und schloss nach einem starken Sprint aus spitzem Winkel eiskalt ins lange Eck ab (24.). Mit der Führung im Rücken spielten die Kieler auch im zweiten Durchgang weiter nach vorne – und erhöhten tatsächlich erneut: Nachdem Mühling kurz zuvor an Stojanovic gescheitert war (64.), stellte Serra auf 4:0, als er den Abpraller von Niklas Hauptmanns Schuss aus kurzer Distanz ins FCSP-Gehäuse bugsierte (67.). So verbuchten die Hausherren einen verdienten 4:0-Erfolg, durch den sie Tabellenplatz drei festigten.
3. Schlüsselspiel: 28. Spieltag
Sensationell kämpften sich die Störche nach zweimaligem Rückstand zurück ins Spiel gegen den SSV Jahn Regensburg und drehten die Partie am Ende sogar auf einen 3:2-Heimsieg im Holstein-Stadion. Nach einem Spieltag-Marathon, bei dem die KSV teilweise drei Pflichtspiele innerhalb einer Woche absolvierten, kämpfte sich die Werner-Elf zurück auf Platz zwei der Tabelle. Chancen blieben hüben wie drüben auf tiefem Geläuf in der Anfangsphase aus – und dennoch bekamen die Regensburger die Möglichkeit zur Führung: Nachdem Fabian Reese eine Hereingabe von Oliver Hein zur Ecke geblockt hatte, meldete sich der Videoassistent, sodass Schiedsrichter Lasse Koslowski nach Ansicht der TV-Bilder auf Handelfmeter entschied. Andreas Albers trat an und hatte Glück, denn Thomas Dähne ahnte die Ecke, der Ball fand aber von der Hüfte des KSV-Torwarts den Weg ins rechte obere Eck (16.). Kurz darauf egalisierte Fin Bartels das Ergebnis nach einer Flanke von Johannes van den Bergh (20.). Nachdem Albion Vrenezi die Gäste erneut in Führung brachte (75.), glichen die Störche durch Simon Lorenz aus, der nach einer Ecke eine Kopfball-Ablage von Jae-Sung Lee aus kurzer Distanz ins Netz traf. Alexander Mühling schob daraufhin eine verunglückte Kopfballaktion der Regensburger überlegt ins untere Eck des Tore ein (83), sodass es bei drei verdienten Punkten für Holstein Kiel blieb.
Triple-Sieger-Besieger
In der zweiten Runde des DFB-Pokals gelang Holstein Kiel die Sensation: Im Elfmeterschießen bezwangen die Störche den Titelverteidiger und Champions League Sieger FC Bayern München und setzten das erste Ausrufezeichen des jungen Jahres 2021. Bis tief in die Nacht feierten die Holstein Kiel-Fans ihre Störche und organisierten einen Autokorso zu der Spielstätte, an der sich am 13. Januar 2021 Historisches zugetragen hatte: „Am Ende des Tages ist ein Elfmeterschießen immer Glücksache, aber die sechs versenkten Elfmeter sprechen auch für die Klarheit der Jungs, mit der sie dieses Spiel angegangen sind“, sagte Trainer Ole Werner nach dem Spiel. Dass es eines Quäntchens Glück bedurfte, um den Triple-Sieger der vergangenen Saison in einem Spiel ein Bein zu stellen, war allen Beteiligten bereits vor dem Spiel klar. Die Störche bezwangen in den folgenden Partien ihre Gegener, wie den SV Darmstadt 98 und Rot-Weiß Essen. So erspielte sich die KSV ihren Platz im Halbfinale des Pokals. Dort unterlag die Werner-Elf Borussia Dortmund mit 0:5. Trotz der herben Niederlage gegen den Champions-League-Aspiranten gingen die Kieler erhobenen Hauptes in die nächste Begegnung des Ligabetriebs und wappneten sich für die ausstehenden Aufgaben.
Echter Krimi in Köln
Weil die Störche ihre beiden Matchbälle im Kampf um den Aufstieg in die 1. Bundesliga zunächst liegen ließen und ihre Spiele beim Karlsruher SC sowie gegen den SV Darmstadt 98 im Holstein-Stadion verloren, ging es für die Kieler in die Relegationsspiele gegen den 1. FC Köln. Die Geißböcke waren gerade in der Anfangsphase des Hinspiels im Rhein-Energie-Stadion um Spielkontrolle bemüht, doch bekam es der Bundesligist mit engagierten Kieler Störchen zu tun, die mit einer couragierten Leistung, Herz und Verstand auf des Gegners Platz agierten und ihre beiden verspielten Matchbälle der vergangenen Partien wiedergutmachen wollten. So verbuchten sie auch den ersten Abschluss durch Finn Porath, der mit einem Schlenzer auf das Tor von Timo Horn zog. Knapp einen Meter strich der Schuss am rechten Pfosten vorbei (12.).
