Für viele zählt Skandinavien wegen seiner Natur zu den perfekten Urlaubsregionen. Dieses Auswanderer-Paar genießt durch ein typisch deutsches Handwerk das Vertrauen der Norweger.
Wenn sich die Blechlawinen über die deutschen Straßen wälzen, Google bei der Suche nach dem günstigsten Last-Minute-Flieger heiß läuft oder die schönsten Wochen des Jahres während Corona spartanisch auf Balkonien verplant werden, steht eines fest: Es ist Urlaubszeit! Zumindest in Deutschland. Im Süden Norwegens, auf einer 850 Meter hoch gelegenen, rund 30 Quadratmeter großen Braustube hingegen, herrscht an einem Montagmorgen im Juli reges Treiben. Die Luft ist durch einen süßlichen, leicht malzigen Geruch getränkt. Über 700 Liter heiße Maische ruhen hier in einem Bottig, der mir bis zur Brust reicht. In den nächsten Tagen wird diese, nach einigen Prozessschritten, durch vier Meter lange Schläuche fließen, um in Flaschen zu gären.
Wo ich bin? In der kleinen Privatbrauerei von Fjellbryggeriet (dt.: Bergbrauerei) in Tuddal, einem kleinen idyllischen Örtchen der Telemark Norwegens. Allerdings ist diese Geschichte bereits vor dem Ausbruch der Pandemie entstanden. Hier haben es sich Carl Philipp Koch und seine Frau Anna Helene gemütlich gemacht. Vor knapp drei Jahren brach das Paar seine Zelte in Deutschland ab und suchte eine neue Herausforderung im Süden Norwegens. Nach einem strengen Winter, der klimatisch – und was den Niederschlag angeht – mit jenem in Schleswig-Holstein nicht zu vergleichen ist, zieht das Ehepaar Koch ein erstes gemeinsames Fazit: Nicht nur das Klima tickt etwas anders als im Norden der Bundesrepublik, auch bei der Mentalität, der Einstellung und Haltung zur Arbeitsweise sowie der Zuverlässigkeit der Menschen gibt es Unterschiede. Da ist sich das junge Ehepaar einig. Manche Dinge haben sich die Schleswig-Holsteiner ganz anders vorgestellt.
Aber von vorn:
Kennengelernt haben sich die beiden während der gemeinsamen Zeit im Internat Louisenlund an der Schlei im Kreis Rendsburg-Eckernförde. Die Wurzeln der beiden Auswanderer liegen in Kronshagen und Molfsee. Carl beendete seine schulische Laufbahn mit dem Abitur 2010, Anna folge zwei Jahre später. Carl begann in der Folge seine Ausbildung in der Ricklinger Landbrauerei nahe Bad Segeberg, machte 2016 seinen Abschluss als Landesbester. Nachdem er im Sommer 2018 seine Meisterprüfung zum Brauer und Mälzer an der Meisterschule Doemens e. V. München absolviert hatte, vermittelte ein alter Freund und Arbeitgeber der Brauerei Austmann in Trondheim den neuen Arbeitsplatz in Tuddal. Während eines Austauschs im Jahr 2015, knüpfte er bereits die ersten Kontakte nach Trondheim. Ein wahrer Glückgriff wie sich herausstellen sollte.
In Tuddal hingegen, war der ehemalige Brauer für qualitative Unregelmäßigkeiten der Marke Fjellbryggeriet verantwortlich, mit allen daraus entstehenden Folgen. Die Betreiber des Tuddal Høyfjellshotels übernahmen die Brauerei, um das Image des Gerstensaftes aufzupolieren und diesen über das Hotel in ganz Norwegen zu vertreiben. Warum also nicht einen deutschen Braumeister einstellen? Wir Deutschen genießen immerhin den Ruf, eine sorgfältige Arbeitsweise an den Tag zu legen – gerade bei der Produktion der international beliebten Hopfenkaltschale.
Für den 28-jährigen Jungbraumeister Koch stellte sich also keine geringere Aufgabe, als das Bier der Fjellbryggeriet neu zu erfinden. Zurück in der Brauerei schaue ich Carl bereits seit einiger Zeit über die Schulter und er berichtet von seinen Anfängen und worauf es beim Brauen ankommt.
Zwei Monate bestand seine Arbeit darin, die Tanks zu reinigen und für einen neuen Brau-Anlauf vorzubereiten. „Bier und Milch sind, was bakterielle Anfälligkeit und Hygienemaßnahmen angeht, sehr ähnlich und sollten mit der gleichen Sorgfalt behandelt werden“, sagt Carl. Es käme daher nicht selten, nachdem Molkereien Insolvenzen angemeldet hatten, zu tumultartigen Szenen. Schließlich haben Brauereien ein gewisses Interesse an der Nutzung der Tanks. Auch für Carl sind diese von großer Bedeutung. Qualität und Geschmack steht und fällt mit dem Zustand der Lagermöglichkeit. Ein Großteil seiner Arbeit besteht aus wiederholtem Temperaturmessen, warten und dem richtigen Timing.
„Das Wichtigste beim Brauen ist, dass Temperatur, Zeit und mechanische Einwirkungen im richtigen Verhältnis zueinander stehen“,
sagt Carl. Geduld und Sorgfalt zählen zu den höchsten Tugenden der Braukunst. Hat das Bier die Hauptgärung abgeschlossen, wird dieses in die nächsten Tanks abgefüllt, in denen der Gerstensaft weiter gärt.
Am nächsten Tag steht Carl schon früh morgens vor seiner Brauerei. In dem leergepumpten Tank, den er mit einem Hubwagen vor den Eingang gefahren hat, sind nur noch die Malzrückstände übrig. Mit einer großen Schaufel hievt er die Masse, die ein wenig an Reis und klein gehäckseltes Soja erinnert, aus dem Tank. Schließlich will dieser gereinigt, desinfiziert und für die nächste Charge vorbereitet werden. Zu tun ist in einem Ein-Mann-Betrieb immer etwas. Am Abend kommt der Braumeister geschafft von der Arbeit nach Hause, freut sich auf den Rentierbraten, den Anna bereits zubereitet hat. Dazu gibt es Kartoffelauflauf und etwas Soße.
Für die Zukunft kann sich das Paar vorstellen, weiterhin in Skandinavien zu leben. Ob dies auf ewig am Fuße des Gaustatoppens in Tuddal, einem kleinen Plateau in Südnorwegen, sein wird, können sie nicht beantworten. Für den Moment ist dies der lebenswerteste Ort, den sich Carl und Anna vorstellen können.