In der Zeit von Social Distancing halten wir Kieler zusammen. Besonders die Kulturszene ist vom Shut-Down betroffen. Jannek Schmitt alias Beauty & The Beats trommelte befreundete Künstler für eine digitale, besonders solidarische Aktion zusammen.
Musik verbindet, auch – und vielleicht gerade trotz der Corona-Krise. Weil das Geschäft der Kieler Bars, Kneipen und Clubs dem Virus zum Opfer fielen, ist das Nightlife, wie wir es kennen, gar nicht möglich. Freunde treffen, ausgehen, gemeinsam ein Konzert besuchen und anschließend das Leben feiern? – Während Corona das ganze Land in Atem hält, wäre dies nicht nur grob fahrlässig, sondern hochgradig unsolidarisch.
#staythefuckhome hieß es daher am Samstagabend für alle Kieler. Jannek Schmitt, Kieler DJ und lokaler Kulturpromi, trommelte einige seiner Musikerfreunde zusammen, um COVID-19 den Kampf anzusagen. Unter dem Motto „Together At Home“ realisierte der engagierte Musiker am Samstagabend einen Live-Stream via Youtube, in dem verschiedene Kieler Künstler einige ihrer Songs im Video zum Besten gaben. Nebenbei konnte jeder Zuschauer vor dem heimischen Gerät seinen Teil für die Unterstützung der lokalen Szene beitragen und einen Betrag spenden. 10.000 Euro ist das langfristige Ziel der Spendenfonds. Wie sehr die Szene den Kielern offensichtlich am Herzen liegt, sollte sich später noch zeigen. „Die Situation ist für Musiker, Gastronomen und Clubbetreiber gleichermaßen schwierig“, sagt Jannek. „Mit Together At Home wollen wir gemeinsam dafür kämpfen, dass bald wieder ein wenig Normalität einkehrt.“ Kiel sei nicht Berlin, die Möglichkeiten für Konzerte und Unterhaltung begrenzt. Diese gelte es daher umso stärker zu schützen.
„Das ging alles ganz schnell“
Vor genau einer Woche traf sich Jannek mit seinem Kumpel René Unger und grübelte über Chancen und Möglichkeiten, wie Musikern und Gastronomen geholfen werden könnte. Das Problem: sowohl die Künstler, als auch das Publikum hocken zuhause vor den eigenen Geräten. Die Idee war also, dass die Musiker ihren Beitrag vorab aufnehmen. Ob mit dem Handy oder einer professionellen Kamera war dabei zweitrangig. Die rund zehn Minuten langen Clips schickten sie dann fertig geschnitten an Jannek, der diese der Reihe nach abspielte. Er selbst moderierte den Abend von dem W8 Gelände und Co-Working Space auf dem Ostufer aus. Hilfe bei der technische Umsetzung holte sich der DJ von der Produktionsfirma Kabuja. Sie sorgte für den reibungslosen Verlauf, den stabilen Stream und eine entsprechende Bild- und Tonqualität des Abends.
