An diesem Wochenende geht’s endlich los: Das Schleswig-Holstein Musikfestival beginnt – und mit ihm auch die Musikfeste auf dem Lande. Hannah Bregler leitet sie und wir haben uns mit ihr zum Gespräch getroffen.
Das Schleswig-Holstein Musikfestival ist nicht nur jedes Jahr wieder fester Bestandteil unser eigenen Veranstaltungs- und vor allem Konzertplanung. Genauso fest ist es auch mit dem Land Schleswig-Holstein selbst verbunden. Innerhalb des Festivals nicht mehr wegzudenken sind die Musikfeste auf dem Lande, die so viel mehr sind als „nur“ Konzerte und wohl wie keine Veranstaltung sonst den Geist des Festivals in sich tragen.
Dir sagt das alles nichts? Kein Problem! Wir haben uns mit Hannah Bregler, der Projektleiterin der Musikfeste auf dem Lande, verabredet und uns von ihr höchstpersönlich erklären lassen, wie die Reihe entstanden ist, wie sie sich entwickelt hat und was dich in diesem Jahr erwartet.
Kielerleben: Hannah, fangen wir doch am besten ganz vorn an: Was sind die Musikfeste auf dem Lande, wie wurden sie gegründet und was erwartet mich dort?
Hannah Bregler: Die Musikfeste auf dem Lande sind das Herzstück vom Schleswig-Holstein Musikfestival. Das ist tatsächlich eine Konzertreihe, die von Beginn an mit dabei war. Also schon damals, als Justus Franz das Festival gegründet und Leonard Bernstein nach Schleswig-Holstein geholt hat.
Das Festival hat nur funktioniert, weil das ganze Bundesland an einem Strang gezogen hat. Es war von vornherein die Idee, dass man Konzerte in Scheunen macht, in Kuhställen, in Reithallen, mitten auf dem Land – dort eben, wo klassische Konzerte sonst wahrscheinlich noch nie stattgefunden haben.
Solche Top- und Weltstars wie Leonard Bernstein oder Yehudi Menuhin wussten damals wahrscheinlich nicht mal, dass nördlich von Hamburg überhaupt noch ein Teil von Deutschland existiert.
Und dann gab es so eine Art Bürgerbewegung um das Festival, denn man musste natürlich zusammenhalten. Da mussten die Scheunen hergerichtet werden, da musste für die Künstler:innen Verpflegung vorbereitet werden, die mussten untergebracht und irgendwie gefahren werden … das ging nur, weil alle mit angepackt haben im ganzen Land.
Dann war es natürlich auch eine Idee, dass man Feste feiern wollte. Man wollte nicht nur sagen, „Okay, wir haben hier tolle Konzerte“, sondern es gab eine Euphorie, dass man musikalische Feste feiern wollte. Und daraus entstanden die Musikfeste auf dem Lande. Auch als Dankeschön an die Menschen in Schleswig-Holstein, die das alles ermöglicht haben.
Und dann kamen die ganzen großen Stars auf die Gutshöfe, nachdem sie ihre Konzerte gespielt haben – nach Hasselburg, nach Emkendorf – und haben dann in den Scheunen gespielt. Teilweise auch bis spät in die Nacht. Da hat man dann sich gefeiert und die Musik.
Wie sehen eure Pläne aus? Werden die Musikfeste weiter wachsen, sind neue Orte geplant?
Gerade bei den Musikfesten haben sich viele Orte etabliert. Hasselburg, Emkendorf sind wirklich von Anfang an mit dabei. Gut Stockseehof, Pronsdorf, Schloss Wotersen schon viele, viele Jahre.
Würden wir da nicht für das jeweils nächste Jahr anfragen, dann würden die, glaube ich, schon auf unserer Fußmatte stehen und sagen: „Entschuldigung, warum findet bei uns kein Musikfest statt?“
Aber wir versuchen schon das eine oder andere auch mal zu wechseln oder vielleicht doch noch eins dazuzunehmen. Aber wir haben auch nur eine begrenzte Anzahl an Wochenenden.
Plus: Wir haben ja auch noch das Kindermusikfest, das dieses Jahr in Wotersen stattfindet. Wir waren auch schon in Brunsdorf mit dem Kindermusikfest und hatten mal ein Kinderkulturfest in Büdelsdorf.
