Das diesjährige Schleswig-Holstein Musik Festival ist noch jung, kaum eine Woche alt. Und doch sind wir uns sicher: Eins der absoluten Highlights haben wir bereits erleben dürfen!
Wohl kaum eine Konzertreihe mit einem Schwerpunkt auf klassischer Musik – vielleicht mit Ausnahme des Schleswig-Holstein Musik Festival selbst – dürfte bekannter sein als die seit 1941 stattfindenden „Proms“. In der Londoner Royal Albert Hall. In diesem Jahr stehen zwischen dem 14. Juli und dem 9. September ganze 71 Konzerte auf dem Programm. Das Finale ist jedes Jahr die „Last Night of the Proms“, ein musikalisches Spektakel, bei dem das Publikum ausgelassen mitfeiert und weltweit unzählige Menschen vor die Bildschirme holt.
Wo, wenn nicht in Neumünster?
Das Schleswig-Holstein Musik Festival hat in diesem Jahr „London“ als Schwerpunktthema gewählt. Da ist es nur standesgemäß, dass es auch ein „Schleswig-Holstein Proms“-Konzert gibt! Und tatsächlich gibt es nur einen Ort in Schleswig-Holstein, an dem dieses Spektakel stattfinden könnte: die Holstenhallen in Neumünster. Schließlich schwärmt Festival-Intendant Christian Kuhnt schon seit Langem von diesem Spielort als der „Royal Albert Hall des Nordens“. Zwar immer mit einem Augenzwinkern, aber doch nicht zu Unrecht! Die Akustik ist überraschend gut für eine Halle, die zunächst für Viehauktionen, dann für den Flugzeugbau verwendet wurde. Außerdem lässt sich das Publikum, ähnlich wie beim „Original“, in einem Rund – na gut, einem Oval – anordnen.
Schon auf dem Parkplatz und am Einlass wird klar: Die Zuschauer:innen haben ihren Auftrag verstanden! Die allermeisten sind eher legere gekleidet, viele sind, wenn nicht kostümiert, dann doch zumindest geschmückt, zumeist mit Großbritannien-Fähnchen und -Flaggen. Ein Glück, dass der Union Jack sich zumindest farblich ganz vortrefflich ins Schleswig-Holstein-Kolorit einfügt.
Spielfreude auf der Bühne
Auch den Protagonist:innen scheint klar zu sein, dass dies selbst für SHMF-Verhältnisse ein eher ungewöhnlicher Abend ist. Zumindest interpretieren wir so die Spielfreude und Dynamik, mit denen die Damen und Herren der NDR Radiophilharmonie vor allem die beschwingteren Stücke vortragen. Und davon stehen gleich mehrere auf dem Programm, etwa vom untrennbar mit dem SHMF verbundenen Leonard Bernstein, aber auch Maurice Ravel oder Arthur Sullivan und Charles Mackerras. Aber auch für die leiseren, die nachdenklicheren Töne ist gesorgt, etwa mit Korngolds „The Sea Hawk Suite“.
Dass der Abend musikalisch gelingt, das liegt natürlich auch am Dirigenten Paul Daniel, der zwar schon zweimal die „echten“ Proms dirigieren durfte, bislang aber noch nie in Neumünster auf der Bühne stand.
Schleswig-Holstein Proms als Teil von „Hope 50“
Das wiederum hat er gemeinsam mit dem Solisten und Moderator des Abends: Daniel Hope. Der Ausnahmegeiger feiert in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag und nimmt dieses Jubiläum zum Anlass, im Rahmen des SHMF (und etwas darüber hinaus) genau 50 Auftritte hinzulegen. Mit 13 Jahren war in Südafrika geborene Hope erstmals zu Gast beim SHMF und gehörte vor allem in den vergangenen Jahren praktisch schon zum Festival-Inventar.
Hope ist nicht nur wegen seiner Qualitäten an der Geige und um die Zahl von 50 Konzerten zu erreichen, die richtige Wahl für diesen Abend. Er selbst wuchs in England auf und hat sich immer wieder auch als Moderator hervorgetan, der mit Charme und Witz durch das Programm führt. So auch an diesem Abend, an dem er keine Chance auslässt, in teilweise bitteren Pointen klarzumachen, was er vom Brexit hält und dass er diesen noch immer nicht verdaut hat.
Vielleicht noch höher als seine musikalischen Erfolge, sind seine Verdienste um die Musikvermittlung einzuschätzen. Wie immer, wenn man Hope ein Mikrofon auf einer Bühne in die Hand drückt, erzählt er in ausführlichen Geschichten Hintergründe und Anekdoten zu den zu spielenden Stücken und Werken.
An der Violine glänzen kann der hervorragende Geschichtenerzähler spätestens und ganz besonders bei Ravels „Tzigane“, ohne es sich nehmen zu lassen, im Vorhinein eindringlich zu erklären, wie herausfordernd eben dieses Stück gerade für die Solo-Geige sei. Recht hat er damit und gegönnt sei ihm das bisschen Eigenlob allemal.
Finale in blau-weiß-rot
Wie es sich für diese Hommage an die „Last Night of the Proms“ gehört, muss das letzte Stück natürlich Edward Elgars „Pomp and Circumstance“ sein, bei dem die Neumünsteraner Holstenhalle dann endgültig kaum noch von der Londoner Royal Albert Hall zu unterscheiden ist: Das Publikum steht, klatsch – mal mehr, mal weniger koordiniert – mit und von der Hallendecke regnen Luftballons in blau, weiß und rot, die munter durch die Reihen geschlagen und lautstark zum Platzen gebracht werden.
Am Ende verlässt ein sichtbar begeistertes Publikum die „Schleswig-Holstein Proms“ und noch auf dem Weg aus der Halle sind Forderungen zu vernehmen, dieses Format doch zu einem festen Bestandteil des Schleswig-Holstein Musik Festival zu machen. Ein Wunsch, der nach diesem Abend nur allzu verständlich ist. Und doch: Uns erscheint es als die bessere Option, dieses Spektakel als besonderes Ereignis im Rahmen des London-Jahres des Festivals stehenzulassen.