Mit prasselndem Applaus wurde am Pfingstsamstag die „Schachnovelle“ aus der Kompositionsfeder von Cristóbal Halffter im Kieler Opernhaus uraufgeführt. Nach der gleichnamigen Erzählung von Stefan Zweig inszeniert Regisseur Daniel Karasek ein gelungenes Stück über den mitreißenden Kampf eines freien Geistes gegen ein faschistisches Regime. Das Libretto verfasste der ehemalige Kieler Chefdramaturg Wolfgang Haendeler.
Schwarz gegen Weiß
Sonnenstrahlen dringen durch die üppig gefüllten Buchreihen. So sah es hier nicht immer aus. Dr. Leo Berger (Jörg Sabrowski) zieht ein Buch aus dem Regal und liest. Es ist die „Schachnovelle“ von Stefan Zweig.
Dass ein Buch ein Leben verändern kann, ist vielleicht nichts Ungewöhnliches. Dass aber ein Buch über Schach einen Menschen zuerst in tiefen Wahn stürzt und ihm anschließend das Leben rettet schon. In einer finsteren Welt, in der der Nationalsozialismus regiert, brennt das Licht grell im blendenden Weiß leergefegter Bücherregale. Schrill durchschneidet die Stimme des Gestapo-Offiziers (Michael Hofmeister) jeden klugen Gedanken. Unheil grollt aus der Tiefe des Orchestergrabens. Die Hauptfigur Dr. Berger kämpft im Wiener Hotel Metropol ums nackte Überleben. Von ständigen Verhören gemartert, fristet er in völliger Isolation ein trostloses Dasein. Um sich vor der geistigen Zerstörung zu retten, stiehlt er ein Buch. Doch das herbeigesehnte literarische Werk birgt lediglich die größten 50 Meisterpartien berühmter Schachspieler.
Spiel um dein Leben!
Wütend und enttäuscht spielt er dennoch die Partien auf einer karierten Decke mit Figuren aus Kandiszucker nach. Weil er schnell alle Spielzüge auswendig beherrscht, beginnt er, gegen sich selbst zu spielen. Einsam wimmert die Solo-Bratsche, mehr und mehr fiebert sich Dr. Berger in den gefährlichen Schach-Wahn. Inzwischen haben die Schachfiguren (Choreinstudierung: Barbara Kler) mit ihren Armbinden bedrohlich Position bezogen. Unaufhaltsam taumelt er dem psychischen Zusammenbruch entgegen, der ihn letztlich aus den Fängen der Nationalsozialisten befreien wird. Dabei tobt ein tosender Klangsturm, den Generalmusikdirektor Georg Fritzsch vor groß besetztem Orchester wohl zu organisieren weiß, über die Zuhörer hinweg.
Kreativität, Fantasie und die Kraft des Geistes
Nach Kriegsende begegnet Dr. Berger auf einem Passagierschiff gemeinsam mit seiner Krankenschwester (Heike Wittlieb) dem amtierenden Schachweltmeister Czentovic (Tomohiro Takada, als Kind: Clemens Marcic). Als dieser den spielsüchtigen McConnor (sehr präsent: Michael Müller) in einem geistlosen, rein finanziell-motivierten Spiel schlägt, fordert Dr. Berger Czentovic heraus. Während der Schachpartie holen ihn die bedrückenden Erlebnisse seiner Haft wieder ein. Trotzdem setzt er Czentovic matt – zu spät, denn seine Zugzeit ist bereits abgelaufen. Der Idealist Berger verliert das Spiel, gewinnt aber etwas viel Kostbareres: Er kann nach Wien zurückkehren, mit der Vision, „eine Welt aufzubauen, wo Geist und Würde nicht mehr schutzlos sind“.
Auf Halffters Musik muss man sich einlassen
In der Regie bleibt Daniel Karasek klar und aufgeräumt. Er trägt der ohnehin hochemotionalen, fast aggressiv anmutenden und atemlosen Komposition Halffters Rechnung, und überfrachtet die Inszenierung nicht mit blutigen Krägen an den Kostümen, die Claudia Spielmann im realistischen Zeitbezug der 1930er und 1950er Jahre geschaffen hat. Unverzichtbares Mittel bleiben aber die wirkungsvollen und aufwendigen Videoprojektionen von Konrad Kästner. Dazu passt auch das weiträumige Bühnenbild von Norbert Ziermann, das jedoch die enge Welt Dr. Bergers in seiner Intensität kaum nachbilden kann.
Gut gegen Böse
Großartig mitanzusehen wie Jörg Sabrowski dem verzweifelten Dr. Berger Leben einhaucht: wortgewaltig, kraft- und klangvoll. Ein bemerkenswerter Schachzug gelingt dem spanischen Komponisten, indem er den Gestapo-Offizier mit einem Countertenor besetzt. Michael Hofmeister verkörpert ihn in beklemmender und entnervender Schärfe. Im Wohlklang übt sich das Böse eben nicht. Das Premierenpublikum nahm das sichtlich beeindruckt zur Kenntnis.
Weitere Aufführungen im Kieler Opernhaus:
2. Juni um 18 Uhr, 6. Juni um 20 Uhr, 11. Juni 19:30 Uhr und am 19. Juni um 19:30 Uhr
Text: Bianca Thedens
Fotos: Olaf Struck