Das Kieler Ballett mausert sich mit Ideenreichtum und Wagemut zu einem kreativen Vorreiter innerhalb der Theater-Landschaft unserer Landeshauptstadt. Einmal mehr beweisen das Regisseur Andrej Woron und Choreograph Lars Scheibner mit ihrer Inszenierung von „Ghetto-Trilogie/Savonarola“. Die Stücke des zeitgenössischen Komponisten Volker David Kirchner feierten am Samstagabend ihre (szenische) Uraufführung im Opernhaus Kiel.
Trauer und Wut – das seien die Pole, zwischen denen sich seine Musik bewege, sagt Volker David Kirchner. Dabei gelingt es ihm, den Zuhörer im wahren Wortsinn zu „ergreifen“, wenngleich sich seine Musik nur schwer fassen oder „begreifen“ lässt. Die Verknüpfung der beiden Stücke „Ghetto“ und „Savonarola“ macht es dem Zuhörer nicht einfacher.
„Ghetto-Trilogie“
„Ghetto“ füllt den ersten Teil des Abends. Andrej Woron und Lars Scheibner inszenieren zu Kirchners Musik geisterhafte Momentaufnahmen, die verstören. Im Zentrum stehen die Tänzer: Viola Crocetti-Gottschall, Stefanie Fischer, Elisabeth Christine Holth, Emil Wedervang Bruland, Leonardo Fonseca, Edward James Gottschall und Preslav Mantchev. Mit kalkweißen Körpern und ohne Haare wirken sie wie blasse Seelen einer vergangenen, einer grausamen Zeit. Assoziationen an Holocaust, Deportation und Tod sind sofort omnipräsent.
Auf der dunklen Bühne (Ausstattung ebenfalls Andrej Woron), einem mehrschichtigen, sich wandelnden Konstrukt, ist nicht auszumachen, ob die Tänzer mit oder gegeneinander tanzen. Ihre Bewegungen sind alles andere als schön oder grazil; sie sind kantig und marionettenhaft, mal schwach und hilflos, mal Zeichen eines letzten Aufbäumens vor der nicht abzuwendenden Agonie. Eine klassische Handlung gibt es nicht. Stattdessen: Trauer und Leere, Angst und Sehnsucht – eine ganze beklemmende Gefühlswelt, die sich in Musik und Tanz offenbart und wie eine luftraubende Welle in den Zuschauerraum schwappt.
„Savonarola“
In der Pause nach „Ghetto“ stellt sich die Frage, ob ein zweites Stück nun überhaupt noch sinnvoll ist. Zumal die zweite Geschichte auf den ersten Blick mit der vorangegangenen nicht unbedingt in Einklang zu bringen ist. „Savonarola“ erzählt von dem Dominikanermönch Girolamo Savonarola (Jörg Sabrowski), der im ausschweifenden Florenz Ende des 15. Jahrhunderts einen Gottesstaat ausruft und die Misstände in Kirchen- und Adelskreisen anprangert.
Um sich schart er seine „Soldaten Gottes“, die von den gleichen Tänzern, in gleicher Aufmachung und in den gleichen Kostümen wie in „Ghetto“ verkörpert werden. Mit ihnen will Savonarola gegen „Sünder“ wie Piero und Lorenzo de Medici (Fred Hoffmann, Petros Magoulas) vorgehen und ruft nicht zuletzt mit seinen Alleingang-Predigen Papst Alexander VI. (Marek Wojciechowski) auf den Plan, der zur Machterhaltung der katholischen Kirche anordnet, Savonarola zu hängen und anschließend zu verbrennen.
Regie und insbesondere die Ausstattung sind auch bei „Savonarola“ bestechend gut. Spürbar durchdacht setzt Woron das lasterhafte Florenz als Zirkus der Eitelkeiten in Szene. Rein optisch sind sowohl „Ghetto“ also auch „Savonarola“ mit Sicherheit zwei der gelungensten Umsetzungen dieser Spielzeit.
Von Trauer zu Wut
Ist es bei „Ghetto“ die Trauer, so schwingt Kirchners Musik in „Savonarola“ gen Wut. Unter der Leitung von GMD Georg Fritzsch setzt das Philharmonische Orchester die zügellosen Melodien nonchalant wie immer um. Häufig allerdings peitscht Fritzsch seine Musiker zu einer Lautstärke an, die die Sänger schonungslos unter sich begräbt.
Die Verbindung zwischen beiden Stücken wird auch am Ende des Abends nicht ganz klar. Selbst Kirchner, dessen Idee diese Verzahnung war, muss gestehen: „Ich weiß, dass es einen Zusammenhang gibt, aber im Moment fehlen mir dafür die Worte.“ Offenbar macht aber gerade diese Vagheit den Reiz des Abends aus: Das Publikum feierte beide Stücke und ihren Komponisten am Samstag mit langem Applaus und teilweise sogar mit stehend ausgeführten Ovationen.
Nächste Vorstellung: Samstag, 15. Mai, um 18.30 Uhr im Opernhaus Kiel. Tickets und weitere Informationen unter www.theater-kiel.de.