Frühwinterlicher Schnee und Eiseskälte waren am Mittwochabend für zahlreiche Literatur- und Musikliebhaber offenbar kein Hindernis, sich auf den Weg ins Literaturhaus zu machen. Dort fand zum dritten Mal in diesem Jahr die Leselounge statt, die junge Literatur und junge Musik zusammenbringt und die sich ganz offensichtlich zu einem sprichwörtlich "vollen" Erfolg im Programm des Hauses zu entwickeln scheint.
Die Sitzreihen im Lesesaal waren restlos belegt, sodass nur zusätzliche Stühle und kollektives Zusammenrücken Abhilfe schaffen konnten.
Aus der klirrenden Kälte kommend, war um diesen Umstand aber niemand böse, und im warmen, orange-roten Licht der Retro-Lampen stiegen Körpertemperatur und Spannung auf die lesenden Jungautoren Susanne Heinrich und Finn-Ole Heinrich dann gleichermaßen.
Im Niemandsland zwischen Single-Leben und Ehe
Zunächst stellte Susanne Heinrich ihren neuen Roman "So, jetzt sind wir alle mal glücklich" vor. Nach dem Erzählband "Die Farben der Nacht" (2005) und dem Roman "Die Andere" (2007) ist "So, jetzt sind wir alle mal glücklich" das mittlerweile dritte Buch der 24-jährigen Jungautorin, die in Berlin lebt und arbeitet. Die Geschichte spielt am Vorabend der Hochzeit von Franziska und Georg, die mit ihren Freunden Charlotte, Max, Clara und Frank in einem Hotel ihren Polterabend feiern. Es wird eine lange Nacht. Eine Nacht, in der - so steht es im Klappentext - "drei Paare im Niemandsland zwischen Single-Leben und Ehe" nach dem Glück suchen. Erzählt werden die Episoden aus drei verschiedenen Perspektiven, der von Franziska, von Max und von Clara. Letztere, gestand Heinreich, sei übrigens ihre heimliche Lieblingsfigur.
Gerechterweise ließ sie am Mittwochabend jedoch auch die beiden anderen zu Wort kommen und las drei Kapitel, die Einblicke in das komplizierte Mit- und auch Gegeneinander der sechs Protagonisten gaben. Wenngleich einige dieser Beziehungen etwas stereotypisch wirkten, zog Heinrich die Zuhörer mit ihrer weichen, leicht melancholischen Stimme mitten ins Geschehen und beeindruckte mit starken Sätzen wie: "Glück macht müde. Glück ist das Gegenteil von Leben."
Zwischen Lachen und Weinen
Im Anschluss präsentierte Finn-Ole Heinrich seinen neuen Erzählband "Gestern war auch schon ein Tag", ebenfalls sein drittes Buch, nach der Erzählsammlung "Die Taschen voll Wasser" (2005) und dem Roman "Räuberhände" (2007). Die Lesung der ersten Erzählung "Marta" glich einer Art Performance: Zwischen den live gelesenen Passagen spielte Heinrich immer wieder auf Tonband aufgenommene Abschnitte ein; jene Abschnitte im Text, in denen sich der Erzähler an Marta wendet und sie direkt anspricht. Marta ist ein junges, drogenabhängiges Mädchen, das der Erzähler Paul eines Tages in der Bahn aufliest und mit zu sich nach Hause nimmt. Von da an verbringen Paul und Marta jeden Tag gemeinsam. Viele bleiben ihnen nicht, am Ende stirbt Marta. Trotzdem ist die Erzählung keine Geschichte vom Sterben, sondern ist - ganz im Gegenteil - eine Geschichte von der leidenschaftlichen Lust am Leben. Man wusste dennoch nicht, ob man lachen oder lieber weinen wollte. Zumindest einmal schlucken und tief durchatmen musste man.
Die zweite Erzählung, "Zeit der Witze", war nicht weniger ergreifend: Susann hat bei einem Unfall ihr Bein verloren und ihr Freund wird - allen inneren Anstrengungen zum Trotz - mit dieser Situation einfach nicht fertig. Der Text erzählt dies schonungslos und so ehrlich, dass es manchmal wehtut. Wie schon Susanne Heinrich erwies sich auch Finn-Ole Heinrich als sehr vorlesebegabt. Seine Art vorzutragen potenzierte die in den Texten vermittelten Emotionen so stark, dass ihm das Publikum muksmäuschenstill und sichtlich ergriffen lauschte.
"Einfach schön!"
Nachdem in der Pause das ein oder andere Glas Wein die aufgewühlten Gemüter wieder beruhigt hatte, eröffnete Hannes Wittmer alias "Spaceman Spiff" den musikalischen Teil des Abends und stellte sein erstes Soloalbum "Bodenangst" vor. In der Anmoderation wurde seine Musik als "einfach schön!" angekündigt und sein Auftritt bestätigte dieses Urteil ohne Frage. Mit wunderhübschen Liedern über das Erwachsenwerden, die Sehnsucht nach der Großstadt oder das Alleinsein komplettierte der Junge mit der Gitarre perfekt den vorausgegangenen literarischen Part. Zwischen all den eher ruhigeren Liedern kamen aber auch die schnelleren Töne nicht zu kurz: "Jetzt kommt eigentlich eher was zum Rumspringen und Schwitzen", gestand der Wahlhamburger vor seinem Song "100.000 Kilometer", mit dem er die Bionade-Flasche auf dem Tisch neben sich und auch so manchen Fuß im Publikum zum Wippen brachte.
Die dritte Auflage der Leselounge war ein rundum gelungener Abend: humorvoll, anregend, aufwühlend, bewegend. Schöner hätte man dem Novemberschnee nicht trotzen können.
Franziska Falkenberg
Fotos: Lena Brixa/ Franziska Falkenberg