Also, wir haben so unsere Stammgutshöfe und variieren drumherum ein bisschen.
Wenn ich noch nie ein Musikfest auf dem Lande besucht habe – wie kann ich mir das vorstellen, was passiert da?
Wenn du zum Musikfest kommst, dann solltest du dir am besten schon im Vorfeld eine Karte besorgen. Denn wir merken ganz besonders in diesem Jahr: Die Musikfeste sind so beliebt wie nie. An manchen Tagen sind wir schon ausverkauft. Also: So schnell wie es geht erst mal ein Ticket kaufen!
Dann kommst du dorthin, im Idealfall in einer Fahrgemeinschaft oder mit dem Fahrrad. Viele von den Orten sind natürlich auch mit dem Zug ganz gut zu erreichen. Pronstorf beispielsweise ist von Lübeck aus in einer guten Stunde zu erreichen. Dorthin gibt es in diesem Jahre auch eine vom ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club, Anm. d. Red.) geführte Fahrradtour.
Allgemein ist das heute mit E-Bikes super easy, dass man einfach bis zur nächsten Bahnhaltestelle fährt und dann mit dem Fahrrad weiterfährt. Du kannst aber natürlich auch immer mit dem Auto parken, das ist überhaupt kein Problem.
Dann kommst du an und es gibt einen Tagesplan. Da finden drei Konzerte statt, die jeweils eine Stunde dauern. Zwischen den Konzerten ist jeweils eine Stunde Pause und in den Pausen ist eben Zeit, selbst mitgebrachtes Picknick zu verzehren oder sich vor Ort regionale Köstlichkeiten zu kaufen. Du kannst auch schon vorab im Internet einen Picknick-Korb bestellen und auf dem Musikfest-Gelände frisch gepackt abholen – dann musst du dich wirklich um gar nichts mehr kümmern.
Bei den Konzerten ist die Musik immer total gemischt: Wir haben junge Nachwuchskünstlerinnen und -künstler, die eine klassische Laufbahn anstreben. Wir haben Irish Folk, Weltmusik, wir haben Tango, Gypsy …
Und wenn das Wetter so schön ist, mit blauem Himmel und Sonne und du sagst dir, „Ach, ich möchte vielleicht nicht in den Kuhstall gehen“, dann kannst du auch auf der Wiese sitzen bleiben, wie die Musik auch immer nach draußen übertragen wird.
Das heißt: Wenn du von vornherein weißt, dass du eigentlich nur auf der Wiese liegen und Musik hören willst, dann brauchst du nicht mal eine Karte für die Musikfeste. Also, der Eintritt auf das Gelände ist immer kostenfrei möglich.
Wer besucht die Musikfeste auf dem Lande? Sind das die gleichen Leute, wie in den Konzerten? Ich kann mir vorstellen, dass die Musikfeste auf dem Lande auch existieren, mit der Hoffnung, alles noch mal niedrigschwelliger zu machen. Funktioniert das?
Ja, das funktioniert total! Die Musikfeste sind sehr generationenübergreifend, im Vergleich zu sonst anderen Konzerten, da sie auch für Familien einfach ganz tolle Orte sind.
Wir haben während der Konzerte eine musikpädagogische Kinderbetreuung für den Fall, dass jemand sagt, „mein Kind kann aber jetzt nicht dreimal eine Stunde lang still sitzen“ – muss es auch nicht. Die könne dann während der Konzerte basteln oder singen und werden eben musikpädagogisch betreut. Und am Ende des Tages, also nach dem dritten Konzert, gibt es einen Slot auf der Bühne, da können die Kinder auch aufführen, was sie tagsüber gelernt und geübt haben.
Und in den Pausen gibt es auch ein buntes Angebot. Es gibt Walk-Acts, man kann jonglieren, auf Stelzen laufen oder Boule spielen.
Die Musikfeste sind also auch ein Angebot für Kinder und nicht nur für Mama und Papa oder Oma und Opa. Und wir stellen fest, dass viele junge Familien dann mit Kindern und Großeltern kommen. Bei schönem Wetter ist das alles herrlich entspannt: Man kann picknicken, in die Konzerte hineingehen, oder eben auch nicht hineingehen, auf der Wiese liegen, sich was zu trinken holen.
