Der Holzbildhauer Volker Genßler darf als einer von wenigen Kielern in einer Kleingartenkolonie leben. Inspiriert von der Natur, hat er sich ein beeindruckendes Zuhause geschaffen.
Tröndelweg 36A – diese Adresse hat Volker Genßler sich selbst gegeben. Sogar die Post kriegt er direkt nach Hause geliefert. Und das schon seit vielen Jahren. Darauf ist er stolz. Man kennt ihn hier. Die Adresse war eine logische Schlussfolgerung: Vorne direkt an der Straße wohnen, ganz offiziell, die Nachbarn im Tröndelweg 36.
„Und ich bin eben A“, erklärt er grinsend.
Seit 30 Jahren wohnt er nun schon hier auf dem Kleingartengelände in Ellerbek. Damals musste er aus seiner Altbauwohnung im Knooper Weg ausziehen, weil er die Miete aufgrund seines geringen Einkommens nicht mehr bezahlen konnte. So entschloss er sich, die kleine Parzelle im Grünen zu seinem neuen Zuhause zu machen. „Am Anfang war das Grundstück total verwuchert und die Laube eine Ruine“, erinnert er sich. Heute ist das Haus, das mit den Bedürfnissen des 57-Jährigen gewachsen ist, ein echtes Kunstwerk und mit einer Laube nicht mehr zu vergleichen. Volker Genßler wohnt hier, umgeben von Bäumen, in vollkommener Harmonie mit der Natur. Der Werkstoff Holz und die geschwungenen organischen Formen spiegeln das wider. Alles hat er selbst entworfen und gebaut: vom Dach bis zu den Möbeln. Gelernt hat er das nie.
Sein künstlerisches Talent entdeckte Volker Genßler fast zeitgleich mit seinem Umzug in die Gartenkolonie. Anfangs schnitzte er nur kleine Figuren, doch mittlerweile fertigt er auch überlebensgroße Skulpturen an und designt Holzmöbel. Sein Haus mit angrenzender Werkstatt gleicht einem Atelier: Überall, auch im Garten, stehen und hängen kleine und große, filigrane und grobe, realistische und abstrakte Kunstwerke aus Holz. Oft sieht man Indianer-Skulpturen, weil sich Volker Genßler sehr für diese Kultur interessiert. „Doch häufig bestimmt auch das Holz das Motiv“, erklärt er, „je nachdem wie es gewachsen ist.“ Besonders stolz ist er auf seine Arbeiten für den Hamburger Abenteurer Rüdiger Nehberg, für den er unter anderem zwei Galionsfiguren schuf: die eine für das Bambusfloß, mit dem Rüdiger Nehberg 1992 von Senegal über den Atlantik bis nach Washington segelte, die andere für den Einbaum, mit dem er 2000 von Mauretanien nach Brasilien reiste. Mit beiden Touren protestierte der Abenteurer damals gegen die Ausrottung der brasilianischen Yanomani-Indianer.
Volker Genßler arbeitet lieber im Hintergrund. Solche spektakulären Aktionen sind nichts für ihn. Er genießt sein zurückgezogenes Leben auf dem Kleingartengelände. „Ich gehe selten raus, oft nur zum Einkaufen“, erzählt er. „Ich stehe nicht gern im Mittelpunkt.“ Auch mit den ärmlichen Lebensumständen hat sich der gelernte Werkzeugmacher arrangiert. Was andere primitiv finden, ist für ihn ganz normal. Zum Beispiel der Holzofen, das Kompostklo oder dass es kein warmes Wasser gibt. Im Winter, wenn die anderen Kleingärtner nicht mehr in die Kolonie kommen, werden die Leitungen sogar komplett abgestellt. Auch das betrachtet der 57-Jährige mit einem Schmunzeln: „Dann gehe ich eben zu meinen Nachbarn im Tröndelweg 36 und fülle mir Wasser ab.“ Nur an eines kann er sich auch nach 30 Jahren nicht gewöhnen: daran, dass es keinen Strom gibt. Strom ist in Kiels Schrebergärten nicht erlaubt. Und so behilft sich Volker Genßler, der wie so viele andere Künstler von Hartz-IV lebt, seit drei Jahrzehnten mit Autobatterien und Stromaggregaten. Doch das ist natürlich teuer. Fernsehen und Musikhören oder so banale Dinge wie Staubsaugen sind für ihn Luxus.
Seit zehn Jahren wohnt er immerhin legal in seiner Parzelle, denn auch das sogenannte „Wohnen im Grünen“ ist in Kiel eigentlich nicht erlaubt. Erst seit Oberbürgermeister Norbert Gansel sich damals für ihn einsetzte, hat Volker Genßler die offizielle Wohnerlaubnis. Nur Strom blieb ihm bisher verwehrt. Ganz nah kam er seinem Traum 2007 bei einer großen Ausstellung seiner Werke im Holstentörn zum 125-jährigen Jubiläum der Kieler Woche, die von Oberbürgermeisterin Angelika Volquartz persönlich eröffnet wurde: Sie versprach, sich der Sache anzunehmen. Einen Stromanschluss hat der Künstler bis heute nicht. „Sie hatte wohl kein gesteigertes Interesse“, meint er. „Nach einem viertel Jahr wurde mir die Absage zugeschickt.“ Nun hofft Volker Genßler auf die Unterstützung von Torsten Albig.
Und noch etwas bereitet ihm Kopfzerbrechen: Schon jetzt steht fest, dass sein Haus nach seinem Tod abgerissen wird, um die Wohnfläche wieder auf die für Schrebergärten üblichen 24 Quadratmeter zu reduzieren und den Garten für die Weiterverpachtung „fitzumachen“. Ohne Rücksicht darauf, ob es sich inzwischen um ein denkmalwürdiges Gebäude handelt.
Besucher und Kunstinteressierte sind bei Volker Genßler jederzeit willkommen. Seine Werke im und um das Haus können käuflich erworben werden. Auch Auftragsarbeiten nimmt der Künstler gerne an.
Kontakt:
Volker Genßler
Tröndelweg 26A, Kiel
Tel.: (0151) 59 25 99 83
Text: Kerstin Klostermann
Fotos: Werner Schumacher