Das metropole Leben an der Förde pulsiert. Durch diese Kolumne zum Kieler Stadtgeschehen wollen wir die Ereignisse der vergangenen Wochen im kollektiven Gedächtnis bewahren. Das sind Kiels brenzlige Themen im November.
Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan ...
Andrew Onuegbu, Betreiber des Restaurants Zum Mohrenkopf in Kiel war Anfang Oktober Gast bei Frank Plaßbergs „Hart aber fair“ im Fernsehen. Dessen Redaktionsteam – immer auf der Suche nach skurrilen, aber nicht unbedingt hilfreichen Ansichten – hatte ihn gefunden: den „Vorzeige-Bimbo“, der uns endlich erklärt, dass wir und die deutsche Geschichte gar nicht rassistisch sind. Das können übrigens Millionen Migrant*innen in Deutschland bestätigen: Mit einem türkischen Namen oder einer afrikanischen Abstimmung findet man viel schneller eine Wohnung oder Arbeitsstelle. Wer nicht nordeuropäisch aussieht, wird auf der Straße ständig freundlich gegrüßt und quasi nie von der Polizei kontrolliert. Herr Onuegbu darf natürlich denken, was er will – ihn im Fernsehen als Exoten mit unsere Vorurteile bestätigenden Ansichten zu präsentieren, ist übrigens rassistisch.
Nicht schnacken, machen ...
Während sich so manch eine öffentliche Institution angesichts der beginnenden Corona-Krise im März vor den Besucher*innen abschottete und auch heute noch nur mit enormen Aufwand für die Bürgerinnen und Bürger erreichbar ist, haben die Beratungsstellen der Industrie- und Handelskammer voll durchgezogen. Mit hohem persönlichen Einsatz und ohne Angst vor Überstunden haben die Mitarbeiter*innen ratsuchenden Firmen in der Corona-Krise geholfen. Als Dank erhalten sie jetzt einen Tag Extraurlaub – eine schöne, pragmatische Lösung, so geht‘s!
Rücksichtslos und inakzeptabel ...
... findet Firma Kriwat das Einfahrverbot von der Ringstraße in den Königsweg und in den Kieler Nachrichten und den sozialen Netzwerken beklagen vermeintlich drangsalierte Autofahrer ausführlichst ihr Leid mit der Kieler Verkehrspolitik. Nun entspricht es zwar gerade dem Zeitgeist sich bei jedem Anlass bis an die Nervenzusammenbruchsgrenze zu echauffieren und den gewählten Volksvertreter*innen die Gefolgschaft aufzukündigen, im vorliegende Fall erscheint das aber doch recht albern. Natürlich haben die Mitarbeiter*innen der Stadtverwaltung nicht in einer Nacht- und Nebel-Aktion die Straße dicht gemacht, das wurde vorher zum Beispiel im Ortsbeirat diskutiert. Die Ratsversammlung ist ja in ihrer jetzigen Zusammensetzung gewählt worden, gerade weil sie sich für Kiel als Klimastadt mit ehrgeizigen Plänen auch in Bezug auf Fahrradfreundlichkeit und Stärkung des Öffentlichen-Personen-Nachverkehrs engagiert. Ich sag mal wie es ist: Die wollen tatsächlich, dass wir mehr Bus, Bahn und Fahrrad fahren.
Kieler Watergate 1
„Fake-News-Affäre der Kieler Nachrichten“ titelte der Spiegel am 10. Oktober. Dass sich der Redakteur der Kieler Nachrichten und der Polizeigewerkschaftssekretär durch ihre Hass-Emails selbst diskreditiert haben, liegt auf der Hand. Aber warum stellen die beiden Spiegel-Redakteure den als Kieler „Rocker-Affäre“ bekannten Polizeiskandal als Fake-News dar? Der zugrunde liegende Sachverhalt ist: Das Kieler LKA hat den Chef der Neumünsteraner Bandidos als Informanten geführt. Nach dessen Beteiligung an einer schweren Körperverletzung an einem Mitglied der Hells Angels, hat das LKA alles unternommen, um diese Beteiligung zu vertuschen, Beweismittel verschwinden lassen und Aktenvermerke gelöscht. Zwei LKA-Beamte, die mit dieser Rechtsbeugung nicht einverstanden waren, wurden aus dem LKA gemobbt, ihre Beschwerden bei den Behördenleitern aus Korpsgeist ignoriert. Dieser Sachverhalt ist auch Ergebnis der Sonderuntersuchung durch den ehemaligen Innenminister Klaus Buß. Die Entscheidung des damaligen Innenministers Grote, drei leitende Polizeibeamte aus ihren Funktionen zu entfernen, war mehr als nachvollziehbar. Dem Leiter der Polizeiabteilung im Innenministerium, Jörg Muhlack, wird übrigens das Zitat zugeschrieben: „Es ist mir egal, wer unter mir Innenminister ist!“. Und das sind dann Fake-News???
Kieler Watergate 2
Der ehemalige Polizeidirektor Ralf Höhs könnte sich eigentlich ein schönes Leben machen. Weil Innenminister Grote ihn zwar aus seiner Funktion entfernen wollte, aber keine Handhabe für eine Degradierung hatte, wurde Höhs bei vollen Bezügen (so um die 9.000 Euro im Monat) nach Hause geschickt und hätte dort offiziell bis zu seiner Pensionierung Überstunden abgebummelt. Was sich für uns wie ein Sechser im Lotto anhört, kratzt bei Höhs allerdings an der Ehre und so klagt er nun gegen seinen Dienstherren. Parallel hat einer seiner ehemaligen Mitarbeiter Strafanzeige gegen das Ministerium gestellt, weil er schwören kann, dass Höhs gar nicht so viele Überstunden gehabt hat, wie er jetzt abbummelt und hier offensichtlich Steuergelder verschwendet werden – es bleibt also spannend. Übrigens, kleiner Hinweis für Verschwörungstheoretiker: genau zum Jahrestag des Todes von Uwe Barschel im Hotel Beau-Rivage.
Und wenn du denkst, es geht nichts mehr ...
101 Jahre ist es jetzt her, dass Paul Willy Lindenau in Memel, dem heutigen Klaipėda, eine der modernsten Werften des gesamten Baltikums gründete. Hier lief 1938 (!) das mit einem turbo-elektrischen Antrieb ausgestattete Fährschiff „Helgoland“ mit Platz für 2.000 Passagiere vom Stapel. Vor den vorrückenden sowjetischen Truppen floh Ende des Jahres 1944 auch Lindenau. Um die verbliebenen Arbeiter nicht zurücklassen zu müssen, ließ er sein mit 2.600 Tonnen größtes Schwimmdock seefest verschweißen, nahm seine Arbeiter mit ihren Familien sowie Werkzeug und Proviant an Bord und zog das Dock mit seinem werfteigenen Schlepper über die Ostsee. Zunächst bis nach Gotenhafen und später in die Kieler Bucht. Am neuen Standort in Kiel Friedrichsort wurden bis zur Insolvenz 2008 mehr als 225 Schiffe gebaut.
Nachdem es in den letzten Jahren so aussah, als ob alle Anstrengungen für den Fortbestand der Werft zumindest als Reparaturbetrieb zum Scheitern verurteilt sind, startete jetzt die Rendsburger Nobiskrug-Werft bereits im Oktober mit der Reaktivierung des Schwimmdocks durch, um hier Luxusjachten zu bauen. Das wäre schon schön, wenn Kieler Werften nicht nur für Kriegsschiffsbau stehen.
Ahoi und beste Grüße,
Jörg Stoeckicht