Die Turbo Klima Kampf Gruppe (tkkg) blockierte zuletzt die B404 mit provisorischen Hochbeeten, um gegen den Ausbau der A21 zu protestieren. Sie waren es, die das Passagierschiffs Zaandam im Kieler Hafen an Pfingsten 2019 am Ablegen hinderten. Im Interview erklärt tkkg-Aktivistin Lydia, wieso Kiel den Nachhaltigkeitspreis nicht verdient hat.
Kielerleben: Bei der Blockade der B404 am 15. August stand neben dem Protest des Ausbaus der A21 auch die Kritik gegenüber den Kieler Nachhaltigkeitspreises im Vordergrund der Aktion. Wieso hat die Stadt Kiel diese Auszeichnung aus eurer Sicht nicht verdient?
Lydia: Gerade im Bereich Verkehr betreibt Kiel immens klimaschädliche Politik, die sich auf den motorisierten Individualverkehr fokussiert. Die Selbstdarstellung als "Fahrradstadt" ist hanebüchen! Städte wie Greifswald, Oldenburg, Münster oder Kopenhagen sind da schon viel weiter. Wie falsch der Fokus ist, zeigt der geplante Ausbau der B404 zur A21 mit Anbindung durch die neue Schnellstraße "Südspange" überdeutlich. Der Ausbau eines Netzes an echten, also autofreien, Fahrradstraßen kommt nicht voran. Die einzige autofreie Fahrradstraße Kiels, die Veloroute, ist lediglich dort entstanden, wo den Autoverkehr keine Abstriche gemacht werden mussten.
„Straßen werden nicht entlastet, indem man mehr Straßen baut und so der Autoindustrie ihre Nachfrage sichert, sondern durch vernünftige Fahrradstraßen, guten ÖPNV und Güterverkehr auf der Schiene.“
Die ÖPNV-Situation ist ebenfalls katastrophal. Die Busse verkehren in den Ballungsgebieten wie der Uni am Kapazitätslimit, während andere Bereiche wie der Kieler Süden schlecht angebunden sind. Alleine mit Bussen ist die Mobilitätsfrage daher nicht zu lösen und jede*r weiß das. Statt also die Wiedererrichtung einer Tram mit perspektivischer Anbindung an die Regionalbahn ganz nach oben auf die Liste der Verkehrsprojekte in Kiel zu setzen, ziehen sich die Planungen endlos in die Länge, während beim Ausbau von Straßen zur angeblichen Entlastung bestehender Straßen enormer Druck gemacht wird. Alleine diese Argumentation zeigt das völlige Missverständnis der Kieler Politik für zukunftsfähige Mobilität: Straßen werden nicht entlastet, indem man mehr Straßen baut und so der Autoindustrie ihre Nachfrage sichert, sondern durch vernünftige Fahrradstraßen, guten ÖPNV und Güterverkehr auf der Schiene. Nebenbei bemerkt gibt es wenige Städte, die ihre beiden zentralen Plätze, den Exer und Willi, als Parkplätze nutzen. Auch der neue ZOB bietet kaum Verbesserungen zum alten. Nur an genügend Parkplätze wurde gedacht. Die Vormachtsstellung des Autos sitzt in Kiel also tief. Und die Stadt macht keine Anstalten, daran etwas zu ändern.
Die Auszeichnung steht also in Kontrast zur politischen Haltung der Stadt bzw. ihrer bisherigen Unternehmungen was ein klimafreundliches Kiel und die Klimaneutralität bis 2030 angeht?
Ja, denn auch im Bereich Energiepolitik kann von Nachhaltigkeit keine Rede sein. Das vielfach gefeierte Küstenkraftwerk zementiert die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen für die nächsten Jahrzehnte und legt der Energiewende massive Steine in den Weg. Erdgas ist alles andere als eine "etwas bessere" Alternative zur Kohleverbrennung. Die unmittelbaren CO2-Emissionen bei der Verbrennung sind zwar geringer, doch durch Methanaustritte bei Förderung und Transport entsteht eine sehr schlechte Klimabilanz.
Die letzte Aktion war auch deshalb recht waghalsig, weil Autofahrer teilweise im Slalom an euch vorbeigefahren sind. Absperrungen, die euch schützen, gab es nicht. Wieso nehmt ihr solche Situationen in Kauf?
