Besonders zum Weltfrauentag – besser noch: zum feministischen Kampftag – entdecke ich auf Social Media, in Magazinen und im Fernsehen zunehmend, wie „starke Frauen“ gewürdigt und bewundert werden. Doch auch wenn dahinter oftmals ein guter Wille steckt, befeuert der Begriff sexistische Rollenbilder. Ein Denkanstoß.
Die muskelbepackte Bodybuilderin, die Geschäftsführerin mit allerhand Durchsetzungsvermögen, die Protagonistin eines Hollywood-Streifens – das sind laut vieler Medienstimmen alles „starke Frauen“, gerne auch „Powerfrauen“ genannt. Dabei sind vermeintliche Komplimente wie diese gar nicht so bestärkend, wie häufig gedacht. Lasst uns doch kurz mal überlegen, welche Charaktereigenschaften uns so in den Sinn kommen, wenn wir an „starke Frauen“ denken ... Da wären zum Beispiel Mut und Selbstbewusstsein. Natürlich auch Unabhängigkeit und jede Menge Toughness. Ach, und karriereorientiert sind sie selbstverständlich auch. Aber fällt euch dabei etwas auf? All die Eigenschaften, die einer „starken Frau“ zugeschrieben werden, sind Eigenschaften, die für – nun ja, ich sags mal so – den Durchschnittsmann gelten. Mit anderen Worten: Frauen werden lediglich als „stark“ wahrgenommen, wenn sie sich möglichst „männlich“ verhalten. Dabei sollte Verhalten doch wirklich kein Geschlecht haben. Wenn ihr mich fragt, ist die sprachliche Hervorhebung der Stärke bei Frauen gar nicht nötig. Es kommt ja schließlich auch niemand auf die Idee, von einem „Powermann“ zu reden.
Griff in die Adjektiv-Kiste
Wenn ich von „starken Frauen“ höre oder lese, stelle ich mir immer wieder dieselben Fragen: Sind introvertierte Frauen, die auf den ersten Blick kein riesiges Selbstbewusstsein an den Tag legen, automatisch schwach? Fehlt es Frauen, die sich gegen eine große berufliche Karriere entscheiden, an Stärke? Sind Frauen, die anstelle von Mut eher ein Bedürfnis nach Sicherheit auszeichnet, nicht stark? Wenn ihr mich fragt: Nein, nein und nochmals nein! Doch genau dieser Eindruck entsteht leider, wenn „starke Frauen“ immerzu und überall als eine außergewöhnliche Ausnahme dargestellt werden – indem wir sie mit medialem Beifall überschütten, zeichnen wir unterschwellig auch das Bild der „schwachen Frau“. Dabei bietet uns die deutsche Sprache doch so viele Adjektive, an denen wir uns stattdessen bedienen können. Vielleicht fragt ihr euch ab sofort einfach mal, ob die Frau, die euch gegenüber steht, wirklich „stark“ ist (Das lasse ich höchstens bei der wortwörtlich starken Bodybuilderin gelten) oder ob sie sich nicht viel treffender als fleißig, zielstrebig oder erfolgreich beschreiben lässt.
Auch wir bei KIELerleben haben in der Vergangenheit schon oft mit dem Begriff „starke Frauen“ um uns geworfen, im vergangenen Jahr sogar ein ganzes Titelthema danach benannt. Das Schöne ist, dass auch wir immer wieder dazulernen. So haben wir uns in der April-Ausgabe 2023 der KIELerleben dazu entschieden, das Titelthema „Frauen im Fokus“ zu nennen. Keine starken Frauen. Keine Powerfrauen. Sondern Frauen, die Durchhaltevermögen beweisen. Frauen, die fordern und gefordert werden. Frauen, die uns durch ihre individuellen Leistungen, Berufe, Hobbys und Lebensrealitäten zeigen, welche positiven Attribute auf sie ganz persönlich zutreffen.