In einer von Taktik geprägten Partie blieben die ganz klaren Chancen zunächst Mangelware, bevor es nach einer halben Stunde erstmals brenzlig vorm Kieler Kasten wurde. In letzter Sekunde lenkte Aleksandar Ignjovski einen Schuss von Jonas Hector über das Gehäuse von Ioannis Gelios, der den Vorzug vor Thomas Dähne im Kasten der Kieler erhielt. Janni Serra bekam aus Rücklage kurz vor Schluss des ersten Durchgangs per Kopf zu wenig Druck hinter den Ball, den FC-Keeper Timo Horn sicher aus der Luft fischte (43.). Zu Beginn der 2. Halbzeit prägten vor allem kleinere Fouls und Nicklichkeiten auf beiden Seiten das Spiel, bevor Ole Werner ein goldenes Händchen bewies und Innenverteidiger Simon Lorenz für Aleksandar Ignjovski aufs Feld schickte. Genau richtig zu einem Eckstoß eilte der 1,86 Meter große Verteidiger in den Strafraum, antizipierte zunächst den langen Pfosten an, um dann in die Mitte des Strafraums zu ziehen und den Ball per Kopf ins Netz zu wuchten (59.). Mit der komfortablen Führung im Rücken lauerte Holstein auf Konter – und hätten einen um ein Haar zu einem weiteren Treffer genutzt, als Serra die punktgenaue Flanke von Fabian Reese aus vollem Lauf an den Querbalken köpfte (78.). Ein gutes Omen schien der 109. Jahrestag der 1912 errungenen deutschen Meisterschaft der Störche zu sein, die ihre knappe Führung über die Zeit retteten und sich so eine komfortable Ausgangssituation für das Rückspiel gegen die Kölner erarbeiteten.
Finale Grande
Das Rückspiel, in dem immerhin 2.334 Fans ihren Störche dabei zusahen, wie diese ihre mühsam erspielte 1:0-Führung aus dem Hinspiel zu verteidigen hatten, verlief aus Kieler Sicht weniger glücklich. Die Partie begann mit einer aberwitzigen Anfangsphase. Holstein erhielt direkt die kalte Dusche, als Jonas Hector eine Hereingabe unhaltbar für KSV-Torhüter Ioannis Gelios ins rechte obere Eck köpfte (3.). Die Störche antworteten mit einem wütenden Gegenangriff, der nur eine Minute später ebenfalls den Weg ins Netz fand: Fabian Reese legte den Ball an den Elfmeterpunkt zurück, von wo Finn Porath abschloss. FC-Keeper Timo Horn parierte stark, den Abpraller köpfte Jae-Sung Lee jedoch ins leere Tor (4.). Davon unbeeindruckt zeigten sich wiederum die Kölner, die durch Sebastian Andersson erneut in Führung gingen (6.) Die KSV wirkte anschließend dann aber doch geschockt vom abermaligen Rückstand – und kassierte wenig später erneut nach einer hohen Hereingabe ein Gegentor. Nach einer Ecke war es wieder Andersson, der am höchsten stieg. Gelios konnte den Kopfball parieren, ehe das Leder von Reeses Hüfte ins eigene Gehäuse prallte (13.). In der Folge beruhigte sich zwar das Spiel, jedoch erspielten sich die Störche keine entscheidenden Torchancen. Die Gäste lauerten hingegen auf Konter und präsentierten sich maximal effektiv.
Ex-Storch Rafael Czichos bekam einen Klärungsversuch der KSV-Abwehr an der Strafraumkante vor die Füße und knallte das Leder volley unter die Latte (39.). Im zweiten Durchgang hatten die Kieler dann ein Brett vor der Brust zu stemmen und drei Tore aufzuholen. Torhüter Ioannis Gelios verhinderte Schlimmeres und parierte etliche hochkarätige Chancen der Domstädter. Nach einem Konter zerstörte Ellyes Skhriri dann mit einem präzisen Schuss ins rechte Eck die letzten Kieler Aufstiegsträume (84.). Obwohl somit das ganz große Wunder an der Kieler Förde ausblieb, haben die Störche in dieser Spielzeit über weite Strecken eine tolle Leistung gezeigt und die Fans mit ihrer Spielfreude und dem engagierten Auftreten begeistert. Auch wenn unsere Störche das sportliche Ziel mit Aufstieg nur knapp verpassten, haben sie vielleicht sogar Größeres erreicht und weitere Fans im ganzen Land dazugewonnen.