Alles spricht von der umstrittensten Fußball-Weltmeisterschaft, die es in ihrer 92-jährigen Geschichte gab. Taten wollen viele in Form von TV-Abstinenz folgen lassen. Helfen wird das allerdings wohl nur dem eigenen Gewissen.
Wenn am kommenden Sonntag ab 17 Uhr mitteleuropäischer Zeit der Ball im Eröffnungsspiel der Fußball-Weltmeisterschaft zwischen dem Gastgeberland Katar und Ecuador rollt, werden dies 40 Menschen nicht miterleben. Nicht, weil sie etwa den Fernseher nicht einschalten oder kein Ticket für dieses sportlich hochansehnliche Fussballspektakel (Ironie aus) erworben haben, sondern weil sie tot sind. Das ist zumindest die Zahl der Todesopfer von Mitarbeitenden auf WM-Baustellen, welche das Organisationskomitee offiziell bestätigte. Sogenannte „Non-Work-Related-Deaths“, wie sie die Organisatoren bezeichnen. Kalt, herz- und empathielos. Irgendwie jedoch symptomatisch für eine Veranstaltung, der es an allem fehlt, was uns während der Vergangenheit so mitgerissen hat – selbst diejenigen, die mit dem Sport überhaupt nichts anfangen konnten und sich dennoch die schwarz-rot-goldene Flagge auf die Wangen gemalt haben und mit einem Mario-Götze-Trikot zum Public Viewing pilgerten.
Die Unverbesserlichen
Gemeinsam Fußball schauen, ein Erlebnis für alle – von derartigen Massenveranstaltungen wird der ganz große Teil in diesem Winter fernbleiben. Das zumindest ergab eine Umfrage im Auftrag der Sportschau und des ARD-Morgenmagazins: 56 Prozent wollen nicht zusehen, wenn Mario Götze, Niclas Füllkrug und ihre Kollegen im schwarz-weißen Dress der Nationalmannschaft auflaufen und erneut den Versuch starten, den Weltpokal nach Deutschland zu holen. Eine Haltung, an der sich die Geister scheiden. Denn wer die WM verfolgt, unterstützt das Vorhaben Katars, diese Veranstaltung zu einem Erfolg werden zu lassen. Ein Land, in dem Homosexualität gesetzlich verboten ist; in einem Land, in dem Frauen systematisch benachteiligt werden; in einem Land, in dem Hunderttausende Arbeitsmigrant:innen – meist Bauarbeiter und weibliche Hausangestellte – unter elenden, teils sklavenähnlichen Bedingungen schuften. Auf der anderen Seite stehen die „Resignierten“, ich nenne sie die „Fragenden“. Sie werden nicht müde, anderen die Frage zu stellen „Was kann ich denn schon von Deutschland aus tun?“ oder „Welchen Einfluss hat denn schon meine Meinung?“. Sie wollen sich nicht mit derart anstrengenden Themen beschäftigen, die fernab ihrer Lebenswelt liegen. Dies scheint auch die Lebenswelt des Kollegen Reitz von Focus online zu sein, der gerade elf Gründe aufgeschrieben hat, wieso das Nichteinschalten der WM als Protestform eigentlich völliger Quatsch sein soll. #Micdrop. Wäre mein Leben ein Cartoon, hätte ich nun sehr viele Fragezeichen in einer Denkblase über dem Kopf.
Kicken gegen Katar
Ich freue mich hingegen über Aktionen, die sich unter dem Motto #BackToBolzen eines Fanprojektes des FC Schalke 04 zusammenfassen lassen. Das Ziel: Statt sich die Übertragungen anzuschauen, sollen möglichst viele Menschen, Organisationen und Vereine an den Spieltagen der FIFA WM 2022 zwischen dem 21. November und dem 18. Dezember 2022 selbst aktiv werden – nämlich indem sie Fußball spielen oder Menschen, die spielen, unterstützen, mit ihnen feiern und Freude am Spiel haben. Gleichzeitig finde ich es erstaunlich, dass eine solche Protestform bislang (noch) nicht von Kieler Vereinen kommuniziert wurde, wie ein gemeinsames Spaßturnier, bei der das gemeinsame Kicken im Vordergrund steht. Zurück zu den Wurzeln eben.
Kein Public Viewing
Die WM in Katar lässt sich natürlich nicht mehr verhindern, so viel ist sicher. Akzeptieren muss man sie deshalb jedoch noch lange nicht. Und während „Zurück zu den Wurzeln“ für einige Stoiker bedeutet, die Fussball WM in der Kneipe von nebenan mit den Kumpels zu verfolgen, durchkreuzt die Kieler Institution Palenke ihre Pläne. Hier wird es in den kommenden vier Wochen keinen Fussball zu sehen geben. Ebenso positionieren sich weitere Veranstaltungshäuser in Flensburg unter dem Motto: „SCHWULSEIN IST „HARAM“ – NICHT IN UNSEREN HÄUSERN! In der Flens-Arena, dem Deutschen Haus sowie dem Flensburger Punschwald wird es kein Public Viewing geben.