Was würden drei Tage im Auto mit deinem Vater für dich bedeuten? Die Protagonist:innen in diesem Stück nutzen sie dafür, nicht weniger als ihr gesamtes Leben aufzurollen.
Das 2019 veröffentlichte Stück der in Russland geborenen, jedoch in Frankreich und Deutschland aufgewachsenen Autorin Marina Skalova behandelt die wichtigen menschlichen Themen unserer Zeit: Migration, Identität und Zugehörigkeit. Und das auf gleich mehreren Ebenen, auf der gesellschaftlichen wie auf der familiären. Es geht um die Frage, wie Menschen ihre Identität bewahren oder neu definieren, wenn sie ihre Heimat verlassen und in eine fremde Gesellschaft eintreten. Skalova, bekannt für lyrische und fragmentarische Schreibweise, gelingt es dabei, komplexe Emotionen und Situationen durch eine prägnante und kraftvolle, deshalb aber nicht weniger poetischen Sprache Ausdruck zu verleihen.
Erleben dürfen wir all das, während wir ein Vater-Tochter-Gespann begleiten. Er (gespielt von Nikolaus Okonkwo) und sie (Claudia Friebel) haben sich ein Stück weit entfremdet; ihre Beziehung ist vielschichtig und von emotionalen Spannungen geprägt.
Die Familie stammt aus der UdSSR und wanderte nach deren Zusammenbruch nach Frankreich aus. Während es ihn zurück nach Russland verschlug, blieb seine Tochter im Westen und wurde Astrophysikerin. Er ist Autoschleuser und so finden die beiden natürlich auf einer dreitägigen Autofahrt von Berlin nach Moskau das gemeinsame Gespräch, in dem sie verschiedene Episoden ihrer Leben erzählen, erklären, aufarbeiten. Der Dialog, das Erzählen von Geschichten hilft den beiden, Brücken zwischen ihnen zu bauen.
Die Geschichte selbst wie auch ihre Inszenierung auf der Studio-Bühne im Schauspielhaus sind intensiv und dürften viele an eigene Konflikte mit den Eltern erinnern. Friebel und Okonkwo gelingt es dabei meisterhaft, die Komplexität der beiden Figuren herauszuarbeiten: die jeweiligen Verletzungen, innere Zerrissenheiten, aber eben auch das gegenseitige Bemühen um Verständnis.
Das kurzweilige Stück ist ein Erlebnis, das das Publikum beeindruckt zurücklässt. Beeindruckt, aber auch nachdenklich. Denn in jedem Leben gibt es vermutlich die eine oder andere Person, wenn nicht gar auch die Eltern, mit denen man mal eine dreitägige Autofahrt unternehmen und das tiefe Gespräch suchen sollte. Wer wäre das bei dir?
Wenn du dir vor deinem eigenen Roadtrip erstmal anschauen möchtest, wie Vater und Tochter es in „Der Sturz der Kometen und der Kosmonauten“ anstellen, dann hast du dazu noch an mehreren Terminen im Juni, sowie einem abschließenden Abend am 18. Juli 2024 die Gelegenheit. Tickets gibt es auf theater-kiel.de, telefonisch unter 0431 – 901 901 sowie an allen Vorverkaufsstellen des Theaters.