Mit dieser Herangehensweise an Jane Austens Weltwerk traut sich das Theater Kiel etwas und liefert eine temporeiche, fulminante Show mit Tiefgang und viel Humor.
Die 1775 geborene und 42 Jahre später verstorbene Jane Austen gilt vielen als das weibliche Pendant zu William Shakespeare. Und das in vielerlei Hinsicht. Etwa, was ihre Beobachtungsgabe anbelangt, aber auch ihre sprachliche Virtuosität. Ihre oft romantischen Liebesgeschichten passen einerseits gut zum damaligen Zeitgeist, da der „Sittenroman“ en vogue war. Austen jedoch gelang es, das Genre weiterzuentwickeln und sowohl inhaltlich als auch der Form nach neue Wege zu gehen.
Ihr ohne Frage populärstes Werk ist „Stolz und Vorurteil“, das die Basis für diese Theaterinszenierung bildet. In einer Umfrage der BBC nach dem beliebtesten britischen Literaturwerk musste sie sich 2003 mit Rang zwei begnügen. Allerdings geschlagen nur von Tolkiens „Der Herr der Ringe“, das genau zu jener Zeit gerade erst ebenso opulent wie wegweisend von Peter Jackson verfilmt worden war.
„Stolz und Vorurteil“ selbst kam allerdings ebenfalls in den Genuss großer Filmadaptionen. So legte die BBC bislang fünfmal (1952, 1958, 1967, 1980 und 1995) mehrteilige Fernsehproduktionen vor. 2003 folgte eine US-amerikanische Filmfassung, 2005 die dann wohl heute populärste mit Keira Knightley in der Hauptrolle.
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Der erste Eindruck
Wie sehr darf man ein solches Werk verändern, wenn man ihm gleichzeitig die gerecht werden möchte? Die Antwort muss heute heißen: sehr. Denn selbst die klamaukige Horrorkomödie „Stolz und Vorurteil und Zombies“ führte nicht zu Stürmen der Entrüstung.
Nun also zeigt das Theater Kiel „Stolz und Vorurteil *oder so“ von Isobel McArthur. In dieser Fassung führen die Dienstmädchen Effie, Flo, Tillie, Clara und Anne die Zuschauer:innen durch die Geschichte. Sie treiben nicht nur die Handlung voran, sondern kommentieren Geschehenes und Gesagtes auf humorvoll-bissige Art und Weise.
„Stolz und Vorurteil“ spielt dabei im und um das von Adel und Standesdenken geprägte London am Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert. Persönliche wie gesellschaftliche Dramen, Intrigen und Zukunftsängste ziehen sich dabei durch das Stück.
Die Haupthandlung ist schnell erklärt: Mrs. Bennet ist darum bemüht, zumindest eine ihrer Töchter zu verheiraten. Denn männliche Nachkommen hat die Familie nicht, nach damals geltendem Recht dürfen aber nur solche den Sitz der Familie erben. Stirbt der Familienvater, ohne dass es einen Schwiegersohn gibt, fällt das Erbe der Familie an den nächsten Berechtigten aus der Linie des Vaters – William Collins, einen Cousin zweiten Grades und Pfarrer.
Elizabeth Bennet trifft auf Fitzwilliam Darcy und beide sind eigentlich ein fast perfektes Liebespaar, finden jedoch, geprägt durch Stolz und Vorurteile, nicht zueinander. Im Verlauf des Romans begegnen sie sich immer wieder und machen unterschiedliche Prozesse durch, an deren Ende es ihnen doch gelingt, sich füreinander zu entscheiden. So erklärt sich auch Austens Arbeitstitel für das Werk: Der erste Eindruck.
Nicht allein der Wechsel der Erzählperspektive macht diese Inszenierung des altbekannten Stoffs zu etwas Besonderem. In dem temporeichen Stück schlüpfen alle fünf Schauspielerinnen in gleich mehrere Rollen, denn immerhin kommen neben den Dienstmädchen noch 13 weitere Personen auf der Bühne zu Wort. Schnelle Kostümwechsel, mal hinter und mal auf der Bühne, sind also an der Tagesordnung. Besonders beeindrucken können dabei Agnes Richter und Laura Mahrla. Erstere schlüpft neben ihrer Rolle als Dienstmädchen Flo in die extrem gegensätzlichen Rollen von Mrs. Bennet und Fitzwilliam Darcy. Letztere verantwortet (neben Auftritten als Dienstmädchen Anne, Mary Bennet, Lydia Bennet und Mrs. Gardner) mirt ihrer Verkörperung des Mister Collins eins gar nicht mal so geheimen Highlights der Show. Ihr Collins ist so unangenehm, abstoßend und fast schon gruselig, dass es eine wahre Freude ist.
In den Schatten stellen die Darbietungen von Mahrla und Richter die der anderen Damen auf der Bühne dabei nicht. Im Gegenteil: Die Qualität des Stücks steckt im hervorragenden Zusammenspiel der fünf Schauspielerinnen und so können auch Nina Vieten (Dienstmädchen Effie und Elisabeth Bennet), Jennifer Böhm (Dienstmädchen Clara, Jane Bannet, George Wickham und Lady Catherine de Burg) sowie Isabel Baumert (Dienstmädchen Tillie, Charlotte Lucas, Charles Bingley und Miss Bingley) immer wieder Glanzpunkte setzen.
Neben den schauspielerischen Leistungen unter der Regie von Alexander Marusch wird „Stolz und Vorurteil *oder so“ auch getragen von zahlreichen mal lustigen, mal herzzerreißenden Gesangseinlagen, die so gar nicht in Jane Austens Zeit, sehr wohl aber zur Handlung passen. Wer des Englischen hinreichend mächtig ist, um Pop-Songs zu folgen, ist hier im Vorteil.
Nicht minder imposant ist der Einfallsreichtum, den das Team aufgebracht hat, um etwa bedrohliche Unwetter und Reisen zu Pferd auf die Bühne des Schauspielhauses zu bringen.
„Stolz und Vorurteil *oder so“ ist eine wundervoll unterhaltsame und beizeiten hinreichen skurrile Hommage an eins der größten und populärsten Werke westlicher Literatur. Das Ensemble des Kieler Theaters beweist mit dieser Inszenierung eindrucksvoll, dass man sich dem ehrwürdigen Stoff auch auf humorvolle und moderne Weise nähern kann, ohne sich darüber lustig zu machen oder seine Botschaft zu verraten.
Ja, für eingefleischte Fans des Austen-Originals mag mancher Moment eine Herausforderung sein. Wer aber auf der Suche nach einem Abend mit guter Unterhaltung auf schauspielerisch hohem Niveau ist, ist hier goldrichtig.
Weitere Termine: 09.10., 15.10., 23.10., 29.10. und 5.11. – Tickets gibt es auf theater-kiel.de oder telefonisch unter 0431 - 901 901.