Die Musikfeste sind also wirklich sehr niedrigschwellig und eigentlich für jeden etwas.
Du sagst es gerade, Kinderbetreuung. Und zwar musikpädagogische. Das ist ja ein großer Aufwand, der da getrieben wird für Kinder. Und wahrscheinlich in Wahrheit noch mehr für die Eltern. Wie unterscheidet sich das von dem Musikfest, das sich konkret an die Kinder richtet?
Bei den Kindermusikfesten ist es so, dass auch zwei Konzert-Slots wirklich mit Kindermusik-Bands, Kindermusikprogramm gefüllt sind. Also, da wird dann zum Beispiel „Peter und der Wolf“ gespielt oder „Die Zauberflöte“ und dann gibt es noch eine Kinderband wie „Rummelkasten“ oder so.
Und zwischen den Konzerten gibt es für die Kinder zusätzlich noch verschiedene Workshops. Beispielsweise Instrumente selbst bauen, etwa Drums aus PET-Flaschen, oder einen Trommelkurs. Und in diesem Jahr gibt es einen Mandolinen-Workshop, wo alle Kinder Mandolinen ausprobieren können.
Das sind also Tage, an den die Kinder ganz klar im Fokus sind.
Hast du eine Hausnummer, wie viele Kinder das Angebot annehmen?
Bei den regulären Musikfesten sind es meist so zwischen 10 und 20. An bestimmten Wochenenden auch mal ein bisschen mehr. Das ist immer anders und hängt von vielen Faktoren ab, dem Wetter zum Beispiel.
Bei den Kindermusikfesten sind es dann ein paar Hundert Kinder, weil die sich eben explizit an Familien und Kinder richten. Das heißt, das ist innerhalb des Gesamtfestivals schon auch noch mal ein echtes Highlight.
Da wuselt es vor Kindern, da ist Radau, da gibt es Rieseninstrumente, Klanginstallationen auf der Wiese. Das ist also wirklich gerade auch für die Eltern ein Tag Kinderbeschäftigung mit Urlaub und Musikvermittlung in den verschiedensten Facetten.
Und das Kindermusikfest ist übrigens auch schon fast ausverkauft.
Wie schön, dass das für euch so gut läuft! Anderswo hört man ja viel, dass die Leute seit der Pandemie eher zurückhaltend sind, wenn es darum geht, Tickets deutlich im Voraus zu kaufen …
Das dachten wir auch am Anfang! Aber man hat wirklich das Gefühl, dass jetzt alle wieder und noch mehr Bock haben, etwas zu machen. Also, wir hätten das im Leben nicht gedacht in diesem Jahr nach der Pandemie und mit der Krise und Inflation und allem.
Insbesondere bei den Musikfesten glaube ich, dass die letzten Jahre einfach doch ein gewisses Bewusstsein geweckt haben für die Natur und für die Schätze, die man vor der eigenen Haustür hat. Gerade durch die Pandemie haben Menschen gemerkt, dass man nicht unbedingt weit wegfahren muss. Sondern man hat neu kennengelernt, wie schön es im Sommer in Schleswig-Holstein ist und wie gut es tut, was für eine Erholung das ist, wenn man einen Tag raus aufs Land fährt. Wenn man diese Naturverbundenheit hat und einfach einen Schritt zurück macht und sich ein bisschen entschleunigt.
Und der Effekt tritt sofort ein, wenn man auf so einem Gutshof ist. Also, das sind ja Anwesen, auf die kommt man teilweise unter dem Jahr gar nicht. Der Garten, der Park von Schloss Wotersen ist beispielsweise sonst nicht zugänglich. Nach Hasselburg würde man vielleicht sonst auch nicht so zum Spazierengehen fahren. In Brunsdorf kannst du heiraten und kannst mit dem Fahrrad vorbeiradeln – aber die Musikfeste öffnen Türen und Möglichkeiten, diese wunderschönen Anlagen kennenzulernen.
Und dann sind es eben auch kurze Konzerte. Du musst dich also nicht schick kleiden, du musst nicht vorher irgendetwas über die Konzerte wissen – du kannst es einfach genießen, in der Natur zu sein und Musik zu hören.
Ich kann mir auch denken, dass das für viele eine Vorstellung ist, die sie vorher gar nicht hatten: Ich liege da einfach auf dem Rücken auf einer Wiese eines Gutshofs und höre Musik.
