Tristan Steeg schlüpft in diesem Solo-Stück in die Rolle des Lenz und nimmt das Publikum mit auf eine wirre und berührende Reise.
Büchners Prosatext wurde 1839 posthum veröffentlicht und basiert auf dem Leben des Schriftstellers Jakob Michael Reinhold Lenz, der im 18. Jahrhundert lebte. Lenz wird von seinen inneren Dämonen und der Einsamkeit gequält. Er sucht Zuflucht bei einem Pastor und seiner Familie in einer abgelegenen Bergregion. Trotz der freundlichen Aufnahme und redlichen Bemühungen verschlechtert sich Lenz' Zustand weiter. Er hört Stimmen und hat Wahnvorstellungen.
Tristan Steeg nähert sich, passend zur parallel zur Premiere stattfindenden Digitalen Woche Kiel, dem Bücher-Text auf äußerst moderne Weise: nämlich unter Zuhilfenahme Künstlicher Intelligenz. Nicht nur mit KI-Programmen Bilder erzeugt, die Steegs Spiel begleiten und mit denen Lenz interagiert. Auch die in aller Munde befindliche Textgenerator-KI ChatGPT kam zum Einsatz, um einzelne Passagen umzuformulieren und andere in Büchners Stil fortzuführen.
Aber auch inhaltlich ist Büchners bald 200 Jahre alter Text nicht so weit von aktuellen Diskussionen um künstliche Intelligenz entfernt. So schreibt Steeg selbst: „Der entscheidende Punkt ist die Frage, wann wir etwas als echt oder real erleben. Im weitesten Sinne das Höhlengleichnis: Wir nehmen die Welt immer aus unseren Augen wahr und sehen sie durch die Zerrbrille unserer Prägungen, Wertvorstellungen und unserer Tagesverfassung. Lenz' Verzerrungen sind dabei so unmäßig, dass es ihm nicht mehr gelingt, seine Sinneseindrücke adäquat einzuordnen.“ Und weiter: „Die Künstliche Intelligenz liefert also in Bild, Ton und Text Abbildungen, Imitationen, Zerrbilder von menschlichem Schaffen. Wann sind wir bereit, etwas als real anzuerkennen und wann sind die Irritationen so groß, dass wir sie als unecht einordnen?“
Wichtige Fragen und Gedankengänge, die in rasender Geschwindigkeit auf eine weitestgehend naive Menschheit treffen und von denen viele rasch auf gesellschaftlicher Ebene verhandelt werden müssen.
In „Lenz“ geht es allerdings nicht um das Kollektiv, sondern um eine einzelne Person. Und die wird von Steeg auf fast schon unangenehme Weise glaubhaft interpretiert und dargestellt. Das Publikum wird hineingezogen in den Lenz'schen Kaninchenbau – nur, dass dort kein buntes Wunderland wartet, sondern noch mehr Verwirrung, noch mehr Ohnmacht, in die Steegs Lenz die Zuschauer:innen an einer Stelle auch ganz direkt einbindet.
Karten für das Theater-Erlebnis gibt es noch für die Vorstellungen am 22.05 und 12.06.2023 auf theater-kiel.de, unter 0431 – 901 901 und an allen Vorverkaufsstellen des Theaters.