"Bisher wusste ich nicht, was Kult ist. Doch seit heute Abend weiß ich es", gestand Generalmusikdirektor Georg Fritzsch am Sonntagabend während des "Classic meets Rock"-Konzerts mit den Kieler Philharmonikern, der Rockband 'Dead Composers Rocking Society' und natürlich mit Ex-Deep-Purple-Mitglied und Crossover-Pionier Jon Lord. Dieser nämlich brachte das Kieler Schloss mit dem von ihm komponierten "Concerto for Group and Orchestra" sowie zahlreichen weiteren Songs zum Kochen.
Im Publikum wippten die Füße, die Hände trommelten und der ein oder andere Kopf setzte zeitweise sogar zum Head-Banging an.
Doch der Reihe nach. Wer dem imposanten Spektakel beiwohnen wollte, musste sich nämlich zunächst in Geduld üben. Bis auf die Straße vor dem Schloss reihten sich Jon-Lord-Jünger und Crossover-Freunde in einer langen Warteschlange vor der Abendkasse. Die Aufführung des legendären "Concerto for Group and Orchestra" wollte sich offensichtlich niemand entgehen lassen. Nachdem auch der letzte Zuschauer seinen Platz in dem fast ausverkauften Konzertsaal ergattert hatte, begann das Konzert schließlich mit 20-minütiger Verspätung.
Eine "Schlacht" zwischen Band und Orchester
Mit einigen einleitenden Worten erklärte Lord dem gespannten Publikum den Ablauf des "Concerto for Group and Orchestra", seinem "40 Jahre alten Baby", das 1969 in der Royal Albert Hall in London uraufgeführt wurde: "Der erste Satz ist eine Art Schlacht zwischen der Band und dem Orchester. Im zweiten Satz finden wir langsam einen Weg, gemeinsam zu musizieren und im dritten Satz werden wir dann einfach einen riesen Spaß zusammen haben." Doch Spaß hatten nicht nur die Musiker auf der Bühne, auch das Publikum ließ sich von den ersten Takten an mitreißen.
Tatsächlich war es auch nahezu unmöglich, sich nicht vereinnahmen zu lassen von dem gewaltigen Klanggewitter, das sich zwischen Band, Orchester und Jon Lord entlud. Was mit sphärischen, sehnsuchtsvollen Klängen beginnt, schaukelt sich nämlich langsam zu einem brausenden Sturm auf. Mit enormer Kraft schmetterten die Musiker dem Publikum die eingängigen Melodien entgegen und es war eine wahre Wonne die akkustische "Schlacht", die Lord zuvor angekündigt hatte, zu verfolgen. Im einen Augenblick fesselte das Orchester unter GMD Fritzsch mit starkem, konzentriertem Spiel, im nächsten Augenblick schmiss sich der gefräßige E-Gitarren-Sound dazwischen, nur um sich kurz darauf wieder zurückzuziehen und dem zarten Klang der Klarinette Raum zu geben.
In Mitten der "Schlacht" bezog Jon Lord Stellung an der Hammond-Orgel, mit deren unverkennbarem Klang er die siebziger Jahre wieder zum Leben erweckte. Nebenbei: Die Hammond-Orgel, auf der Lord am Sonntagabend sprichwörtlich abrockte, ist quasi ein Kieler Original. Das guten Stück, Baujahr 1970, wurde Lord nämlich vom Kieler Musiker Christian Muuß, bekannt durch die Funrock-Band "Dr. Hackebusch, geliehen. Lords wilde Soli an der Orgel sorgten für wildes Gejubel seiner zahlreich erschienen Fans.
Band und Philharmoniker beeindruckten gleichermaßen
Auch die 'Dead Composers Rocking Society' erntete immer wieder Zwischen-Applaus, allen voran Gitarrist Richard Güth und Schlagzeuger Nikolas Mareske, der die treibenden Beats auf den Punkt beherrschte und auch im Zusammenspiel mit den Philharmonikern eine extrem gute Figur abgab. Das Orchester schien sichtlich Spaß zu haben und tobte sich an den intensiven Melodien aus, bewundernswerterweise ohne dabei Präzision und Klarheit einzubüßen.
Nach der Pause erhielten auch die Sänger Steve Balsamo und Katarzyna Laska Gelegenheit, ihr Können unter Beweis zu stellen. Wunderbar sanft intonierte Laska die ruhigen Stücke "Evening Song" und "Wait a while" von Lords Solo-Alben und auch Balsamo begeisterte bei "Pictures of Home" von Machine Head und "Pictured within" von Lord.
Ein furioses Finale
Für ein furioses Finale sogten schließlich die Deep-Purple-Klassiker "Soldier of Fortune" und "Child in Time". Besonders die Interpretation von "Child in Time" sogte für Begeisterung, wird das Stück doch von Deep Purple ob der langen, hohen Schrei-Passagen seit 2002 nicht mehr live gespielt. Mit seiner Solo-Improvisation an der Hammond-Orgel setzte Jon Lord schließlich den Höhepunkt des Liedes und gleichzeitig das Highlight des Abends. Spätestens ab diesem Zeitpunkt stand kein Fuß mehr still und auf dem Rang wurde sogar vereinzelt getanzt.
Jon Lords Besuch in Kiel sorgte für ein musikalisches Gewitter, wie es im Buche steht: mit fragilen Klang-Blitzen, wolkenbruchartigen Melodie-Schauern und immer wieder auch mit einem leisen, besänftigenden Donnergrollen - zweifelsohne nur der Ruhe vor dem nächsten Sturm. Die Begeisterung des Publikums entlud sich schließlich in stehend ausgeführten Ovationen und nicht enden wollendem Applaus. Lord hatte bereits vorausgesagt, die Zuschauer würden das Konzert mit einem Lächeln im Gesicht verlassen. Er sollte Recht behalten.