Wie viel Zeit sollte ich für den Besuch eines der Musikfeste einplanen?
Wie gesagt: Das Musikfest ist in drei Blöcke aufgeteilt, es gibt also auch drei verschiedene Tickets. Am Samstag sind es die drei Konzerte zwischen 13 und 18 Uhr in einem Ticket und mit Pausen dazwischen. Da ist auch freie Platzwahl, da solltest du vielleicht schon so um halb eins da sein und einen Stuhl besetzen. Um 13 Uhr geht’s los und um 18 Uhr ist Ende – also ein schöner Samstagmittag und -nachmittag.
Dann kannst du dir, wenn du wirklich viel Zeit hast, noch für abends ein Ticket kaufen. Das ist ein Konzert von 20:00 bis 21:30, 90 Minuten ohne Pause und auch mit freier Platzwahl. Da würde ich empfehlen, so ab 19:00 Uhr langsam einzutrudeln und dann noch mal etwas zu trinken auf dem Gutshof, damit man auch noch ein bisschen von der Atmosphäre mitbekommt.
Das geht natürlich nach dem Konzert auch noch. Letzten Sommer war das herrlich! Wenn das Wetter passt … um halb zehn ist es ja auch immer noch hell und die Sonne fast noch am Himmel. Und dann sitzt man da vor dem Torhaus oder neben der Scheune und kann noch einen Wein, ein Bierchen oder eine Limo trinken und es einfach genießen, einen Sommerabend auf dem Land zu haben.
Am Sonntag ist es dann ähnlich wie am Samstag tagsüber. Da sind auch wieder dreimal eine Stunde Konzert, es beginnt aber schon um 11:00 Uhr. Das heißt, idealerweise kommst du zwischen 10:00 und halb elf, um dir einen Platz zu besetzen. Um 16:00 Uhr ist dann Ende, aber du kannst auch danach natürlich noch bleiben, fertig picknicken oder einen Kaffee trinken gehen.
Nun haben die meisten Menschen ja nicht die Zeit, jedes der Musikfeste zu besuchen. Wenn ich mir eins aussuchen muss – unabhängig davon, ob es da jetzt noch Karten gibt – wo sollte ich unbedingt hin?
Also, ich würde sehr empfehlen, am Samstagabend nach Wotersen zu kommen. Da spielt eine britische Band, Rob Herron and The Teapot Orchestra, die machen richtig gute Stimmung! So ein bisschen Blues, British Folk Music.
Und wenn man eher tagsüber bevorzugt, würde ich sagen: Brunsdorf mit dem Fahrrad. Von Lübeck aus ist das zum Beispiel gar kein Problem. Das ist ein wunderschöner Gutshof und es gibt sehr abwechslungsreiche Musik.
Dieses Jahr schlägt das SHMF eine Brücke über den Kanal und über die Nordsee und hat einen England- oder genauer: London-Schwerpunkt. In England gibt es ja auch eine ausgeprägte Landhaus- und Cottage-Kultur. Bieten sich da auch Querverbindungen neben der Musik an?
Bei den Musikfesten haben wir jetzt nicht extra alles ins Britische abgewandelt. Letztlich auch, weil es sich am Ende gar nicht so sehr unterscheidet.
Wenn man an in England an die Countryside denkt, an die Country Garden-Tradition … wenn man mal aufs Musikfest kommt, dann wird man beobachten, dass das schon sehr ähnlich ist.
Es gibt vielleicht nicht Fish and Chips an den Gastro-Buden, aber die Menschen kommen mit Sommerhüten, bringen ihr Picknick mit und richten die tollsten Picknick-Tafeln mit Tischen, weißen Tischdecken, silbernen Kerzenleuchtern her.
Also, wir unterscheiden uns da gar nicht so sehr, außer, dass vielleicht keine Scones mitgebracht werden, sondern dann doch eher der Butterkuchen hier in Schleswig-Holstein.
Vom Feeling her ist es aber tatsächlich so wie eine britische Countryfair, kann man schon sagen. Nur eben auf norddeutsch.
Vielleicht mal so fünf oder zehn Jahren nach vorn gedacht. Wo siehst du noch Entwicklungspotenzial für die Musikfeste?
