Kein Frank Pagelsdorf, kein Pavel Dotchev, nicht einmal ein Torsten Fröhling: Thorsten Gutzeit heißt der neue Trainer von Holstein Kiel, der als Cheftrainer eines vierköpfigen Trainerstabes die Geschicke der Störche in der kommenden Spielzeit 2010/11 in der Regionalliga Nord leiten wird.
Wurde im Umfeld bis zum heutigen Tage zumeist über eine erneute „große Lösung“ nach Falko Götz und Christian Wück diskutiert, zeigt diese interne Lösung einen erneuten Philosophiewechsel: Weg vom zu risikoreichen, erfolgsbedingten und letztlich gescheiterten Versuch, erfolgreichen Fußball mittels finanzieller Mittel und vermeintlicher Namen zu erkaufen. Hin zu authentisch erarbeitetem Fußball durch Weiterentwicklung der Eigengewächse, der konstruktiven Zusammenstellung einer schlagkräftigen Liga-Mannschaft und vor allem einer größeren Identifikation mit der Region, um den bei Anhang und Sponsorenumfeld fahrlässig verspielten Kredit zurückzugewinnen.
Etwas zurückhaltend aber souverän trat der 44-jährige Thorsten Gutzeit am Freitag um 12 Uhr gemeinsam mit Andreas Bornemann und Wolfgang Schwenke vor die anwesenden Medienvertreter. Kein Wunder, ist er kein Trainer mit größerer Bundesliga- und Medienerfahrung à la Frank Neubarth, Falko Götz oder Christian Wück, die in den letzten Jahren auf der Holstein-Bank Platz nehmen durften. Selbst Teile seines Trainerteams, Jan Sandmann als Assistenz- und Carsten Wehlmann Torwarttrainer, können ihren Lebenslauf mit höherklassigeren Fußballstationen füllen. Thorsten Gutzeit war dagegen seit 2007 Trainer der Holstein-U23- und -U19-Mannschaften und arbeitete hauptberuflich, wie während seiner vorherigen Trainerstationen beim Rendsburger TSV und bei der SpVgg Eidertal-Molfsee, als Versicherungskaufmann. Doch diese Zeiten sind jetzt vorbei, Fußballtrainer sein Hauptberuf: „Thorsten Gutzeit hat in den vergangenen Jahren bei der KSV Holstein immer wieder eindrucksvoll unter Beweis gestellt, die sportliche und charakterliche Entwicklung der Nachwuchstalente erfolgreich vorantreiben zu können. Seine hohe Qualifikation als Trainer sowie die erzielten Erfolge mit der U23 und der U19 bestärken uns in der Entscheidung, Thorsten Gutzeit, beginnend mit dem 1. Juli 2010, vertraglich für drei Jahre an Holstein Kiel zu binden“, so der Sportliche Leiter Andreas Bornemann zur Verpflichtung des neuen Cheftrainers.
„Wir werden Zeit benötigen.“
Holstein Kiel setzt mit diesem Dreijahres-Vertrag eindeutige Zeichen. Das Klischee des „Hoffenheim des Nordens“, wie Medien noch vor einem Jahr getitelt hatten, soll abgelegt werden, durch einen Neuaufbau nachhaltig und vor allem authentisch, mit größerem Identifikationscharakater für Anhang und Umfeld, erfolgreicher Fußball entwickelt und erarbeitet werden. Nach einer völlig verkorksten Rückrunde 2010 mit dem Abstieg aus der 3. Liga und dem verlorenen SHFV-Pokalfinale gegen den Erzrivalen VfB Lübeck keine leichte Aufgabe für den neuen Trainer, der sich seiner Aufgabe bewusst ist: „Derzeit herrscht große Enttäuschung auf allen Seiten, sei es Fans, Mitglieder, Sponsoren oder Spieler im Nachwuchsbereich. Kein Wunder nach dem vergangenen halben Jahr. Unsere Aufgabe wird es sein, diese Enttäuschung und Traurigkeit aus den Köpfen zu bekommen. Daran werden wir ab dem kommendem Montag arbeiten, und versuchen verlorenes Vertrauen in den Verein auf allen Seiten zurückzugewinnen. Dazu werden wir allerdings die entsprechende Zeit benötigen.“
Bislang steht nur Trainer-Team fest
Auf wen Thorsten Gutzeit in der kommenden Saison nominell setzen können wird, ist derzeit noch ziemlich unklar. Fest steht aktuell lediglich das Trainer-Team: Den Cheftrainer werden der ehemalige Holstein-Profi Jan Sandmann als Trainer-Assistent und Scout, Gutzeits langjähriger Weggefährte Jürgen Wildbrett als Athletik- und Assistenz-Trainer sowie der ehemalige Torwart des FC. St. Pauli und VfB Lübeck, Carsten Wehlmann, als Torwarttrainer und Scout unterstützen. Wie der KSV-Regionalliga-Kader der Saison 2010/2011 aussehen wird, steht noch in den Sternen. „Aktuell kann ich noch keine einzelnen Angaben zum Kader oder Spielsystem machen, da wir die heutige Pressekonferenz abgewartet haben und jetzt so schnell wie möglich, bis nächste Woche, Gespräche mit den Spielern führen werden, die wir behalten möchten und die wir gerne verpflichten würden. Ohne Namen nennen zu können und wollen, wird der Kader aus bisherigen Spielern, die ins Konzept passen, Spielern aus dem eigenen U23- und eventuell auch U19-Nachwuchs und externen Spielern bestehen“, so der neue Cheftrainer. Sein eigener Sohn Fynn, noch unter dem letzten Trainer Christian Wück in den Drittliga-Kader gerückt, wird definitiv dazugehören, ebenso wie der Flügelflitzer Florian Meyer und Jungakteur Paul Camps. Sechs weitere Akteure haben Medienberichte zufolge bestehende Verträge. Ob Thorsten Gutzeit auch mit Torhüter Michael Frech sowie Christian Jürgensen, Alexander Nouri, Francky Sembolo, Patrick Nagel und Florian Ziehmer plant, ist nach der heutigen Pressekonferenz offen.
