Bei einem Besuch der Kieler Forschungsstelle Toleranz (KFT) an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) am Mittwoch informierte sich der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck über deren wissenschaftliche Arbeit.
Der Bundespräsident a.D. nutzte die Möglichkeit, mit den Forschenden ins Gespräch zu kommen. Karin Prien, Landesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur, nutzte ebenfalls die Gelegenheit um die Kieler Forschungsstelle Toleranz zu besuchen. Die Einrichtung am Lehrstuhl für Sozialpsychologie und Politische Psychologie erforscht auf der Grundlage einer wissenschaftlich fundierten Konzeption Möglichkeiten der praktischen Umsetzung und gesellschaftlichen Wirksamkeit von Toleranz. Professor Simon stellte Joachim Gauck das Konzept vor, das den Toleranz-Begriff zwischen vollständiger Akzeptanz und ungezügelter Ablehnung setzt. „Diese Zwischenposition bedeutet, dass wir keineswegs unsere Ablehnung ‚des Anderen‘ aufgeben müssen, um tolerant zu sein. Allerdings verlangt Toleranz von uns, dass wir diese Ablehnung zügeln – und zwar durch Respekt im Sinne von Gleichheitsanerkennung gegenüber allen Menschen“, erläuterte der KFT-Leiter später den Zuhörenden bei der Diskussion im Audimax. Diese Auffassung von Toleranz werde nicht mit Harmonie-Erwartungen und weitergehenden Forderungen nach Wertschätzung oder sogar Zuneigung überfrachtet.
Auch Toleranz habe ihre Grenzen
So meine Toleranz auch nicht unbedingt, dass man alle Kulturen gleichermaßen zu achten habe. Gauck spielte dabei auf politische Kulturen an, die menschenverachtend, rassistisch, frauenfeindlich oder auf andere Weise intolerant seien. Andere Weltanschauungen zu tolerieren schließe ein, die Auseinandersetzung nicht zu scheuen. Der Bundespräsident a.D. nannte als Beispiel den Einzug der AfD in den Bundestag. Als es darum gegangen sei, einen Bundestags-Vizepräsidenten aus den Reihen der AfD-Fraktion zu wählen, habe er die Ablehnung der anderen Parteien zwar nachvollziehen können. Doch auch wenn es schwerfalle, müsse man tolerieren, dass die rechtspopulistische Partei demokratisch legitimiert sei. Dazu gehöre aber auch, politisch den „heftigen Streit zu wagen“. Joachim Gauck warb in der immer pluralistischer werdenden Gesellschaft für eine „kämpferische Toleranz“.
Diese sei nicht auf passives Erdulden beschränkt, sie schließe den kämpferischen Wettstreit um die richtige Meinung ein. Gleichzeitig müsse es in einer zivilisierten, demokratischen Gesellschaft Grenzen geben: „Wenn Toleranz und Pluralität bedroht sind, ist gegenüber Intoleranten auch Intoleranz geboten.“ Es sei tatsächlich schwer, Toleranz zu praktizieren, aber es „lohne“ sich – und zwar individuell wie politisch, sagte Gauck.