Natürlich versuchen wir bestmöglich uns und andere zu schützen, aber manchmal geht es leider nicht ganz ohne Risiko. Wir haben abgewogen und entschieden, dass das Risiko, das die Südspange gebaut werden könnte, für Klima, Umwelt und Menschen höher wiegt. Denn ein ungebremster Klimawandel birgt das Risiko, dass unsere Lebensgrundlagen völlig zerstört werden. Im Vergleich dazu ist das Risiko, dass wir dadurch eingehen auf die Straße ein paar Pflanzen und Hochbeete zu stellen, winzig.
Wäre es nicht verantwortungsvoller, die eigenen Mitglieder der Gruppe zu schützen?
Verantwortungsvoll wäre es, die Autobahn und weitere Straßen für den motorisierten Individualverkehr nicht zu bauen. Damit würde die Stadt Kiel Verantwortung fürs das Klima und unsere Zukunft übernehmen.
Kiel wurde u.a. für ihre Bedeutung als Meeresschutzstadt, als Hafen zur Welt und die Zusammenarbeit mit den Partnerregionen Moshi District (Tansania) und Hatay (Türkei) ausgezeichnet. Engagement, dass sich lohnt zu belohnen, oder?
Einem kritischen Blick hält Kiels Image als Meeresschutzstadt wohl kaum stand, denn nicht zuletzt sticht Kiel mit einer immensen Klimabelastung durch den Kreuzfahrttourismus hervor: Statt sich um ernsthafte Reduktion des Kreuzfahrtverkehrs zu kümmern, wird weiter nur über Landstromterminals diskutiert. Die Erfahrung aus anderen Städten wie Hamburg zeigt, dass diese von der Kreuzfahrtindustrie kaum genutzt werden. Zudem verpesten die Schiffe, sobald sie auf See sind, weiter mit Schweröl die Luft. Von der Verantwortung, gegen diese und andere katastrophale Umstände in Kiel vorzugehen und endlich grundlegend dem Wachstums- und Profitzwang unseres Systems etwas entgegenzusetzen, kann man sich leider auch nicht frei machen, indem man Bäume in Tansania pflanzt.
Was müsste aus eurer Sicht darüber hinaus getan werden?
Verkehrspolitisch brauchen wir eine Verkehrswende mit weniger motorisiertem Individualverkehr und dafür einem gut ausgebautem Fahrradstraßennetz, ÖPNV zum Nulltarif, dem Rückbau von Parkflächen und Autostraßen, Güterverkehr auf der Schiene und konkret für Kiel der Wiedererrichtung eines Tram-Netzes.
Energiepolitisch brauchen wir einen vernünftigen Ausbau der erneuerbaren Energiegewinnung: Wind in Offshore und Förderung dezentraler Solarenergiegewinnung auf den Dächern Kiels bieten sich hier vor Ort besonders an. Letzteres kann nebenbei auch noch als Alternative zur Fernwärmegewinnung genutzt werden. Um das umzusetzen, ist ein Schutz der Energiepolitik vor dem Profitzwang des Marktes absolut notwendig. Für Kiel bedeutet das eine Rekommunalisierung der Stadtwerke, und deren anschließende Überführung in eine Genossenschaft. Diesen Schritt ist zum Beispiel Schönau im Schwarzwald recht erfolgreich gegangen. Ohne so einen Schutz werden die Marktmechanismen unweigerlich die Zerstörung unseres Planeten anheizen.
Wie müsste sich die Stadt Kiel aus eurer Sicht idealerweise positionieren?
Idealerweise übernimmt Kiel Verantwortung für ihre Klimapolitik und leitet endlich Maßnahmen ein. Dazu gehört auch, sich endlich ernsthaft mit der Macht großer Wirtschaftskonzerne - wie zum Beispiel den Betreiber*innen der Kreuzfahrtschiffe oder den Öl- und Gaskonzernen - anzulegen, statt ihnen weiter ihre Profite zu sichern. Natürlich kann Kiel das nicht alleine. Aber warum gibt es keine überregionale Vernetzung mit dem expliziten Ziel, sich gemeinsam gegen Profitzwang und Standortkonkurrenz zur Wehr zu setzen? So gäbe es endlich eine Chance für wirklich effektive Maßnahmen, um unsere Lebensgrundlagen noch zu erhalten!