Warum interne Lösung Gutzeit? Fröhling muss gehen
Auf Thorsten Gutzeit wartet jedoch nicht nur Arbeit mit der Holstein-Mannschaft, der 44-Jährige ist derzeit „lediglich“ Inhaber der A-Lizenz. Im Falle eines mittelfristigen Aufstiegs in die 3. Liga ist allerdings die Fußball-Lehrer-Lizenz des DFB Pflicht – bekannte Ausnahmen wie auf Bundesligaebene Marcus Babbel beim VfB Stuttgart oder Holger Stanislawski auf St. Pauli sind immer nur zeitlich begrenzt. Frühestens im kommenden Jahr könnte Thorsten Gutzeit den Lehrgang absolvieren, da der diesjährige in Kürze startet. Ein Kompetenzmangel? „Wir haben seit März immer wieder über Fußball im Allgemeinen gesprochen, über Spieler- und Mannschaftsentwicklungen, über Vereinsideen- und philosophien, konzeptionelle Dinge, und haben hier sehr schnell zusammengefunden. Der Gedanke, Thorsten irgendwann als Liga-Trainer bei Holstein Kiel zu engagieren, bestand schon länger und ist eine schlüssige Entscheidung. Dass wir diesen Schritt jetzt bereits gemacht haben, liegt an der Gesamtsituation“, erklärte der sportliche Leiter Andreas Bornemann, der über eine andere mögliche und bereits kurzzeitig praktizierte, interne Lösung nur soviel sagte: „Es gab bereits sehr früh Gespräche zwischen Herrn Fröhling und mir, dass es im Falle eines Abstiegs wirtschaftlich sehr schwierig wird, sich einen hauptamtlichen U23-Trainer leisten zu können. Damit wird Torsten Fröhling zum Saisonende ausscheiden.“
Kurzes Kennenlernen vor Sommerpause, anschließend Zeit für Positiventwicklung
Am kommenden Montag, Dienstag und Mittwoch sind erste Kennenlern-Trainingseinheiten terminiert. Anschließend geht es für die Spieler in die Sommerpause. Für den sportlichen Leiter und das Trainergespann geht dann die Arbeit richtig los: ein schlagfertiger Kader ist bis zum Saisonstart im August zu formen. „Wir sind überzeugt davon, dass das neue Trainerteam charakterlich hervorragend zusammenpasst und ausgezeichnet harmonieren wird. Alle haben ihre Qualitäten in der Vergangenheit bereits mehrfach nachweisen können. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit dem neuen Trainergespann“, zeigte sich Andreas Bornemann zufrieden mit den richtungsweisenden Personalentscheidungen im Storchennest. „Ich begrüße die Entscheidung sehr. Wir wollen unseren Eigengewächsen und den Talenten der Region durch eine fundierte Ausbildung den Sprung in die 1. Mannschaft ermöglichen. Verstärkt durch erfahrene Akteure wird der Verein alles unternehmen, wieder positive Schlagzeilen zu machen“, ist auch Geschäftsführer Wolfgang Schwenke optimistisch, mit der Verpflichtung des neuen Trainergespanns die Grundlagen für einen erfolgreichen Neuaufbau gelegt zu haben. „Wir wollen Fußballer auf dem Spielfeld sehen, mit denen sich unsere treuen Zuschauer identifizieren können, denen wir eine erfolgreiche Zukunft zutrauen und deren Entwicklung von sportlichem Feuereifer geprägt ist“, so Schwenke. „Wir werden dem neuen Team die nötige Zeit geben, um sich positiv entwickeln zu können.“