Ob Krabbenfischen, Synchronschwimmen oder Kampftauchen … Redakteur Thore Albertsen tut das, was Sie sich wünschen. Dieses Mal zaubert er Bilder auf echte Menschenhaut.
Anker, Sterne, Geburtsdaten … Tattoos sind derzeit total angesagt. Ich jedoch zähle zu den wenigen Ausnahmen in meinem Freundeskreis, die sich noch kein Kunstwerk auf die Haut haben stechen lassen. Der Grund dafür ist nicht meine fehlende Tattoobegeisterung, sondern eher meine Panik vor bakterienverseuchten Nadeln und stümperhaften Tätowierern. „Warum nicht mal hinter die Kulissen eines Tattoostudios gucken, um meine Angst zu überwinden – oder am besten gleich selbst Hand anlegen?!“, denke ich und beschließe, mich diesen Monat mal als Tätowierer auszuprobieren. Ein passendes Studio ist schnell gefunden: Baltic Tattoo am Ziegelteich, das mir von unzähligen meiner Bekannten empfohlen wurde. Als Versuchskaninchen stellt sich meine Kollegin Greta Thamm zur Verfügung, die zur „Ich muss alles mal ausprobieren“-Art von Mensch gehört und sich seit Jahren ein Tattoo wünscht. Natürlich muss sie mir versprechen, dass wir danach zumindest Facebook-Freunde bleiben, auch wenn sie einen Penis auf dem Hintern hat.
Ich bin ein wenig aufgeregt, als wir das große, helle Studio von Baltic Tattoo am Ziegelteich betreten. Alles erinnert hier an die 50er Jahre: Sofas, die aussehen wie das Heck eines Cadillacs, Figuren von alten Jazz-Sängern und ein Retro-Kühlschrank. Der Geruch erinnert mich stark an meinen Zahnarzt, sehr hygienisch. Eine blonde Frau mit einem sympathischen Lächeln und strahlend weißen Zähnen begrüßt uns herzlich. Nicole Petersen ist hier die gute Seele des Empfangs. Während Greta sich schon mal hinsetzen darf, macht sie mit mir eine kleine Rundführung. Statt Harleys, Whiskey und Metal-Musik erwarten mich im Hinterzimmer Ultraschallreiniger, Desinfektionsmittel und schwarze Einweghandschuhe – Hygienebelehrungen inklusive.
Bei der Hygieneeinweisung sterilisiere ich Piercingbesteck
Danach lerne ich Marta Gereluk kennen. Die 28-jährige Polin erscheint überhaupt nicht so, wie ich mir die klassische Tätowiererin vorgestellt habe. Keine Piercings, keine Bilder auf der Haut – vielmehr der Typ von nebenan. Sie begrüßt mich in klarem Englisch. Zusammen kümmern wir uns um Greta, die bereits von Nicole über alle Risiken des Tatöwierens aufgeklärt worden ist und unterschrieben hat, dass sie dies wirklich will. Ich bin mir dabei nach wie vor nicht so sicher.
Greta hat eine ganz genaue Vorstellung, wie ihr Hautschmuck aussehen soll. Ein Schwert gestochen durch ein leuchtend rotes Herz. So ähnlich wie auf dem DVD-Cover des Films „Wild at heart“ von David Lynch, das sie praktischerweise gleich mitgebracht hat. Marta drückt mir einen Stift in die Hand und nimmt sich gleichzeitig selbst einen. „Stell dir einfach vor, wie das Motiv auf der Haut am besten aussehen würde. So musst du’s dann zeichnen“, erklärt sie mir. Dann legen wir los.
Während sie mit feinen, gekonnten Bewegungen das Motiv in Windeseile nachmalt, scheitere ich schon an der Form des Herzens. Es gleicht vielmehr einem Ei mit zwei Buckeln. Nach fünf Minuten gebe ich auf. Marta ist bereits fertig und hat ihre Version des Covers kreiert. Um das Herz ranken sich nun noch Blätter, und der Griff wirkt wie bei einem Zepter. Ich bin beeindruckt. Greta leider nicht. Sie erklärt uns, dass das alles zu viel Prunk ist, und letztendlich nehmen wir dann doch das Originalcover als Vorlage. Dieses darf ich dann in konzentrierter Kleinarbeit abpausen, während Marta mich mit Argusaugen beobachtet. Man merkt, dass sie bereits seit zwölf Jahren in diesem Bereich tätig ist. Gelernt hat sie das Tätowieren bei ihrer Tante, die ein eigenes Studio besitzt. Mit 16 hat Marta ihr erstes Tattoo gestochen – ein Tribal. „Damals war das ja noch in“, erklärt sie mir. Bei Baltic Tattoo gehört sie zu den gefragtesten Tätowierern. Ihr Talent ist stadtweit bekannt.
Wir gehen in den Raum am hinteren Ende des Studios. Er wird von schwarz-weißen Kacheln dominiert. Hier ist Martas Arbeitsplatz. Eine Liege wie im Behandlungszimmer eines Arztes steht neben einem kleinen Tisch, auf dem Martas Arbeitswerkzeug liegt: Tätowierpistole in blauer Folie, Farben, eingeschweißte Nadeln. Zunächst rasiere ich Greta den Unterarm, auf den das Tattoo gestochen werden soll. Natürlich erst nachdem ich mich wieder in neue Einweghandschuhe gezwängt habe.
Dann wird desinfiziert und die Stelle mit einer Art weißem Kleber eingeschmiert, der ein bisschen so aussieht wie Pattex. Unter Martas Anweisung darf ich die durchgepauste Vorlage anlegen. Durch die vorher aufgetragene Paste zeichnet sich das Motiv nun genau wie eine Schablone auf Gretas rötlicher Haut ab. Doch die aschblonde Tätowiererin ist noch nicht zufrieden. „Es wirkt alles ein wenig schief“, erklärt sie mir. Sechsmal wiederhole ich diesen Vorgang, bis sie einverstanden ist. Endlich können wir die Nadel ansetzen. Mein Herz schlägt höher, als die Pistole in meiner Hand vibriert und ich mich Gretas Arm nähere. Als ich jedoch ihren angsterfüllten Hundeblick sehe, lege ich die Pistole wie der lahme Cowboy nach dem Duell wieder zur Seite. Marta übernimmt. Konzentriert zeichnet sie die Schablone nach. Viele kleine Nadeln bohren sich dabei in Gretas zweite Hautschicht. Jetzt liegt sie ganz entspannt, fast schlafend, auf der mit blauer Folie überzogenen Liege. Anscheinend tut es nicht weh. Nach gerade mal 40 Minuten ist das Kunstwerk fertig.
Greta strahlt übers ganze Gesicht. Ich darf ihr das Tattoo nun mit einer Creme einreiben und mit einem durchsichtigen Pflaster überkleben. Fertig! Denke ich zumindest. Doch jetzt kommt der Schreibkram. Alle Farben, Geräte oder Nadeln, die genutzt wurden, müssen haargenau dokumentiert werden, um so später bei möglichen Allergien reagieren zu können. „Das ist ja wie auf dem Amt“, stöhne ich. Doch eins wird mir immer klarer: Angst vorm Tätowieren muss ich hier nicht haben. Vielleicht lasse ich mir von Marta doch noch ein eigenes Tattoo stechen – zumindest ein kleines.