Vorne rechts eine Harfe, hinten links das Klavier und in der Mitte sitzen Bläser und Streicher. Die Instrumente sind altbekannt doch die Musik ist neu, erzeugt Spannung und fesselt das Ohr. Am Freitag begeisterte KammerensembleN aus Schweden das Kieler Publikum mit zeitgenössischen Werken skandinavischer Komponisten. Wer wollte, konnte zuvor Komponisten und Musiker bei einer Podiumsdiskussion hautnah erleben.
Seit sechs Jahren finden die „kieler tage für neue musik“ als Biennale in Kiel statt. In diesem Jahr gab es vom 9. bis 12. Februar sechs Konzerte, einen Workshop und drei Komponistengespräche zu hören und sehen. Das Konzert am Freitagabend war einer der Höhepunkte des diesjährigen Festivals. Getreu dem Motto „Neue Musik im Norden“ wurden Werke nordischer Komponisten aus Finnland, Schweden und Norwegen gegeben.
Bei der Podiumsdiskussion unmittelbar vor dem Konzert am Freitag, 10.2. sprachen die Komponisten Per Mårtensson, Ivo Nilsson und Chrichan Larson mit Thomas Bruns, dem Geschäftsführer des Kammerensembles Neue Musik Berlin, sowie Prof. Dr. Reinhard Flender von der Hochschule für Musik und Theater. Margarete Zander vom NDR moderierte die Runde und stellte die Fragen. Ihr besonderes Anliegen war es, eine Verankerung der Komponisten in den nordischen Traditionen Ihrer Heimat festzustellen. Es wurden teils Bilder von der Weite der skandinavischen Natur bemüht.
International statt Provinziell
Demgegenüber betonten die nordischen Komponisten ihre und ihrer Kolleginnen internationale Vernetzung und Anbindung. Sie alle hatten auch im Süd- und Westeuropäischen Ausland studiert, gespielt und gelebt. Ivo Nilsson erzählte, dass er sich in einem schwedischen Walddorf viel mehr als Fremder fühle als etwa in europäischen Metropolen. Auf die Frage der Zuhörerperspektive wies Per Mårtensson hin. In Frankreich nehme man seine Musik als schwedisch war und in Schweden als französisch.
Einen von Margarete Zander vermuteten Gegensatz zwischen gewissermaßen deutscher Verkrampftheit und nordischer Freiheit, konnten die Musikschaffenden aus Skandinavien so nicht bestätigen. Allerdings merkte Thomas Bruhns an, dass er Anfang 2000 ein dänisches Ensemble nach Berlin holte und das deutsche Publikum damals irritiert auf die ungewohnten Hörerfahrungen reagiert. Er nahm im Norden eine eher ungebrochene musikalische Tradition war, wohingegen in Deutschland überwiegend das Bemühen um eine Dekonstruktion der Tradition vorherrschte. Letztlich aber, so formulierte es Chrichan Larson, sei die Sprache der Partitur international verständlich.
Kronleuchter über Klängen des 21. Jahrhunderts
Beim anschließenden Konzert war die Halle400 gut gefüllt. Kronleuchter hingen von der Decke und die Atmosphäre entbehrte nicht einer gewissen Festlichkeit. Stadtpräsidentin Cathy Kietzer für die Stadt Kiel, Staatssekretär Eckhard Zirkmann für das Land Schleswig-Holstein und Marika Lagercrantz von der schwedischen Botschaft in Berlin sprachen Grußworte. Allgemein würdigten Sie das Festival als Bereicherung der Kieler Kulturszene sowie seine besondere Bedeutung als musikalisches Tor nach Norden. Eine Funktion, die gerade Kiel als Stadt der Skandinavienfähren ganz wunderbar erfülle.
Das Konzert eröffnete das 2004-2005 entstandene „Loss“ von Per Mårtensson für 17 Instrumente. Wer wollte, konnte nun vielleicht etwas Wald und Tradition heraushören. Doch schon beim sich anschließenden „Interrupted cycles“, das Jon Øivind Ness 1996 komponierte, war es damit vorbei. In gewissermaßen klassischer Neue Musik Manier wurden nun die Klänge in Zusammenspiel und Separation ausgelotet und formten dabei eine ganz eigene, den Zuschauer jederzeit fesselnde und bindende Spannung. Ganz ähnlich, doch ruhiger und zarter, präsentierte sich Chrichan Larsons „Umgebene Gestalt“ von 2007 mit Ivo Nilsson an der Posaune. Anschließend ging ein gute gelauntes Publikum in die Pause.
Der zweite Teil des Konzertes begann mit einer Uraufführung. Ivo Nilssons „Doppler Wobbler“, ganz frisch aus dem Jahr 2011, bot ein anregendes Zwiegespräch von Viola und Fagott. Eine weitere Komposition des 21. Jahrhunderts beschloss den Abend in der Halle400. Das Werk „Nosztalgiam“ von Lotta Wennäkoskis entstand im Winter 2006/2007. Dem Titel entsprechend zauberte die Musik hier und da eine Ahnung von Erinnerung in die Ohren des Publikums. Dabei waren gerade auch die leisen Töne von großer Ausdrucksstärke. Jedoch war die Komposition insgesamt weniger still, als man von einer Künstlerin, die nach eigenen Angaben „Musik am Rand des Hörbarn“ fasziniert, erwartet hätte.
Das Festival ist vorbei, die Musik spielt weiter
Das Publikum bedankte sich für das durchgehend anspruchsvoll unterhaltende Konzert mit ausdauerndem und kräftigem Applaus. Bester Stimmung strebten einige Zuhörer noch weiter zum Mitternachtskonzert in die Stadtgalerie, während andere in ruhigeren Lokalen den soeben erlebten Musikgenuss Revue passieren ließen. Wer allerdings die Konzerte der „kieler tage für neue musik 2012“ nicht wahrnehmen konnte oder noch mehr davon hören möchte, kann sicher sein, dass der Veranstalter chiffren in diesem Jahr noch weitere, der Neuen Musik gewidmete Veranstaltungen in Kiel präsentieren wird.
www.chiffren.de