An zwei Abenden verwandelte sich der Kaisersaal des Hotels Kieler Yacht Club in den Speisesaal der ersten Klasse auf der Titanic. Jeweils rund 120 Gäste erlebten ein 5-Gänge-Menü und spannende Geschichten rund um den Untergang des Luxusliners.
Es ist eine dunkle Nacht, Neumond über dem Nordatlantik, absolute Windstille und eine spiegelglatte See. Das für ihre Zeit größte Schiff der Welt kollidiert auf ihrer Jungfernfahrt von Liverpool nach New York City in einer Aprilnacht mit einem Eisberg und sinkt. Rund zwei Drittel der Passagiere verlieren dabei ihr Leben – auch, weil nicht genügend Rettungsboote vorhanden sind. Dies ist die Kurzversion des Schicksals der „Titan“, erzählt in dem Roman „Das Wrack der Titan“ (Originaltitel: Futility) von Morgan Robertson. Es klingt wie die Nacherzählung der Geschichte des berühmten Luxusliners und Namensvetters, welcher in der Nacht zum 15. April 1912 in den Tiefen des Atlantiks versank und zur Grabstätte von über 1.500 Seelen wurde. Wann sie erschienen ist? Im Jahr 1898 – also zehn Jahre bevor die Reederei White Star Line den Auftrag für den Bau der Titanic und ihrer Schwesterschiffe Britannic und Olympic an die Werft Harland & Wolff in Belfast erteilt hatte. Sogar 14 Jahre sollte es dauern bis die Titanic im wirklichen Leben auslaufen sollte. Dies ist eine der vielen unglaublichen Geschichten, die sich um das berühmteste Schiffswrack der Welt ranken und im Mittelpunkt des Abends am 28. Februar im Hotel Kieler Yacht Club standen.
Festlich und zeitgenössisch gekleidet warteten die Gäste des Dinners im Foyer des Kaisersaals geduldig auf das Öffnen der Türen. Einige von ihnen ließen sich gemeinsam vor einer Fotowand ablichten, welche die Treppe und die Glaskuppel zeigte, die spätestens seit James Camerons Verfilmung Berühmtheit erlangte. Andere studierten einen zwei Meter langen Bauplan des Schiffes oder ließen sich von den Ausstellungsstücken in den Vitrinen faszinieren. Die Teller, das Besteck und Gläser waren historische Gegenstände, stammen aus der Zeit, in der die Titanic ihre erste und letzte Reise antrat und gehören zum Privateigentum von Malte Fiebing-Petersen, dem ersten Vorsitzenden des Deutschen Titanic Vereins von 1997 e. V.
„Ich esse gern und gut, was man vielleicht auch sieht – ein leckeres Dinner und über die Titanic zu sprechen, sind für mich die perfekte Kombination“, sagt Fiebing-Petersen. Die Idee zu dem Dinner hatten er und weitere Mitglieder des Vereins bereits vor einigen Jahren. Innerhalb eines geschlossenen Rahmens und als Benefiz-Dinner hat es bereits ähnliche Veranstaltungen in der Vergangenheit gegeben. „Willkommen an Bord der Titanic!“.
Nicht nur das Foyer des Hotels erinnerte an die Titanic, auch der Speisesaal wurde mit viel Liebe zum Detail für diesen besonderen Abend hergerichtet: Rings um den Saal hingen die typisch roten Fahnen mit dem weißen Stern der White Star Line und riesige Fotos zeigten Originalaufnahmen des Schiffes während seines Baus. „Ein Schiff fährt pünktlich ab und wartet nicht auf einzelne Passagiere!“, sagte Fiebing-Petersen und bat die rund 120 Gäste Platz zu nehmen. Jeder Tisch schmückte das Foto eines Passagiers oder eines Crewmitgliedes, welcher in der Nacht des Untergangs entweder ums Leben kam oder die Tragödie nur knapp überleben sollte.
