Trotz des Aufrufs Zuhause zu bleiben: Im Minutentakt kommen die Kieler an die Hörnbrücke. Seit dem vergangenen Montagmorgen ist diese zu einem besonderen Ort der Solidarität geworden.
Tausende Kieler strömen normalerweise täglich über die Hörnbrücke, welche das Kieler Ost- und Westufer miteinander verbindet. Sie liegt auf dem Arbeitsweg vieler Berufspendler zwischen den Ufern unserer Förde. Andere flanieren während eines ausgiebigen Frühlingsspaziergangs über die weltweit einzigartige, dreiteilige Faltbrücke – eigentlich. Jedoch nicht zu Zeiten der Corona-Krise. Das öffentliche Leben scheint so weit wie möglich herunterzufahren. Nicht zuletzt aufgrund der jüngsten Verhaltensregeln der Bundesregierung und dem Aufruf, Zuhause zu bleiben. Das Haus sollte nur verlassen werden, wenn es zum Zwecke des Einkaufens wirklich nötig ist.
Ein Ort der Solidarität
Auch Tafeln und Tageseinrichtungen für Obdachlose sind nicht länger zugänglich. Diese sind ein Zufluchtsort für Menschen ohne festen Wohnsitz. Hier wärmen sie sich während der kalten Tage auf und erhalten eine warme Mahlzeit. Christian Busch ist einer von ihnen. Seit acht Jahren lebt er auf der Straße, seit acht Jahren in Kiel. An der Kieler Hörnbrücke sortiert er Lebensmittel, Hygieneartikel, Hundefutter, Schlafsäcke und Kleidung, welche die Menschen hier an die Absperrung hängen. „Versorgungs-Zaun“ steht an der Absperrung vor der Hörnbrücke, nur wenige Meter vom Restaurant Vapiano entfernt. Es ist ein Ort, an dem die Kieler ihre Spenden für Bedürftige lassen. „Es ist toll, dass es den Zaun gibt“, sagt Christian. „Weil alle anderen öffentlichen Einrichtungen geschlossen sind, bekommen wir so etwas zu essen, haben etwas anzuziehen und können sogar unsere Tiere versorgen.“
Seit rund 24 Stunden existiert hier ein Ort, an dem die Kieler Kleidung, Nahrung und Hygieneartikel für Obdachlose spenden – aus reiner Nächstenliebe. Dies ist ein Ort, an dem die Solidarität der Kieler sichtbar wird. Keine fünf Minuten vergehen, ohne das jemand einen Beutel mit ausrangierten Artikel aus dem eigenen Haushalt an den Zaun herantritt und den Beutel daran befestigt. „Wohlfühl Ware“ steht an einem Beutel, den Passanten dagelassen haben. „Hygiene für Frauen“ an einem anderen. Für die einen sind es übriggebliebene Lebensmittel, für die anderen lebensnotwendige Hilfen des Alltags.
Einkaufen für den guten Zweck
Kerstin Weber aus Kiel ist eine der Passantinnen, die herkommen, um den Bedürftigen zu helfen. Sie ist eine von den Menschen, die nicht nur für die eigenen lebensnotwendigen Einkäufe das Haus verlässt. Sie hatte eigens für den Versorgungszaun eingekauft. Hundefutter, Hygieneartikel und ein paar Lebensmittel tütete sie in verschiedene Beutel ein und befestigte sie mit einem Bindfaden an dem Geländer. „Wir müssen in diesen Zeiten enger zusammenrücken und den Menschen helfen, die Hilfe benötigen“, sagt Kerstin Weber. Sie fragte ihre Tochter vor wenigen Tagen, ob es in Kiel auch Aktionen und Anlaufstellen für Obdachlose gibt, wie es in Berlin der Fall sei. Ihre Tochter machte sie daher auf die Bilder des Versorgerzauns auf Facebook aufmerksam. Kerstin Weber machte sich daher umgehend auf den Weg in den Wiker Famila-Markt, um einzukaufen. „Ich wusste nicht, was die Menschen so benötigen“, sagt sie. Also habe sie nach bestem Wissen eine Auswahl getroffen und an die Hörnbrücke gebracht.
Christian Busch und weitere Kieler Bedürftige sind in den kommenden Wochen auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen. Er hofft auch weiterhin, dass die Kieler den neuen Verhaltensregeln zum Trotz nicht nur aus eigenem Interesse das Haus verlassen, sondern auch an diejenigen denken, denen das Leben aktuell schwerer fällt denn je.