Die Feuerwehr ist immer zur Stelle, wenn es um die Rettung von Menschen geht – auch in gefährlichen Höhen. KIELerLEBEN-Redakteurin Dana Wengert wurde bei einer Übung der Höhenrettungsgruppe der Kieler Feuerwehr abgeseilt.
Der Wind pfeift mir um die Ohren, während ich mich Stufe um Stufe weiter vom Boden entferne. Zehn Meter, ich bin entspannt. Zwanzig Meter, langsam werden die Arme schwer. Dreißig Meter, das ist ja doch ganz schön hoch … Dann ist es geschafft, und ich bin oben angekommen, mit wackligen Beinen betrete ich die Plattform des IKEA-Werbeturms. Ein Blick über das Geländer: 35 Meter Abgrund. „Und dann steigst du einfach über das Geländer und wir lassen dich ab“, höre ich Oberbrandmeister Andreas Franke sagen. Ich muss schlucken. Einfach über das Geländer steigen? Wenn es weiter nichts ist …
Grund für diesen Ausflug in luftige Höhen ist eine Übung der Höhenrettungsgruppe, bei der ich heute nicht nur zuschauen darf. Ich werde am eigenen Leib erleben, wie sich eine Rettung aus dieser Höhe anfühlt. Die Höhenrettungsgruppe ist eine von der Berufsfeuerwehr Kiel um Andreas ins Leben gerufene Einheit, die sich auf die Rettung und Bergung aus Höhen und Tiefen spezialisiert hat. Die Gruppe gibt es offiziell seit vier Jahren. Die Feuerwehrmänner opfern große Teile ihrer Freizeit, um sich weiterzubilden und den Ernstfall zu proben, damit sie im Falle eines Einsatzes bestens vorbereitet sind. Daher trainieren sie alle erdenklichen Szenarien. Mal gilt es, einen ohnmächtig gewordenen Kranführer aus luftiger Höhe zu retten, mal führt sie ihr Auftrag in einen von Kiels zahlreichen Kanälen und Schächten.
Stufe für Stufe geht es 35 Meter in die Höhe auf den IKEA-Werbeturm
Heute geht es also auf den IKEA-Werbeturm. Andreas und sein Team treffen schnell und routiniert die Vorbereitungen: Die Seile werden an die Träger geknotet und heruntergelassen, die Steigklemmen und Karabiner an den passenden Stellen am Seil angebracht. Feuerwehrmann Jan Muhs wird mich heute „retten“. Bevor er sich in die Abseilposition begibt, überprüft er gewissenhaft unsere Ausrüstungen. Am Körper tragen wir eine Kombination aus Hüft- und Brustgurt, auf dem Kopf einen Helm. Alle Gurte werden noch einmal festgezurrt, und schon steigt Jan voraus. Er ist mit mehreren Karabinerhaken am Seil befestigt sowie während des Umsteigens auch am Geländer. Ist er gut auf der anderen Seite angekommen und befindet sich in hängender Position, wird die Sicherung am Geländer entfernt. „Alles klar, und jetzt du“, sagt Andreas. Meine Knie werden weich. Ich rücke noch einmal den Helm zurecht und atme tief durch.
Feuerwehrmann Jan Muhs und Redakteurin Dana Wengert werden abgeseilt
Auch ich werde zunächst an den Stahlstreben angebunden. Vorsichtig steige ich auf das Geländer. Das sind ja ganz schön viele Seile um mich herum. Ich überlege gut, wo ich meinen Fuß platziere, schließlich muss ich mich oben auch noch einmal umdrehen. Ich weiß, dass mir nichts passieren kann, doch abrutschen und Jan einen Tritt verpassen will ich auch nicht. Auf der anderen Seite angekommen, werfe ich noch einen kurzen Blick nach unten: Außer Jan, der zufrieden in den Seilen baumelt, sehe ich die plötzlich winzig kleinen Autos auf dem IKEA-Parkplatz. Jetzt kommt der entscheidende Moment, das Loslassen. Ich halte mich an Jans Gurt fest und gehe in die Hocke. Erst ein Fuß, dann der andere und – ich hänge im Nichts. Zu spät, jetzt lässt es sich nicht mehr ändern, ich füge mich meinem Schicksal und: Es ist ein unglaublich befreiendes Gefühl, wie Schweben, ja, wie Fliegen beinahe.
Die Männer oben beginnen, uns vorsichtig abzulassen. Da hängen wir, in 35 Metern Höhe, um uns herum nur der Wind. Jetzt erst fällt mir auch der atemberaubende Ausblick auf, der sich einem von hier aus bietet. Ich kann den CITTI-PARK und die kleinen vorbeisausenden Autos auf dem Westring sehen. Dort hinten erblicke ich die Hochhäuser in Mettenhof, auf der anderen Seite das Rathaus. Ich genieße das Gefühl der Freiheit. Tief atme ich ein, während wir in gemächlichem Tempo dem Boden entgegengleiten. Viel zu schnell ist es vorbei, und meine Füße berühren auch schon wieder den Boden. Ein Blick zurück nach oben, wo ich noch vor wenigen Minuten den Höhenrausch erleben konnte: Von unten sieht es tatsächlich ein ganzes Stück niedriger aus, als es sich oben anfühlte.
Vom IKEA-Werbeturm aus hat man einen wunderbaren Ausblick über Kiel
Während der Rest der Truppe sich ebenfalls abseilt und die Ausrüstung einpackt, erzählt mir Andreas: „Bei der Feuerwehr merkten wir irgendwann, dass es hin und wieder Situationen gab, wo man mit der Drehleiter nicht mehr weiterkam. Fand ein Einsatz in schwer zugänglicher Höhe oder in ungesicherter Tiefe statt, war dieser besonders gefährlich.“ So entschloss man sich, eine speziell geschulte Gruppe von Feuerwehrmännern zu gründen. Heute ist in jeder der vier Wachabteilungen der Feuerwehr immer mindestens eines der elf Mitglieder der Truppe eingeteilt, sodass im Notfall sofort reagiert werden kann.
Während das Adrenalingefühl langsam verebbt, werfe ich noch einmal einen Blick zurück auf die Höhenretter, die gerade ihre Ausrüstung im Wagen verstauen. Ein bemerkenswerter Einsatz, den die Jungs hier leisten. So schön das Gefühl des Schwebens war, ich bin froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.