Auch nach 70 Jahren haben Charlie Chaplin und seine Filme ihre Anziehungskraft nicht verloren. Am vergangenen Sonntagabend erlebte das Publikum im Kieler Schloss ein ganz besonderes Kino-Ereignis: Im Rahmen der Con Spirito-Reihe wurde Charlie Chaplins Stummfilmklassiker „Lichter der Großstadt“ aus dem Jahr 1931 gezeigt und dabei vom Philharmonischen Orchester des Theater Kiel mit Live-Musik unterlegt.
Selten ist Kino heutzutage noch so ein „Erlebnis“ wie an diesem Sonntagabend. Das Publikum gestaltete sich bunt gemischt: Jung und Alt, Anzugträger und Jeans-Bevorzuger, Film-Fanatiker und Orchester-Liebhaber – sie alle wollten Chaplins Stummfilm-Hit sehen.
Dabei hatten die Verantwortlichen der Con Spirito-Reihe klug gewählt. Schon in der vergangenen Saison sorgte Chaplins „Gold Rush“ mit Live-Orchester im Schloss für Begeisterung. Mit „Lichter der Großstadt“ konnte also nicht viel schief gehen. Zumal die wunderbar anrührende Geschichte schon für sich überzeugt:
Chaplins Kultfigur, der Tramp, verliebt sich in ein blindes Blumenmädchen, das irrtümlich annimmt, der Tramp sei ein Millionär. Wie passend, dass der Verliebte am gleichen Abend noch einen echten Millionär davon abhalten kann, sich umzubringen, und in der Folge dessen bester Freund wird. Gemeinsam betrinken sie sich, schmeißen mit Geldscheinen nur so durch die Gegend, feiern, tanzen, torkeln. Es kommt zu einer turbulenten Szene in einem Restaurant, welche die Zuschauer im Schloss vor Lachen kollektiv beinahe aus den Sitzen haut – der ganze Saal grölt.
Am nächsten Morgen das böse Erwachen: Nüchtern kann sich der Millionär an die herrlichen Turbulenzen überhaupt nicht mehr erinnern und setzt den Tramp vor die Tür. Der Tramp aber, der dem mittellosen Blumenmädchen unbedingt die ausstehende Miete und eine Augenoperation in Europa bezahlen will, geht nun selber arbeiten. Auch diese Bemühungen sind zwar nicht unbedingt von Erfolg gekrönt, führen aber zum komödiantischen Höhepunkt des Films:
Als Preisboxer stellt sich der Tramp einem haushoch überlegenen Gegner. Eine ausgefeilte Choreografie ermöglicht es ihm jedoch immer wieder, dem Gegner den einen oder anderen Schlag zu verpassen. Spätestens jetzt ist das Publikum vom Chaplin-Humor berauscht und fiebert lautstark mit – und zwar ausnahmslos. Von links hört man glucksendes Kinderlachen, von rechts tiefes Altherren-Gejohle. Und auch als der Tramp dann plötzlich doch einknickt und einen Hieb nach dem anderen kassiert, leiden die Zuschauer bei jedem Schlag unüberhörbar mit.
Das Orchester, das an diesem Abend unter der Leitung von Johannes Willig spielt, legt sich so richtig ins Zeug. Schon mit dem ersten Ton ist klar, dass dies ein besonderer Abend werden würde. Selten hat man bei einem Konzert so viele lächelnde Musiker gesehen; Chaplins Energie hatte offensichtlich auch sie angesteckt.
Kino wird so, was es ganz früher einmal war: ein individuelles Erlebnis von Gemeinschaft. Und weil dieses in Kiel unikate Format beim Publikum so gut ankommt, ist für die kommende Saison schon ein weiterer Stummfilm-Orchester-Abend in Planung. Noch bis Ende dieser Woche kann im Internet abgestimmt werden, welcher Film kommendes Jahr im April im Rahmen von Con Spirito gezeigt wird: „Panzerkreuzer Potemkin“, „Nosferatu“ oder mit „The Circus“ doch wieder ein Chaplin-Klassiker? Wer momentan die Nase vorn hat, ist nach dem Erfolg von „Gold Rush“ und „Lichter der Großstadt“ jedenfalls nicht schwer zu erraten.