Antje Ahlering (29) und Manuela Uehlken (25) aus Kiel reisten im Rahmen des Tramprennens per Anhalter quer durch Osteuropa. Zielort war das litauische Mindunai
Heutzutage trampt doch kaum noch jemand …“ Dies ist einer der häufigsten Sätze, den Anhalter hören, kurz nachdem sie in den Lift – das Auto, das sie mitnimmt – gestiegen sind. Auch Antje Ahlering und Manuela Uehlken haben diesen weit verbreiteten Irrglauben zwischen Mitte August und Anfang September des Öfteren zu hören bekommen. In diesem Zeitraum nahmen die Kielerinnen am Tramprennen teil – einem Rennen, welches von Ehrenamtlichen organisiert wird und stets zu dieser Zeit des Jahres stattfindet (siehe Infokasten auf der rechten Seite). In diesem Jahr ging es für die 120 Teilnehmer, die jeweils in ihren Zweier- oder Dreier-Teams einer der vier Routen zugelost wurden, ins litauische Mindunai.
Da es für Antje und Manuela bereits die vierte Teilnahme war, gingen die beiden relativ entspannt in die diesjährige zehnte Auflage des Rennens. Nachdem alles Lebensnotwendige für die kommenden drei Wochen im Backpack-Rucksack verstaut worden war, machten sich die Studentinnen von ihrer gemeinsamen Wohngemeinschaft aus auf in Richtung Grünes Herz, einem bei Trampern beliebten Platz unweit der Alten Meierei. Am „Spot“ folgte der Handlungsablauf, der für das Duo in nächster Zeit gewissermaßen Routine werden sollte: Gepäck ablegen, an die Straße stellen, den Daumen raushalten und hoffen, dass bald ein Auto anhält. Schließlich hatten sich die beiden Erfurt als Startort ausgesucht.
Nachdem die Freundinnen die Anreise in die Landeshauptstadt Thüringens quasi als Trainingsphase für das nahende Rennen genutzt hatten, lernten sie vor Ort ihren Tramppartner Hanoch Busch kennen. „Da das Regelwerk vorsieht, dass jedes Team aus mindestens einer Frau und einem Mann bestehen muss, haben wir vorher auf der Hitchmate-Börse der Tramprennen-Homepage Hanoch angeschrieben, um zu dritt ein Team zu bilden“, erklärt Antje. Nach einem kurzen Kennenlernen ging es für die beiden Nordlichter und den Niederländer am 18. August auch schon los: Die erste Etappe führte sie nach Görlitz. Dort angekommen, ging es den für das Tramprennen typischen Gang: Nach und nach trudelten die einzelnen Teams der Route an dem im Vorhinein bestimmten Treffpunkt ein. „Diejenigen, die als erstes das Etappenziel erreicht hatten, ziehen dann irgendwann los, um eine Schlafgelegenheit für die gesamte Gruppe auszukundschaften“, berichtet Manuela. Da das Rennen komplett ehrenamtlich organisiert wird, gibt es lediglich einen zuvor grob abgesteckten Reiseplan inklusive mehrerer Zwischenstopps, aber kein All-inclusive-Angebot. Für Nahrung und Unterkunft sorgt jeder Teilnehmer selbst.
Nach der ersten Etappe genoss das Trio gemeinsam mit den anderen Mitgliedern der Route in Görlitz den Brückentag. Dieser ist stets fest eingeplant, um allen Nachzüglern, die irgendwo auf der Strecke steckengeblieben sind, den Anschluss zur Gruppe zu ermöglichen. So ging es für die Drei per Daumen über das schlesische Dorf Olza nach Warschau. „Auf dieser Etappe haben wir nur zwei Lifts gebraucht, weil unser erster Fahrer bei einer Reisegesellschaft gearbeitet hat und per Funk dann gleich den nächsten Reisebus für uns klargemacht hat“, erzählt Antje von einer dieser klassischen Anekdoten, die sich so auch nur beim Trampen zutragen.
Von der Hauptstadt aus ging es nach Bryzgiel im östlichsten Rand Polens. „Um in das kleine Dorf zu kommen, mussten wir bei unserem letzten Lift im Kofferraum mitfahren“, erinnert sich Manuela. Als nächstes führte die Reise ins litauische Ukmerge, wo die beiden mangels Schlafplatz vor einer Psychiatrie campten. „Das haben wir aber erst am nächsten Tag gemerkt“, ergänzt Antje und lacht. Nach Stopps in Riga und Svedasai erreichten sie dann nach zwei Wochen den Zielort Mindunai. Ihr letzter Lift war ausgerechnet der in Litauen berühmte Rallye-Fahrer Benediktas Vanagas. Nach einigen freien Tagen kehrten die Kielerinnen schließlich per Fähre von Klaipeda aus zurück nach Hause.
Gewonnen haben sie das Rennen zwar nicht, dabei sein wollen sie im nächsten Jahr aber natürlich trotzdem wieder. „Denn das Besondere am Trampen ist, dass man mit Menschen in Kontakt kommt, die man so vermutlich sonst nie getroffen hätte.“ Also werden die beiden wohl auch im kommenden Sommer erneut den Daumen raushalten, auf den Straßen Europas unterwegs sein und irgendwann garantiert wieder den folgenden Satz hören: „Heutzutage trampt doch kaum noch jemand …“ (bak)
Das ist das Tramprennen
Im Jahr 2006 reisten ein paar Freunde per Anhalter nach Korsika. Unterwegs kam ihnen die Idee, einen Wettkampf daraus zu machen, wer als erstes das Ziel erreicht. Daraus entstand der Plan, ein Rennen zu veranstalten. 2008 traten elf Personen in fünf Teams beim ersten offiziellen Tramprennen von Hamburg nach Zaragoza gegeneinander an. 2009 waren es dann schon 34 Tramper, die in 14 Teams per Anhalter von Kiel nach Dubrovnik einen Sieger ermittelten. Da einige der Teilnehmer sich für Viva con Agua engagierten, kam die Idee auf, im Zuge des Rennens durch Sponsoren aller Art Spenden für die Hamburger Trinkwasserinitiative zu generieren. So kamen 2010 bereits stattliche 10.700 Euro für sauberes Trinkwasser zusammen. Seit 2011 war die Zahl der Teilnehmer stets dreistellig. Bisher sind über 90.000 Euro an Spendengeldern für Viva con Agua und Pro Asyl durch das Tramprennen akquiriert worden. Den Gewinnern des Rennens winkt kein materieller Gewinn – aber dafür Ruhm, Ehre und die Anerkennung der Mitstreiter. Wer mehr über das Tramprennen erfahren will, wird unter www.tramprennen.org fündig.