Im Laufe der Jahre haben sich die Uhrzeiten und die Konzertanzahl der Musikfeste immer ein wenig verändert, um sich auch an Veränderungen des Publikums anzupassen. Aber in den vergangenen Jahren haben wir das schon ausgeweitet. Also, wir nehmen neue Orte dazu und es passiert mehr als Konzerte und Picknick, gerade in den Pausen. Was sich also schon verändert hat, ist eben, dass wir viel mehr Rahmenprogramm haben. Wir wollen die Menschen zum Lachen bringen, im Positiven, zum Amüsieren, sodass man vielleicht gar nicht mehr merkt, warum jetzt gerade so eine tolle Zeit hat und an jeder Ecke ein bisschen überrascht wird. Und das passiert in den Pausen.
Oder, dass man eben die Spiele mit auf der Weise aufbaut und eigene Spiele mitbringt, denn ich glaube, für Eltern ist es schlimm, wenn Kinder sich langweilen und dann irgendwann nörgeln und man nach Hause muss.
Also versuchen wir ein Angebot zu schaffen für jede Altersgruppe, die zu den Musikfesten kommt. So, dass man vielleicht am Morgen noch gar nicht genau weiß, was passiert an dem Tag und abends geht man glücklicher nach Hause, als man am Morgen aufgewacht ist.
Ich denke, dafür bieten die Musikfeste und die Gelände an der einen oder anderen Stelle die Möglichkeit, noch weiter auszubauen, was um die Konzerte herum passiert. Sodass wir wirklich ein Angebot haben, wo selbstverständlicher Weise jede Generation hinkommt und man mit Kindern im Sommer nur darauf wartet, einen Tag aufs Musikfest zu gehen.
Was machen die Musikfeste für dich ganz persönlich aus? Also auch mit Blick darauf, dass es ja ein riesiger Batzen Arbeit ist, das alles zu organisieren.
Wenn man mal an solch einem Tag da war, dann merkt man, dass das eine ganz besondere Stimmung ist. Das hat nichts Anonymes. Es gibt die Musikfestfamilie. Sowohl Publikum als auch Künstlerinnen und Künstler, die auftreten. Man verbringt mehrere Stunden zusammen an einem Ort. Und irgendwann sieht man immer wieder mal die gleichen Gesichter über den Tag verteilt und dann ist man in so einer Gemeinschaft. Und diese Stimmung tritt an jedem Wochenende ein.
Wir bauen ja freitags auf und dann ist man von freitags früh bis Sonntag wirklich spät drei Tage lang ununterbrochen am Machen und Tun. Aber es ist so ein eigener Kosmos und der gibt einem ganz viel zurück, und schweißt zusammen. Man ist über so ein Wochenende mit dem Team, aber dann eben auch mit dem Publikum Verbündete. Und es ist einfach eine wahnsinnig entspannte Atmosphäre. Erst recht, wenn das Wetter mitmacht.
Du bist da einen Tag weg vom Alltag, weg vom „Ich bin in der Stadt.“ Also, du hast ja keine Autos einen Tag lang auf dem Gelände. Und du bist da länger als nur für vielleicht mal zwei Stunden in der Elbphilharmonie. Du bist raus aus dem Alltag und verbringst drei Tage in der Natur und das zahlt einfach wieder total aufs Energiekonto ein. Man ist danach zwar geschafft und müde, aber auch glücklich.
Und man verbringt bei den Musikfesten eine lange Zeit mit den gleichen Menschen und das macht, glaube ich, auch einen Unterschied. Man lässt sich bewusster auf etwas ein. Also, man fährt nicht nur hin, hört sich etwas an und fährt wieder weg.
Du siehst die Leute, die neben dir im Publikum saßen, ja auch in den Pausen draußen und man trifft sich vielleicht an der Bratwurstbude oder am Getränke stand. Oder man kommt ins Gespräch mit den Leuten, die neben einem picknicken und verbringt da gemeinsam Zeit. Man sieht, wer vielleicht gerade versucht zu jonglieren und es nicht hinbekommt … und so wächst auch das Publikum kurzzeitig zu einer Familie zusammen und das macht alles weniger anonym und dadurch ein bisschen besonders.
