Seit 2017 ist Janine-Christine Streu für die Entwicklung der Kieler Innenstadt im Einsatz. Mit uns sprach sie über ihre Rolle als „Kiezkomplizin“ und ein neues Park-Konzept.
Wie hat sich die Kieler Innenstadt seit deinem Amtsantritt 2017 entwickelt, und welche Meilensteine hast du in der Quartiersentwicklung erreicht?
Die Innenstadt ist seitdem definitiv aus ihrem Dornröschenschlag erwacht, auch wenn noch immer ordentlich Efeu abgeschnitten werden muss, damit das Herz der Stadt wieder zu dem repräsentativen Ort wird, der er sein sollte. Weniger bildlich: Wir sind auf einem sehr guten Weg, aber noch lange nicht fertig. Insbesondere der Holstenfleet hat den öffentlichen Raum massiv aufgewertet und ist ein wunderbares Beispiel dafür, dass sich zunächst oft kritisch gesehene Baumaßnahmen lohnen. Das inzwischen mehrmals ausgezeichnete Bauwerk ist zwar nicht unser Verdienst, sondern das der Landeshauptstadt Kiel, aber der Baubeginn war ein Grund für meinen Einstieg damals und ich habe vom ersten Tag an für seine Akzeptanz getrommelt. Gemeinsam mit den Stadtplanern und weiteren Akteuren haben wir Aufbruchsstimmung verbreitet, die bis heute zu einer kooperativen und institutionsübergreifenden Innenstadtentwicklung geführt hat, wie sie sonst in kaum einer anderen deutschen Stadt gelebt wird. Standortentwicklung ist Teamwork! Das ist das entscheidende Learning für alle Beteiligten.
Geld zurück mit Parken-Plus in Kiel
Was unsere Aufgabe der Quartiersentwicklung anbelangt, hat die Innenstadt seit 2017 einen deutlich vielfältigeren Nutzungsmix der Ladenflächen erhalten: Mehr Kultur, mehr Lokalkolorit mehr Nachhaltigkeit. Durch über 50 Zwischennutzungskonzepte bringen wir Abwechslung und Überraschung in den Innenstadtbesuch. Wir haben die Eigentümer*innen an Bord geholt und zu vielen von ihnen oder ihren Hausverwaltungen ein partnerschaftliches Verhältnis aufgebaut. Um das Thema „Anfahrtskosten“ konstruktiv anzugehen, haben wir zusammen mit dem Altstadt Förderkreis Parken-Plus ins Leben gerufen. Wer seinen Parkschein, aber ganz bewusst auch sein Bus- oder Fährticket oder das für den „Umsteiger“ vorzeigt, erhält bei den über 50 teilnehmenden Betrieben Geld zurück. Ruhig danach fragen! Dann haben wir uns früh in die optische Aufwertung von Quartieren eingebracht: Müll sammeln, Hochbeete bauen und bepflanzen, Blumenkübel aufstellen. Vermeintliche „Kleinigkeiten“, die aber viel bewirken. Vor allem tun sie der Gemeinschaft vor Ort gut und das lässt am Ende das familiäre „Kiezgefühl“ entstehen, das wir mit unserem Konzept „Kiel kann Kiez“ auf unterschiedlichen Handlungsebenen (Aktionen und Events im Quartier, neue Ladenkonzepte, Aufwertung des öffentlichen Raums) vorantreiben.
Welche Strategien verfolgst du, um die verschiedenen Quartiere in der Kieler Innenstadt zu profilieren und ihre individuelle Identität zu stärken?
Das Profilierungskonzept selbst wurde bereits im Sommer 2021 verabschiedet. Seitdem nehmen wir diese Vision mit in die Standortvermarktung gegenüber Investor*innen und expansionswilligen Unternehmen. Es sind sechs Quartiere und ich nehme niemandem aus der Bevölkerung übel, wenn er sie noch nicht kennt bzw. wahrnimmt. Um Quartiere zum Leben zu erwecken, braucht man die Anrainer*innen vor Ort. Nur wenn sie sich mit ihrem Kiez identifizieren und bereit sind, sich in Aktionen außerhalb ihres regulären Geschäftsbetriebs einzubringen, wird die Kiez-Idee Realität. In diesem Jahr ist uns die Vernetzung untereinander und das gemeinsame Umsetzen von Aktionen zunehmend gelungen. Das Format der „Kiezgespräche“ wurde erschaffen, in denen wir gemeinsam Projektideen für den jeweiligen Kiez entwickelt haben, die wir nun Stück für Stück umsetzen. Sofort aufgegriffen haben wir das Profilierungskonzept im Bereich Ansiedlung. Ende 2021 hatten wir den ersten Wettbewerb „Kiezgröße gesucht“ ausgerufen, der aktuell zum dritten Mal läuft. Dabei können sich Nutzungskonzepte um Ladenflächen bewerben und bei Erfolg bis zu 80 Prozent der Nettokaltmiete sparen. Daraus hervorgegangen sind so großartige Läden wie „derHeimathafen“ in der oberen Holstenstraße, „ECHT.GUT. – das kleine Kaufhaus“ am Asmus-Bremer-Platz und „LOVE-MY.EARTH“ in der Kehdenstraße – alle drei echte local heros!!
Kannst du uns Einblicke in die Herausforderungen geben, denen du bei der Ansiedlung von Nutzungskonzepten für verfügbare Flächen in der Innenstadt begegnest?
