Wenn du in der Kunsthalle zu Kiel durch die aktuelle Ausstellung AMBO von Alicja Kwade wanderst, wirst du an manchen Stellen kaum deinen Augen trauen. Denn die Künstlerin spielt auf eine inspirierende Weise mit Wirklichkeit und Wahrnehmung. Dieses Spiel ist auch für weniger kunstversierte Menschen sehr spannend
Die Ausstellung von Alicja Kwade erstreckt sich über drei Haupträume. Zusammen mit der Mitarbeiterin Harriet Meyer schreite ich langsam durch den ersten Raum. Mir fällt eine Glühbirne an einem schwarzem Kabel, die auf dem Boden liegt, ins Auge. Doch dazu später mehr. Frau Meyer erklärt mir, dass diese Ausstellung auch für Kunstneulinge sehr interessant sein kann und ich weiß sofort, was sie meint. Durch die unzähligen Spiegelflächen wird die eigene Wahrnehmung auf eine harte Probe gestellt, sodass man an die Kunstwerke näher herantreten und sie aus anderen Blickwinkeln betrachten möchte. Verwundert erkenne ich immer wieder neue Spiegelungen, durch die ein Ast plötzlich zweifarbig erscheint oder ein Felsbrocken zur einen Hälfte silber und zur anderen Hälfte naturfarben wirkt. Mit meinen Händen muss ich mich immer wieder vorsichtig nach vorne tasten, damit ich nicht gegen einen Spiegel laufe. Für dieses wirkungsvolle Erlebnis braucht man wirklich kein Kunststudium.
„Es bereitet unglaublich großen Spaß , das Kunstwerk mit eigenen Augen zu entdecken“
Die eindrucksvollen, kupferfarbenen Gebilde stechen für mich optisch besonders heraus, denn sie treten immer wieder in veränderter Form auf. Dass die glänzenden Trichter, die mich an Blasinstrumente erinnern, einen Prozess darstellen, liegt auf der Hand. „Inhaltlich und formal setzt sich die Künstlerin bei diesen Gebilden unter anderem mit der Relativitätstheorie – insbesondere in Form von Wurmlöchern – auseinander“, so erläutert Frau Meyer die Darstellungen. Ich erkenne, dass Steine auf die Reise durch die Wurmlöcher geschickt werden, denn an einigen Trichteröffnungen sehe ich schwere Granitbrocken, während an anderen Trichtern grüne Steine und Staub herauszukommen scheinen. Alicja Kwade stellt damit die Veränderung von Materie dar, die durch die Wurmlochtheorie entstehen könnte. Raum und Zeit sind stets präsente Themen, welche die Künstlerin bei ihrer Arbeit beschäftigen. Diese Fragen sind meist nicht auflösbar, doch genau aus diesem unerklärlichen Moment des Scheiterns schöpft sie neue Inspiration. Das Spiel von Wahrnehmung und Wirklichkeit tritt dabei genauso in den Kunstwerken hervor, wie ein großes Maß an Doppeldeutigkeit. So steht auch der Name der Ausstellung AMBO für ambiguity (englisch für Mehrdeutigkeit).
Als wir im letzten Raum ankommen, finde ich das Gegenstück zur Eingangs erwähnten Glühbirne auf dem Boden liegen. Die beiden Leuchten wechseln einander in einem langsam Auf- und Abflammen ab. Wenn die eine Lampe leuchtet, ist die andere dunkel. Alicja Kwade möchte damit den Moment eines Sonnenuntergangs veranschaulichen. Ein bewegendes Bildnis, denn es vermittelt mir Unendlichkeit. Wenn hier die Sonne untergeht, geht sie gerade auf der anderen Seite des Erdballs wieder auf. Daneben sind in der Kunsthalle außerdem zwei Videos, eine Installation sowie eine Fotografie Teil der Ausstellung.
Mich hat diese so tief berührt, dass ich auch noch danach über die Thematik von Doppeldeutigkeit und Parallelwelten nachgedacht habe. Gerade in Zeiten von Social Media weiß man manchmal nicht, ob man seinen eigenen Augen noch trauen kann. Instagram scheint eine Blase zu sein, in der oft mehr Schein als Sein zählt. Doch nicht nur berufsbedingt, sondern auch privat hat mich die Ausstellung sehr zum Nachdenken angeregt. Sie läuft noch bis zum 16. September.
Mehr Infos gibt es unter www.kunsthalle-kiel.de.
Kunsthalle zu Kiel
Düsternbrooker Weg 1, Kiel
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10-18 Uhr und Donnerstag 10-20 Uhr