Jannek ist in Kiel wunderbar vernetzt. Interessierte Musiker fanden sich dementsprechend schnell. Den Anfang machte der bereits erwähnte Kumpel René Unger, Frontmann von Kiels Party-Kombo Tequila And The Sunrise Gang. Mit seiner Akustik-Gitarre gab er zwei seiner Songs zum Besten und stand anschließend live zugeschaltet für ein kurzes Gespräch im Video zur Verfügung. René erklärte, dass die Konzertabsagen die Band zwar hart treffen würden, diese sich jedoch durch ihre „normalen“ Jobs über Wasser halten könnte. Berufsmusikern gehe es in der Hinsicht sicherlich schlechter, so Unger. „ Wir versuchen wir mit der Aktion, die Kieler Menschen zu informieren und gleichzeitig Geld zu sammeln, um gegen eine mögliche Schließung von Clubs und weitere Einbrüche in der Kieler Kulturszene zu kämpfen.“
Rapper Steasy nahm seinen Video-Beitrag im Studio von 3KOMMA3 in den Räumen der Alten MU auf. Mit professioneller Ausrüstung performte der Kieler zwei seiner regulären Albumtracks, bevor er einen Song zum Besten gab, der wenige Stunden zuvor speziell für diesen Abend entstanden war. Mit dem Titel „Stay The Fuck Home“ betonte Steasy die Eindringlichkeit der Veranstaltung und rief alle Kieler zum disziplinierten Zuhause-Bleiben auf. Dies mag, gerade in Zeiten des herannahenden Frühlings und der steigenden Temperaturen, eine Herausforderung sein. Auch der Rapper stand nach seinem Beitrag live für einige Fragen zur Verfügung, sprach über die Arbeit an neuem Material und der Zwangsquarantäne, die er für eine künstlerische Phase sinnvoll nutzen möchte.
Weiter ging es mit dem Pianisten Jan Marxsen, der an seinem heimischen Klavier eine Improvisation zu dem Abend beisteuerte. Mit ruhigen Tönen interpretierte er seinen Beitrag im Stile der Zeit, in der das öffentliche Leben herunterfährt und zu verstummen droht. Nahtlos daran knüpfte er das Hauptthema von Faithless’ Insomnia. Dieses wirkt wie eine Reminiszenz an die früher oder später wiederauferstehende Kieler Kulturszene. Marxsen, der mit weiteren Kollegen seit Anfang des Jahres den Luna Club in der Bergstraße betreibt, berichtet von der prekären kulturellen Lage, sowohl aus Musiker- als auch aus Gastronomensicht. Als privater Club seien Locations wie das Luna besonders hart von dem flächendeckenden Shot-Down durch Corona betroffen. Auch er hofft auf die finanzielle Unterstützung der Bundesförderprogramme.
Ein bisschen Berlin
Ein bisschen Berlin-Flair kommt dann aber doch noch auf. Plattenvirtuose Avidus inszenierte sein Set durch Kameraperspektiven einerseits, loungige House- und Minimal-Rhythmen andererseits wie eine Live-Übertragung aus dem Boiler-Room Berlin. Eine der angesagtesten Locations für DJs und Partygänger über die Grenzen der Bundeshauptstadt hinaus. Typisch für die Berliner Szene-Location: Die Auftritte der Künstler werden zumeist von oben gefilmt. Fans von digitaler, elektronischer Musik, die es nicht in den Club schaffen, streamen die Shows auf den heimischen Geräten, nicht selten sogar auf den eigenen Hauspartys – Vernetzte Feierkultur 2.0.
Zurück in Kiels Quarantäne: An den Streamingbildschirmen kommentiert das Publikum derweil den Höhepunkt des Abends. „Nun kommt der Meister“, heißt es in der Kommentarspalte des YouTube-Streams. Ein begeisterter Follower freut sich auf den abschließenden Auftritt von Jannek alias Beauty & The Beats, der mit seinem Set einem Samstagabend gerecht werden möchte und dem Publikum schließlich einheizt. Wie ein Coitus Interruptus endet nicht nur das DJ Sets von Beauty & The Beats, sondern auch der besonders kurzweilige Abend, der an vergangene, schönere Nächte in der Kieler Clubkultur erinnerte. Fast 3.800 Euro spendeten die Kieler während des Streams für den besonders guten Zweck. Ein Zweck, der uns alle daran erinnert, wie wichtig die Kulturschaffenden unserer Stadt am Meer doch sind.
Unter diesem Link könnt ihr die Together At Home ebenfalls unterstützen. Die Reihe steht hingegen erst am Anfang und wird aller Voraussicht nach fortgeführt werden. Genug Musiker, Künstler und Clubbesitzer sind jedenfalls vorhanden und wollen ihren Teil für den Fortbestand der Szene beitragen.
Instagram: @together_kiel