Leider sind die größte Hürde noch immer die Mieten. „Leider“, weil sich da in den letzten Jahren schone eine Menge getan hat und ich nicht immer auf den Eigentümer*innen „herumhacken“ möchte. Viele haben sich im Vergleich zu 2017 schon richtig bewegt, aber gerade um inhabergeführte Konzepte direkt in der Holstenstraße anzusiedeln, reicht es oft noch nicht. Hinzu kommen die oftmals viel zu großen Flächenzuschnitte mit Ober- und Untergeschossen, die heute nicht mehr gebraucht werden. Diese Flächen werden – wenn überhaupt – von großen Filialisten nachgefragt, von denen die attraktiven Konzepte Metropolen bevorzugen und sich aus mittleren Großstädten bundesweit eher zurückziehen. Ich bin trotzdem dran und versuche, mit spannenden Filialisten auf Messen und Kongressen ins Gespräch zu kommen.
Welche Rolle spielt die Beteiligung der Gemeinschaft oder lokaler Akteure bei der Gestaltung und Entwicklung der Kieler Quartiere?
Eine entscheidende! Ohne sie geht es nicht. Ein wirklich als solcher erlebbarer Kiez kann nur aus sich heraus entstehen. Wir verstehen uns eher als Initiatoren und Unterstützer oder „Kiezkomplizen“, wie wir sagen.
Attraktivität der Kieler Innenstadt steigern
Welche besonderen Aktionen oder Events haben sich als besonders wirksam erwiesen, um das Interesse und die Attraktivität der Quartiere in der Innenstadt zu steigern?
Generell gesprochen sind es vor allem Aktionen der sichtbaren Verschönerung, Begrünung und vor allem Anlässe, welche die Anrainer*innen zusammenbringen. Um mal drei herauszugreifen: Unsere Hochbeete in der Schloßstraße, die von Gewerbetreibenden und Anwohner*innen gepflegt werden; die große Schaukel direkt auf dem Ponton im Holstenfleet und das Kiez-Event zur Bürgerbeteiligung auf dem Anna-Pogwisch-Platz im Kehden-Küter-Kiez.
Wie arbeitet dein Team daran, die Bedürfnisse verschiedener Zielgruppen in der Innenstadt zu berücksichtigen, um ein breites Spektrum an Aktivitäten und Angeboten zu schaffen?
Wir lesen und hören zu, was Marktforschungen, Befragungen, die Presse und persönliche Gespräche uns über die Wünsche der Bürger*innen verraten. Mehr Grün, mehr Sitzgelegenheiten, mehr Spielen, mehr inhabergeführte Läden: Diese Wünsche versuchen wir gemeinsam mit unseren Partner*innen aus der Stadtverwaltung und den Quartieren aufzugreifen. Ein paar schöne Beispiele dafür habe ich eben schon genannt. Vor allem Kinder und Jugendliche, die jetzt eine positive Bindung zu ihrer Innenstadt entwickeln sollen, und ältere Menschen, die sich noch Zeit zum Bummeln nehmen, sind wichtige Zielgruppen, die sich zuletzt nicht mehr genug willkommen geheißen gefühlt haben. Das werden wir mit unseren Kiez-Aktionen und speziellen Programmpunkten zu den bewährten Veranstaltungen von Kiel-Marketing weiter in den Fokus nehmen.
Inwieweit spielen Nachhaltigkeit und Umweltaspekte in deinen Planungen und Entwicklungsstrategien für die Kieler Innenstadt eine Rolle?
Kiel-Marketing versteht sich als einer der Motoren der „Transformation der Kieler Innenstadt“. Nachhaltigkeit und ein stärkeres ökologisches Verantwortungsbewusstsein der Konsumgesellschaft, von der eine Innenstadt ja lebt, stehen da ganz oben auf der Agenda. Ich zähle mal ein paar Maßnahmen auf: Im Kriterienkatalog für unsere „Kiezgrößen“ bekommt man für ein nachhaltiges Konzept ordentlich Extrapunkte, bei unseren Veranstaltungen ist kein Plastikgeschirr erlaubt, wir sorgen für mehr Grün im Grau (Hochbeete, Aktionen mit dem Perma-Kulturzentrum), unterstützen aktiv das Thema Fahrradlogistik im Handel und bringen gemeinsam mit der Stadt gerade das Projekt „City Hub Meer“ (Arbeitstitel!) für Mitte 2024 auf den Weg, das sich dem Thema Meeresschutz widmet.
Welche zukünftigen Entwicklungen oder Projekte stehen in den nächsten Jahren für die Kieler Innenstadt und ihre Quartiere auf deiner Agenda?
Wir werden auf jeden Fall versuchen, unsere aktuellen „Kiezgrößen“ langfristig in der Innenstadt zu etablieren und weitere spannende Konzepte nachkommen zu lassen. Dann beschäftigt mich sehr das ganze Quartier Obere Holstenstraße mit dem Nordlicht. Hier arbeiten wir gemeinsam mit dem Eigentümer und der Stadt an einer Zukunftsvision, die schnell spür- und sichtbar werden soll. Neben dem eben erwähnten „City Hub Meer“ steht die Ansiedlung eines „Experience Rooms“ für digitale Tools in Handel und Gastronomie an. Hier sollen Gewerbetreibende, aber auch Bürger*innen und Besucher*innen ausprobieren und abstimmen dürfen, welche digitalen Angebote für sie wirklich einen Mehrwert haben. Dann ist es wichtig, dass wir bei unserem erfolgreichen Zwischennutzungsmanagement nicht nachlassen und im Hinblick auf Aktionen die neue Dynamik in den Kiezen nutzen. Hier freue ich mich besonders auf die geplanten Überspannungen in der oberen Holstenstraße. Auf dem Holstenplatz wollen wir gerne eine Tanzfläche einrichten und im „Melting Pot“ soll ein größeres Mode-Event stattfinden. Damit verrate ich schon ein bisher noch internes Ziel, aber es zeigt, dass wir auch in 2024 eine ganze Menge vorhaben und einfach Lust haben, etwas zu bewegen.