Unter den Passagieren befand sich auch Schiffskonstrukteur und „Vater“ der Titanic, Thomas Andrews. Zuletzt wurde er im Rauchsalon der ersten Klasse gesehen, als er apatisch auf das Gemälde „Plymouth Harbour“ schaute – jener Hafen, in dem die Titanic bei ihrer Ankunft eingelaufen wäre.
Im Stile der Zeit
Bevor der erste Gang des Abends serviert wurde, richtete Fiebing-Petersen einige Worte an seine Gäste. Schließlich waren einige Rahmenbedingungen des Dinners zu erklären, bei dem es sich nicht um eine übliche Abendveranstaltung handelte, sondern um eine Zeitreise auf das Deck der berühmtesten Schiffswrack der Welt vor über 100 Jahren. Zu dieser Zeit gab es Regeln zu Tisch: so war das Besteck beispielsweise nur an seinen Enden anzufassen, Schneide-, Stech- und Quietschgeräusche waren zu unterlassen. Die Herren trugen in der Regel ein Frack und einen Zylinder, bei Frauen galt die Faustregel: je jünger, desto tiefer der Ausschnitt. Anstößige Themen oder Gespräche über Religion schickten sich hingegen ganz und gar nicht. Damals wie heute gab es ohnehin wohl nur das eine vorherrschende Gesprächsthema, welchem sich die Gäste widmeten: die Titanic.
Das Original-Dinner von 1912 umfasste insgesamt 14 Gänge. Diese hätten den Rahmen im Hotel Kieler Yacht Club wohl deutlich gesprengt. Zwischen den Gängen widmete sich Moderator Fiebing-Petersen immer wieder den Geschichten der Personen, welche als „Ehrengäste“ auf den Bildern auf den Tischen zu sehen waren. So wurde eine etwas abgespeckte Version serviert, die immer noch aus fünf Gängen bestand:
Gratinierte französische Zwiebelsuppe mit Oban Single Malt Whisky wurde zur Vorspeise serviert. Es folgte gegrillte Riesengarnele auf Zuckererbsenpüree und Johannisbeersorbet mit Champagner. Der Hauptgang bestand aus einem Rinderfilet Wellington bevor Pfefferminz Halbgefrorenes das Menü beschloss.
Für einige ist der Blockbuster mit Leonardo die Caprio und Kate Winslet der Startschuss für die Faszination an der Geschichte des Luxusliners, für andere begann es schon früher als Hobby und ist heute aus dem Leben der Fans nicht mehr wegzudenken. „Ich beschäftige mich seit 28 Jahren mit der Titanic“, sagte Christoph Uhlenhaut, der aus Soltau für diesen Abend nach Kiel gereist war. Als Mitglied des Deutschen und des Schweizer Titanic Vereins bereiste er bereits mehrere Orte, die im Kontext der Titanic stehen. So machte er sich bereits auf den Weg in das irische Belfast. Am heutigen Standort der Werft von Harland & Wolff existiert ein interaktives Museum über das Schiff. Ein Reiseziel, das sich – so die geschlossene Meinung des „Andrews-Tisches“ an diesem Abend – in jedem Fall lohne.
Der Abend endet, soweit war es abzusehen, mit dem Untergang der Titanic. Reich an Details schilderte Fiebing-Petersen die letzten Minuten nicht nur des Schiffes, sondern auch der rund 1.500 Opfer des Untergangs. Dieser muss wohl als Zusammenspiel von menschlichem Übermut, einer Verkettung unglücklicher Ereignisse und technischem Versagen betrachtet werden.
Das Dinner hingeben war, anders als die Jungfernfahrt, ein voller Erfolg. Fiebing-Petersen erhielt in der Folge jede Menge Zuspruch. Somit steht einer Wiederholung des Dinners im nächsten Jahr nichts im Wege. Dann vielleicht sogar noch authentischer in einem schwimmenden Restaurant auf der Kieler Förde.