Am gestrigen Freitagabend feiert „Kabale und Liebe“ am Theater Kiel „Indoor-Premiere“ als Wiederaufnahme des Sommertheater-Erfolgs aus dem Jahr 2020.
Zu einem der vielleicht größten Werke Friedrich Schillers haben viele Menschen hierzulande vermutlich ein gespaltenes Verhältnis. Immerhin muss „Kabale und Liebe“ immer wieder als Schulstoff herleiten – und zumindest dem Autor dieses Artikels wurde es auf diese Weise, wie so viel an Literatur, gründlich verleidet. Dabei bietet das Stück aus Sturm-und-Drang-Zeit, das vielen als „Deutsches Romeo und Julia“ gilt, so zahlreiche Anknüpfungspunkte, so facettenreiche Beziehungen, dass es zurecht zum deutschen Bildungskanon gehört.
Wer allerdings in der Erwartung, eine weitere Standardaufführung zu sehen, das Schauspielhaus besucht, wird sich vor eine Herausforderung gestellt wiederfinden. Nicht nur wird das Stück in Kiel in einer streckenweise modernisierten Textfassung gespielt, es weist auch zahlreiche Musical-Elemente auf. Für diese hatte die Band Kettcar schon für Sommertheateraufführungen eigene Songs komponiert. Kettcar und das Theater Kiel – das passt, wie das Publikum schon 2016 bei auf ähnliche Weise runderneuerten Version von Schillers „Die Räuber“ feststellen durfte.
Wir befinden uns in einem totalitären Staat, dessen Präsident von Walter wenig überraschend ein reiner Machtmensch ist und dies auch sein Umfeld spüren lässt. In der Kieler Inszenierung, in der der Präsident kurzerhand zum Vizepräsidenten degradiert wurde, wird diese Rolle meisterhaft von Imanuel Humm verkörpert. Auch, wenn es sich zunächst nur selten so anfühlt: Es ist immer ein großes Lob, wenn eine Figur so widerlich und abstoßend dargestellt wird, dass das Hirn nach dem Ende des Stücks ein paar Sekundenbruchteile benötigt, um sich dazu durchzuringen, für diese Person zu klatschen. Vergleichbar vielleicht mit King Joffrey aus Game of Thrones, den man auch so schnell so sehr hasst, dass es sich merkwürdig anfühlt, den Schauspieler (Jack Gleeson) dafür zu mögen.
Zurück bei Schiller verliebt sich der Sohn des (Vize-)Präsidenten Ferdinand von Walter (Gustavs Gailus) in Luise Miller (Eva Kewer), die im Schiller'schen Originaltext, obwohl gleichklingend, anders, nämlich Louise, geschrieben wird. Diese ist als Tochter eines einfachen Musiklehrers (Marko Gebbert) natürlich keine standesgemäße Partie ist. Eine Einschätzung, die beide Väter teilen – wenn auch aus gänzlich unterschiedlichen Gründen.
Der machthungrige von Walter ist darauf aus, seinen Sohn mit der Mätresse des Herzogs (oder in dieser Fassung: des Präsidenten), Lady Milford (Katharina Abt), zu verheiraten. Ein Vorhaben, dem sich der Verliebte natürlich mit aller Macht zu widersetzen versucht. So setzt von Walter gemeinsam mit Hofmarschall von Kalb (Christian Kämpfer) und seinem Haussekretär Wurm (Zacharias Preen), der ebenfalls romantisches, auf jeden Fall aber sexuelles Interesse an Luise hat, in Gang.
Von der Redaktion empfohlener Inhalt
An dieser Stelle findest du einen externen Inhalt von YouTube, der den Artikel ergänzt. Du kannst ihn dir mit einem Klick anzeigen lassen und wieder ausblenden.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an dritte übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.
Vor allem Gailus und Kewer sind es, die mit ihrem ebenso frischen wie intensiven Spiel, unter der Regie von Daniel Karasek und der dramaturgischen Anleitung von Jens Paulsen, den etwas angestaubten Stoff ins Hier und Jetzt holen und die Zuschauer:innen auf eine emotionale Berg- und Talfahrt mitnehmen. Aber auch insgesamt ist es dem Theater Kiel einmal mehr gelungen, ein Stück durchweg beeindruckend passend zu besetzen – vom notgeilen Wurm bis zu Luises Mutter (Jennifer Böhm). Dabei funktioniert all das zu einem großen Teil nur deshalb so gut, weil auch die Gesangsleistungen der Schauspieler:innen das Publikum auf der wilden Reise nicht aus Kurve fliegen lassen. Besonders hervorzuheben sind bei diesem Aspekt Kewer, Gebbert und Preen, wobei die beiden erstgenannten bereits vor knapp vier Wochen als June Carter und Johnny Cash ihr musikalisches Talent unter Beweis stellen konnten.
Schön anzusehen war ebenfalls, dass es dem Theater Kiel gelungen ist, den imposanten Bühnenaufbau (Lars Peter) des Sommertheaters praktisch eins zu eins im Schauspielhaus zu replizieren.
„Kabale und Liebe“ wird noch an zahlreichen Abenden im Januar, Februar und April gezeigt. Wer sich die einzigartige Inszenierung nicht entgehen lassen möchte, sollte sich allerdings schnellstmöglich um Tickets bemühen, da für viele Vorstellungen schon jetzt nur noch Restkarten zu haben sind.
Karten gibt es wie immer an den Vorverkaufsstellen des Theaters, auf theater-kiel.de und telefonisch unter 0431 - 901 901.