Das Theater Kiel widmete einem der populärsten Musik-Ehepaare einen Konzertabend. Wer dabei war, erlebte eine Zeitreise.
Johnny Cash ist eine Legende. The Man in Black, das Folsom-Prison-Konzert, das damals jüngste Mitglied in der Country Music Hall of Fame, Highwaymen und dann die American Recordings – und alle nur erdenkliche Exzesse. Es gibt viele Anekdoten über Cash, positive wie negative, und vermutlich genau so viele Klischees. Sie stimmen wohl alle.
June Carter entstammt selbst einer der größten Country-Musik-Familien und stieß zunächst als Künstlerin zu Johnny Cash (1961), bevor sie 1968 heirateten. Nicht in Cashs Schatten, wohl aber in seinem Sog brachte es auch June Carter zu Weltruf. Wer sich je mit der Musik von Johnny befasst hat, dem ist auch June und turbulente Beziehung ein Begriff.
Kein Wunder also, dass das ereignisreiche Leben der beiden kurz nach ihrem Tod verfilmt wurde. Beide wussten aber von dem Projekt und waren in die Planung eingebunden. In „Walk The Line“ begeistert der geniale Joaquin Phoenix als Johnny Cash und Reese Witherspoon erhielt für ihre Darstellung der June Carter den Oscar als beste Hauptdarstellerin.
In seinem ereignisreichen Leben verschlug es Cash an viele Orte auf der Welt. Auch in Deutschland war er früh ein Star, trat etwa in der ZDF-Sendung „Freddy Quinn und seine Freunde“ auf und spielte Konzerte unter anderem in Bremen, in Hannover. Nach Kiel indes verschlug es ihn nie.
(Korrektur: Per E-Mail wies uns Leser Michael N. darauf hin, dass wir hier falsch liegen. Tatsächlich spielte Johnny Cash ein einziges Mal in Kiel und zwar am 7.11.1982 – darauf waren wir in unserer Recherche nicht gestoßen. DAnke für den Hinweis!)
In gewisser Hinsicht konnte dieses Versäumnis Cashs am gestrigen Abend im Schauspielhaus nachgeholt werden. Hier luden Marko Gebbert und Eva Kewer aus dem Schauspiel-Ensemble des Theaters als Johnny und June – mit Christian Kämpfer, Sönke Timm und Kalle Reuter an den begleitenden Instrumenten – zu einem musikalischen Abend.
Bei ausverkauftem Haus erlebte das Publikum dabei viel mehr als eine bloße Aneinanderreihung bekannter Songs. Die Band hat sich viel Mühe gegeben, an diesem Abend sowohl anhand der Songs als auch gesprochener Sequenzen das Leben von Johnny und June nachzuerzählen.
Das gelingt den Fünfen auf der Bühne trotz oder vielleicht auch gerade wegen der einen oder anderen kleinen Imperfektion in der Absprache, die eine sympathische Authentizität mit sich bringen, ganz hervorragend.
Ganz besonders Gebbert und Kewer ist die große Leidenschaft für das Dargebotene jederzeit anzumerken. Neben den diversen ganz großen Hits von „Jackson“ über „Ring of Fire“ und den „Folsom Prison Blues“ bis zu unvermeidbaren, deshalb aber nicht weniger schönen, „Hurt“, gehört vor allem auch das June Carter/Eva Kewer-Solo „The Heel“ zu den Höhepunkten des Abends.
Eine besonders nette Idee kommt erst in der Zugabe zum Zug: In Anlehnung an Cover-Alben, die Cash zu einem Comeback verhalfen, spielen Gebbert, Kewer und Co. zwei Songs, die Cash gerne noch hätte covern dürfen. Mindestens die Wahl von Bob Dylans „Ballad of Hollis Brown“ dürfte unter Cash-Fans in aller Welt uneingeschränkte Zustimmung erfahren.
Der Liederabend über Johnny Cash und June Carter unter dem Titel „Last Night I Had The Strangest Dream“ überzeugt konzeptionell ebenso wie musikalisch. Die Gruppe auf der Bühne transportiert ein wohlig-warmes Gefühl und regt mit ihrer Performance mal zum Nachdenken, mal zum Mitlachen an.
Wer den Auftritt verpasst hat, hat theoretisch noch am 30. Januar 2023 eine zweite Chance. Das Problem nur: Auch diese Veranstaltung ist bereits ausverkauft. Mit Blick aber auf die nicht enden wollende Pandemie und zahlreiche weitere Erkrankungen, die derzeit hartnäckig in Kiel umgehen, kann es sich lohnen, die Augen und Ohren offenzuhalten, ob nicht jemand bereits gekaufte Karten wieder abgeben muss – was wir natürlich niemandem wünschen.
Wer Eva Kewer auf der Schauspielbühne sehen möchte, kann das in dieser Spielzeit beispielsweise in „Außer Kontrolle“, „Kleiner Mann, was nun?“, „Der Schimmelreiter“ und „Kabale und Liebe“ tun. Marko Gebbert ist derzeit ebenfalls in „Kabale und Liebe“ und „Der Schimmelreiter“, sowie in „Reineke Fuchs“, „Shakespeares sämtliche Werke – leicht gekürzt“ und im Opernhaus in „Die Zauberflöte“ zu sehen.
Karten für all diese Stücke gibt es unter www.theater-kiel.de oder telefonisch unter 0431 – 901 901 sowie natürlich auch an direkt am Schalter im Schauspiel- und Opernhaus.