Das merkt man dann auch daran, dass niemand seinen Müll liegen lässt, dass niemand seine Picknick-Reste zurücklässt. Das gibt es einfach nicht. Das Publikum ist einfach wirklich vorbildlich!
Lass uns noch mal in die Anekdoten-Kisten greifen. Was ist so die größte Katastrophe, die du erlebt hast? Am Ende wird natürlich alles immer gerettet – aber was ist die größte Katastrophe oder die größte Überraschung, die du erlebt hast?
Die größte Katastrophe weiß ich tatsächlich schon sofort und natürlich wurde die gerettet!
Es gab da eine Band, die am Samstagabend um 20:00 Uhr spielen sollte. Und die kommen zur Anspielprobe um kurz nach sechs, nachdem der letzte reguläre Konzertblock fertig war. Die kommen also in den Kuhstall und dann fragt einer aus der Band: „Und wo ist mein Schlagzeug?“ Und ich schaue auf die Bühne und denke: „Ja, da ist kein Schlagzeug.“
Und dann stehst du da um Viertel nach sechs, um 20 Uhr soll das Konzert sein, du bist mitten auf dem Land auf dem Gutshof und da ist kein Schlagzeug. Am Samstagabend. Was machst du da? Da geht dir erst mal ganz schön die Düse! „Scheiße, wie soll das Konzert jetzt stattfinden um 20 Uhr? Um 19 Uhr soll ja Einlass sein, also eine Stunde vorher. Was machst du jetzt?“ Da ist mir dann doch mal kurz das Herz stehen geblieben. Da muss ja auch noch der Soundcheck gemacht werden und das Schlagzeug muss ja erst mal irgendwo herkommen.
Aber das Festival wäre nicht das Festival, wenn wir nicht auch dafür eine Lösung fänden. Dann wird rumtelefoniert und rumtelefoniert und rumtelefoniert. Wir hatten am Ende tatsächlich sogar fast zwei Lösungen. Die eine war, dass unser Intendant ein Schlagzeug in seinem Büro hat. Das wäre im schlimmsten Fall geholt worden. Und dann hatten wir durch Glück oder Zufall von einem anderen Konzert ein Drumset herumstehen. Also, das kommt schon mal vor, dass wir einfach ein Drumset bestellen müssen, weil Bands, die von weiter weg kommen, nicht ihr Schlagzeug mitnehmen.
Dann ist also jemand mit glühenden Reifen los und hat das Schlagzeug geholt und es in den Kuhstall gebracht. Wir hatten draußen schon eine lange Schlange, weil die Leute reinwollten. Dann haben wir noch Getränke ausgegeben, das Publikum ein bisschen hingehalten und konnten dann, glaube ich, um zwanzig vor acht tatsächlich Einlass machen und um kurz nach acht ging das Konzert los.
Das war so ein Katastrophenmoment. Fun fact: Seitdem, gerade heute wieder, prüfe ich das jedes Mal, wenn irgendwo etwas mit Schlagzeug und Percussion in der Besetzung steht und schreibe jedes Mal vorher noch eine Mail und kläre, ob das Schlagzeug gebracht wird oder nicht. Auch, wenn ich theoretisch weiß, dass das alles abgestimmt ist – aber das setzt tief!
Und in der anderen Richtung? Was ist die größte positive Überraschung, die du so erlebt hast?
So ein paar schöne Anekdoten gibt es natürlich schon.
Wenn dann so Stimmungen entstehen … An einem Wochenende war Matthias Schorn, der Solo-Klarinettist der Wiener Philharmoniker, da und hat ein ganzes Wochenende kuratiert. Und dann haben die abends mit so einer österreichischen Volksband gespielt und als das Konzert am Samstagabend zu Ende war, ist die Stimmung einfach übergekocht. Und dann spielten die noch draußen vor der Scheue weiter, wo dann so ein Moment entstand, in dem das Publikum eigentlich nicht nach Hause gehen will und die Musiker auch noch Bock zu spielen haben.
Das sind dann so spontane Sachen, die studiert man nicht ein, die kann man nicht planen. Aber wenn Publikum und dann die Künstler einfach wahnsinnige Lust haben, dann man auch noch weiter jammen.
Wie legst du das Line-up für solche Veranstaltungen fest?
