Am vergangenen Samstag feierte die gesellschaftskritische Tragikomödie „Der Kirschgarten“ von Anton Tschechow im Schauspielhaus Premiere. Leider war die Aufführung unter der Regie von Generalintendant Daniel Karasek nicht der spektakuläre Auftakt, den man sich für den Beginn der neuen Spielzeit gewünscht hätte.
Das Stück spielt um 1900 auf einem russischen Adelssitz mit angrenzendem Kirschgarten. Die Besitzerin Ranjewskaja (Eva Krautwig) lebt seit dem Tod ihres Mannes und ihres Sohnes in Paris.
Da das Landgut jedoch hoch verschuldet ist und versteigert werden soll, wird sie von ihrer Tochter Anja (Maria Goldmann) zurück nach Russland geholt. Doch weder Ranjewskaja noch ihr Bruder Gajew (Werner Klockow), die beide weit über ihre Verhältnisse gelebt haben, können das Landgut retten.
Es gibt nur einen einzigen Ausweg: Lopachin (Marko Gebbert), der Sohn eines früheren Leibeigenen, der es als Kaufmann zu einem gewissen Wohlstand gebracht hat, macht den Vorschlag, den Kirschgarten abzuholzen, das Land zu parzellieren und an Feriengäste zu verpachten. Doch die Erinnerung an die alte Zeit und den blühenden Kirschgarten lässt Ranjewskaja den Vorschlag zurückweisen. Eine andere Lösung wäre, wenn Warja (Agnes Richter), die Pflegetochter der Gutsbesitzerin, Lopachin heiraten würde. Aber auch dieser Traum geht nicht in Erfüllung.
Trotz der drohenden Pleite veranstaltet die Gutsbesitzerin am Tag der Versteigerung ein großes Fest, denn noch will sie die Hoffnung nicht aufgegeben. Erst als ausgerechnet Lopachin das Gut ersteigert und veranlasst, den Kirschgarten abzuholzen, wird der Familie die Ausweglosigkeit der Situation bewusst.
Obwohl insgesamt 16 Schauspieler bei „Der Kirschgarten“ mitwirken, passiert auf der Bühne nicht viel – die Handlung gibt leider auch nicht viel her. Das reduzierte Bühnenbild scheint dies noch zu unterstreichen. Wovon das Stück lebt, sind die Dialoge, die Figuren und die unterschwellige Gesellschaftskritik. Hat man sich jedoch zuvor nicht ausgiebig mit den gesellschaftlichen Umbrüchen im Russland des 19. Jahrhunderts befasst, bleibt dem Zuschauer die Aussage des Stückes verborgen.
Auch ist man als Zuschauer mit den vielen verschiedenen Figuren überfordert, die scheinbar ziellos und ohne Aufgabe umherirren. Zum Beispiel der Lakai Jascha (Roman Hemetsberger): Während des gesamten Stückes stolziert er Zigarre rauchend und Reden schwingend über die Bühne. Oder die Gouvernante Charlotta (Claudia Macht) mit ihrer Bauchrednerpuppe und ihrem Gewehr im Schlepptau. Genauso Jepichodow (Zacharias Preen), der Buchhalter, oder das Stubenmädchen Dunjascha (Jennifer Böhm). Viele skurrile Figuren, deren Charaktere nur angerissen werden und von denen man sich fragt, welche Bedeutung sie haben.
Aus dem blassen Figuren-Potpourri stechen einzig die Hauptdarstellerin Eva Krautwig, die die naive Ahnungslosigkeit von Ranjewskaja überzeugend darstellt, sowie Marko Gebbert als Lopachin hervor. Seinen schauspielerischen Höhepunkt hat er kurz nach der Ersteigerung des Guts, als er völlig in Rage gerät: Er, der einstige Bauernlümmel ohne Perspektive, hat es der feinen Herrschaft gezeigt! Hin und her gerissen zwischen Freude, Wut, Stolz und Schadenfreude bäumt er sich auf, schreit, weint, sinkt in sich zusammen …
Auch wenn das Stück nach der Pause an Fahrt gewinnt, kann es leider nicht vollends überzeugen. Das unterstrich auch der zunächst eher verhaltene Schlussapplaus am Premierenabend.
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