Die meisten erinnern sich sicher an die Szene, in der „Pretty Woman“ Julia Roberts bei ihrem ersten Opernbesuch Tränen der Rührung vergießt. „Wer bei dieser Oper nicht weint, ist kein Mensch“, tröstet sie Richard Gere. Gemeint ist „La Traviata“, die wohl „schönste Oper aller Zeiten“. Am Samstagabend feierte die Neuinszenierung am Kieler Opernhaus Premiere.
Still war es, als der Vorhang fiel, doch dann verschaffte sich die Begeisterung Platz – Ovationen für Sänger, Regisseur Uwe Schwarz und Leo Siberski am Dirigentenpult. Bereits mit den ersten Akkorden hatte Giuseppe Verdi die Vorboten des Todes ins Rennen geschickt.
Verlorene Träume
Deshalb erstrahlt auch das gewaltig konstruierte Opernhaus auf der Bühne keineswegs in prachtvollem Gold, sondern kleidet sich in ein morbides niederdrückendes Schwarz (Ausstattung: Heiko Mönnich – basierend auf einer Konzeption des verstorbenen Regisseurs Thomas Wünsch). Selbst das wenige Licht, das eindringt, ist fahl und kalt. Hier muss es schon glücklichere Tage gegeben haben, hier gab es vermutlich schon grandiosere Vorstellungen. Nun verkommt das angefressene Bauwerk und mit ihm ein ganzes Zeitalter, daran können auch die lebendigen Tanzeinlagen von Sonia Dvorak und ihrem Pas-de-deux-Partner Sebastian Grundler nichts ändern.
Kurtisanen liebt man nicht
Violetta (Ekaterina Isachenko) ist das Schmuckstück auf jedem Fest – bildschön, heftig umschwärmt und zugleich todkrank. Deshalb darf sie auch im rubinroten Kleid lebenshungrig auf dem Flügel tänzeln. Als ihr der naive Alfredo Germont (Yoonki Baek) seine Zuneigung gesteht, schleudert sie ihm ihr Credo entgegen: „Das Leben besteht aus feiern, so lange man nicht liebt!“ Der Blick in den Spiegel jedoch verrät ihre Angst, hinter der sinnlichen Fassade der Kurtisane, die wahre Liebe zu verpassen. So lässt sie schließlich ihren Gefühlen für Alfredo freien Lauf und riskiert den Sprung in die andere, vermeintlich vornehmere Hälfte der Welt. Nach ein paar unbeschwerten Monaten zu zweit wird klar, das gemeinsame Leben ist kostspielig. Nun hat sich Alfredos Vater Giorgio Germont (Tomohiro Takada) das Treiben vom sicheren Logenplatz aus lange genug mit angesehen. Ihm missfällt die Affäre seines Sohnes, vor allem weil er dadurch die bevorstehende Hochzeit seiner Tochter und die Familienehre in Gefahr sieht. Diesen Argumenten machtlos ausgeliefert, trennt sich Violetta von Alfredo. Ein Leben am seidenen Faden, da bietet auch der Griff nach den schweren, schwarzen Vorhängen ihrer rauschhaften Vergangenheit keinen Halt mehr. Im Schein brennender Kerzen kehrt Alfredo zu ihr zurück. Zu spät – ihr Herz ist schon zerbrochen.
Überzeugendes Trio
Die Sopranistin Ekaterina Isachenko gibt ihrer Violetta neben sanft-erotischen Zügen auch eine bestechende Fragilität mit auf den Weg. Immer wieder leuchtet ihre Stimme in der Finsternis. An ihrer Seite wird Yoonki Baek nicht müde seinen zart schmelzenden Tenor mit unerschütterlicher Hoffnung zu versehen. Der Dritte im Bunde Tomohiro Takada in der Rolle des strengen Vaters schwankt zwischen fragwürdigen Moralvorstellungen und Mitgefühl. Seinen Bariton präsentiert er dabei in exzellenter Manier. Unter dem Dirigat von Leo Siberski gelingt es dem Philharmonischen Orchester Kiel den psychologischen Konstellationen des Werkes nachzuspüren: feinfühlig, tiefschürfend und packend.
Text: Bianca Thedens
Fotos: Olaf Struck
Aufführungen: 14., 17., 25. und 27. Oktober; 16. und 29. November, 28. Dezember, 8. und 19. Januar; 3., 16. und 24. Februar; 15. März, weitere Termine unter www.theater-kiel.de