Die geglückte Premiere von Georg Friedrich Händels „Radamisto“ am Samstagabend im Kieler Opernhaus erntete viele Bravo-Rufe und nicht enden wollenden stürmischen Applaus des zahlreich erschienenen Publikums. Was nicht weiter verwunderlich war, denn schon 1720 bei seiner Uraufführung in London wurde das Werk mit königlichem Gütesiegel ausgezeichnet und zählte zu den größten Erfolgen in Händels Leben.
Am Dirigentenpult ließ der Barockspezialist Rubén Dubrovsky das Philharmonische Orchester Kiel in den Klangfarben seiner reichen Instrumentierung aufleuchten, und führte die Zuschauer durch die Welt als Zirkus und den Zirkus als Welt.
Der jungen Kieler Regisseurin Nele Tippelmann, die auf der großen Opernbühne debütierte, gelang eine clowneske Umsetzung des „dicken barocken Schinkens“ in gekürzter Form. Schlagartig versetzte sie die Besucher mitten hinein ins Drama, in dem sich der edle Radamisto (Antonio Giovannini) und die schöne Zenobia (Amira Elmadfa) plötzlich wiederfinden.
Wie Sterne auf der Umlaufbahn
„Zirkusdirektor“ Fraarte (Hanna Herfurtner) eröffnet den Blick auf das Bühnenbild. Über allem schwebt ein Planet samt Umlaufbahn, der je nach Situation zwischen saftiger Orange und schwerer Eisenkugel pendelt. Im Hintergrund wechselt eine Ellipse ihre Farben und dient später als Sternenhimmel. Auf der schräg montierten schmalen Umrandung der Manege balancieren die Protagonisten durch ihre Innen- und Außenwelt. Das Gefühl, dass alles aus dem Ruder läuft, ist jederzeit spürbar. Dabei scheint die Welt am Anfang noch in Ordnung. Ausgelassen werfen sich König Farasmane (Ulrich Burdack), Kinder und Schwiegerkinder Orangen zu, bis das Bild erstarrt.
Ein Spiel aus Macht und Eifersucht
Denn der machthungrige Tiridate (Kyung-Sik Woo) lechzt nach der Herrschaft über das Reich seines Schwiegervaters König Farasmane. Aber das allein reicht ihm nicht. Obwohl mit Polissena (Şen Acar), Radamistos Schwester, verheiratet, begehrt er Zenobia. Und dabei steht ihm Radamisto im Weg. Zielstrebig nimmt Tiridate Farasmane gefangen und droht ihn zu ermorden. Zenobias Entschluss steht fest: Lieber sterben als dem Tyrannen in die Hände fallen. Auf der Flucht bittet sie Radamisto, ihr Leben zu beenden, doch er kann es nicht übers Herz bringen. Daraufhin schreitet sie selbst zur Tat. Fraarte, Tiridates Minister, rettet Zenobia und bringt die Unglückliche zu ihrem Verehrer, der in seinem unerbittlichen Werben nicht locker lässt.
Fraarte nimmt das Zepter in die Hand
Kurz darauf begleitet Fraarte Radamisto, der sich als Diener Ismeno verkleidet hat, zu Polissena, die er für einen Anschlag auf ihren untreuen Mann gewinnen will. Diese ist hin- und hergerissen zwischen der Zuneigung zu ihrem Bruder und der Liebe zu ihrem Ehemann. Ismeno überbringt seinem Rivalen die Nachricht von Radamistos Tod, doch Zenobia erkennt ihren Geliebten sofort. Mit einem Attentat sehnt Radamisto die Befreiung von Tiridates Tyrannei herbei, doch Polissena wirft sich dem Streich entgegen. Jetzt sinnt Tiridate auf Rache. Zenobia muss sich entscheiden: Entweder sie wird seine Frau oder Radamisto stirbt. Endlich hat Polissena genug von den Demütigungen ihres Mannes und kehrt ihm den Rücken. Schmerzerfüllt verabschiedet sich Zenobia von Radamisto. In letzter Sekunde wendet sich das Blatt. Der Bösewicht verliert seine Krone, bekommt dafür aber eine Clownsnase aufgesetzt.
Ein Zirkus voller Arien
Der Star des Abends war zweifellos der junge Florentiner Counter-Tenor Antonio Giovannini in der Titelpartie des Radamisto. Seine fragile, weiche Stimme flutete die Bühne. Nicht nur darstellerisch harmonierte er mit Amira Elmadfa als Zenobia, deren glühender Mezzosopran sofort mitriss. Die Sopranistin Şen Acar sang ihre Rolle der Polissena zwischen Schmerz, Angst und Freiheitswillen mit so viel Hingabe, dass dem Publikum zeitweise der Atem stockte. Ihr Gatte, Bariton Kyung-Sik Woo, zeigte sich in der Tiefe oft bedrohlich.
Gefangen im Reifrock
Der Verzicht auf opulente barocke Kostüme schadet der Inszenierung nicht. Im Gegenteil. Kostümbildnerin Sabine Keil lässt eine skurrile Fantasiewelt entstehen. Polissenas Reifrock und ihr eingeschnürtes Mieder zeigen ihre Gefangenheit in den Konventionen der Zeit. Erst am Ende des Stückes kann sie ihn abstreifen, sich somit ein Stück weit emanzipieren. In ihren orientalischen Pumphosen wirkt Zenobia wesentlich bodenständiger und handlungsmutiger. Karierte, gestreifte und gepunktete Stoffe in dezenten Farben kontrastieren zu der bevorzugten Haarfarbe des Abends – einem flammenden Rot. Ebenso entflammt war das Premierenpublikum, das die seltene Gelegenheit „historischer Aufführungspraxis“ in vollen Zügen genoss.
Weitere Termine unter www.theater-kiel.de.
Text: Bianca Thedens
Fotos: Olaf Struck