Tatsächlich fahre ich viel herum. Ich höre mir viel an, immer links und rechts und schaue, wer spielt wo? Und dann einiges auch über Videos, über Künstler-Homepages. Wenn ich sehe, dass das jetzt musikalisch passen könnte, dann versuche immer aufs Konzert zu fahren. Grundsätzlich wollen wir alles einmal live gehört haben, bevor wir einladen, weil das im Video oft ganz anders ist als live vor Ort.
Manche laden wir auch auf Empfehlung ein. Wenn man weiß, dass die bei einem anderen Festival ein grandioses Konzert abgeliefert haben, dann kann man ein Stück weit drauf vertrauen, dass da auch bei uns passen kann.
Man muss immer offen, immer neugierig sein und schauen, wo gerade was stattfindet. Und so puzzelt sich das dann zurecht.
Passiert es, dass Leute sich bei euch bewerben?
Jeden Tag. Ehrlich. Wir können uns nicht beschweren über zu wenig Bewerbungen. Ganz, ganz viele wollen bei uns auftreten und da ist es dann tatsächlich die Kunst, zu sortieren. Also, ich höre mir alles an, was kommt.
Das ist manchmal auch anstrengend, weil es wirklich sehr, sehr viel ist. Aber ich lese mir alles durch, ich höre mir alles an, weil du nie weißt … du kannst einfach nicht alles kennen.
Und wenn sich Leute bewerben, dann muss man eben schauen. Ein bisschen habe ich ja auch ein Gefühl dafür, was passt jetzt für Musik, was passt eher nicht. Wo fahre ich hin, wo eher nicht?
Die oberste Maxime und die allererste Priorität sind dabei der Inhalt, die Musik, die Qualität, die Stimmen. Denn es ist ganz egal, was du drumherum machst – wenn die Konzerte scheiße laufen, dann kommt im nächsten Jahr niemand mehr. Deswegen wählen wir sehr sorgfältig aus, wer spielt. Also auch in der Mischung über den Tag.
Denn natürlich wäre es eigentlich ein Leichtes, die fünf Wochenenden mit klassischen Nachwuchskünstlern zu füllen. Es gibt so viele unfassbar gute Musiker! Aber es geht nicht nur darum, am besten das Instrument zu spielen, sondern auch um Bühnenpräsenz, um Ausstrahlung. Es sind so viele Faktoren, die das führen, dass das Publikum das als ein tolles Konzert empfindet.
Und gerade bei den Musikfesten sind es ja auch immer drei verschiedene Konzerte in einem Block. Da ist es immer eine Herausforderung, die Künstler auszuwählen. Die können dann nicht immer jeden Geschmack treffen, weil sie ja sehr unterschiedlich sind. Aber die Qualität muss stimmen. Das ist die aller-, aller-, alleroberste Priorität!
Aber das ist ja auch das Schöne, das ist ja auch das Tolle an meinem Job, dass ich diese Freiheit habe, das so auszuwählen.
Ich bin ja sehr erfreut, dass ihr so unterschiedliche Künstler:innen auswählt und auch, dass sich das Festival musikalisch über die Jahre geöffnet hat …
Ja, unser Internat betont immer sehr, dass es ein Musikfestival ist und nicht das Klassikfestival. Schleswig-Holstein Musikfestival und nicht Schleswig-Holstein Klassikfestival.
Man darf dabei ja nicht vergessen, die Gesamtanzahl der Konzerte hat sich auch sehr stark erhöht. Und deswegen gibt es auch mehr nicht-klassische Konzerte. Und manch einer verwechselt das und denkt, „Oh, es gibt so viel nicht-klassische Sachen.“
Aber es gibt in gleichem Maßen ja auch mehr klassisch Konzerte, weil alles sich erhöht hat.
Und es ist eben wirklich auch nicht unser Bestreben, ein zweites Salzburg zu sein. Also, das ist ganz bewusst so.
Hannah Bregler, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Sebastian Schack.
In diesem Jahr finden die Musikfeste am 01. und 02. Juli in Hasselburg, am 15. und 17. Juli in Stocksee, am 22. und 23. Juli in Emkendorf, am 29.07. und 30.07. in Pronstorf sowie am 12. und 13. August in Wotersen statt. Das Kindermusikfest findet am 19. August in Wotersen statt. Karten und alle weiteren Informationen zu den Musikfesten findest du unter shmf.de/musikfeste.