Gemeinsam mit dem Ministerium für Landwirtschaft, ländliche Räume, Europa und Verbraucherschutz (MLLEV) entwickelte die Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein (VZSH) ein Konzept, um Menschen mit wenig Geld in ihrem Konsumalltag zu unterstützen. Diese Offensive ist nötig, weil die Preise für Lebensmittel und Energie in letzter Zeit enorm gestiegen sind.
Klimawandel, Pandemie, Energiekrise, Inflation – wenn uns die letzten Jahre eines gezeigt haben, dann, dass auf eine Krise meist eine weitere folgt. Die Preissteigerungen der letzten Jahre setzen besonders Menschen unter Druck, die ohnehin mit wenig Geld auskommen müssen. Für sie sind die hohen Kosten, zum Beispiel für Essen und Energie, kaum noch zu stemmen. Genau hier knüpft die neue Maßnahme der VZSH und des MLLEV an. Im Juli 2023 konnte die Verbraucherzentrale den entsprechenden Zuwendungsbescheid des Ministeriums entgegennehmen: Startpunkt für die landesweite Quartiersarbeit.
Quartiersmitarbeiter*innen unterstützen kostenfrei
Als unabhängige Organisation setzt sich die VZSH für die Rechte und Interessen der Bürger ein, betreibt Verbraucherbildung und pflegt den Austausch mit politischen Entscheidungsträgern. Beratungen in den fünf Beratungsstellen in Flensburg, Kiel, Heide, Lübeck und Norderstedt kosten regulär 35 Euro. Dank der neuen Förderung des MLLEV kann die VZSH ihr Angebot jetzt für Menschen mit geringem Einkommen ausweiten und kostenfrei anbieten. Neben kompetenten Teams in den Beratungsstellen sind geschulte Quartiersmitarbeitende jetzt in ausgewählten Stadtvierteln unterwegs, um direkt und persönlich Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten – etwa bei Vertragsärger, Mahnungen und Inkasso-Verfahren, Haustürgeschäften oder Fakeshops im Internet und natürlich bei Problemen mit der Energieversorgung.
Offene Sprechstunden in vertraulichem Umfeld
Menschen mit geringem Einkommen, die sich in schwierigen Lebenslagen befinden oder vor besonderen Herausforderungen stehen, finden den Weg in die VZSH-Beratungsstellen häufig nicht – zum Beispiel aus Scham, Unwissenheit oder Geldmangel. Im Rahmen des neuen Programms gehen Quartiersmitarbeitende auf diese Menschen zu und suchen sie in ihrer Lebenswelt auf. Das umfasst offene Sprechstunden, die in den Räumen regionaler Kooperationspartner wie Familienzentren oder Gemeindetreffpunkten und in einem vertraulichen Umfeld stattfinden. Hier können sich die Bewohner der Stadtteile ganz unkompliziert und ohne Termin über viele Themen informieren und beraten lassen. Während Vorträgen, Aktionen, Veranstaltungen und Online-Seminaren vermitteln die Quartiersmitarbeitenden weiteres Wissen zu Verbraucherthemen und geben unabhängige Tipps und Handlungsempfehlungen. Unterstützt wird das Quartiersteam von den Fachreferent*innen in der Geschäftsstelle, etwa aus den Bereichen Recht und Finanzen, Wohnen und Energie, Lebensmittel und Ernährung oder Verbraucherbildung.
Große Nachfrage in allen Orten
Seit der Übergabe des Förderbescheids durch das Ministerium an die Verbraucherzentrale im Juli 2023 ist viel passiert. Motivierte Mitarbeiter*innen für die Arbeit im Quartier wurden gesucht und gefunden, Strukturen aufgebaut und Materialien konzipiert. Auch das Netzwerk an Partnern in den Stadtteilen ist gewachsen. Allein in Lübeck sind so bereits acht feste Sprechstunden entstanden. Landesweit ist die Nachfrage groß. Es kommen Menschen jeder Altersgruppe, Männer und Frauen. Es kommen Menschen, die in Schleswig-Holstein groß geworden sind oder ein neues Zuhause im Norden gefunden haben. Entgegen vieler Vorurteile sind die Ratsuchenden nicht alle erwerbslos oder zugewandert. Im Gegenteil: In die Sprechstunde kommt die Seniorin, die ein Leben lang gearbeitet hat, aber deren Rente nicht mehr reicht, um die hohe Stromrechnung zu zahlen. Es kommen Studierende, die auf einen Fakeshop im Internet hereingefallen sind und Geld verloren haben. Es kommt die alleinerziehende Mutter, der ein Gutschein versprochen und ein teures Zeitschriften-Abo untergeschoben wurde. Es kommt die junge Familie, die mit Schimmel in der Wohnung kämpft.
Hilfe zur Selbsthilfe
Die Einwohnerschaft in den Quartieren ist divers und multikulturell. Sie ist aus unterschiedlichen Gründen verletzlich. Doch zeigt sich, dass meist schon das gemeinsame Gespräch Lösungen für viele Probleme hervorbringen kann. Nach dieser Überzeugung handeln die Beratungsteams in den Quartieren. Jeder Hilfesuchende wird offen aufgenommen und individuell betreut. Das kurzfristige Ziel ist die Lösung des akuten Problems. Langfristig sollen die Verbraucher*innen jedoch auch lernen, sich im Konsumalltag besser zurechtzufinden und das eigene Selbsthilfepotenzial auszuschöpfen. Deshalb klären die Quartiersmitarbeitenden über Verbraucherrechte, Gesetzesänderungen oder neue Betrugsmaschen auf und geben Tipps zum Geld- und Energiesparen. Durch dieses Wissen sollen die Menschen künftig vorteilhafte Kaufentscheidungen treffen und nachteilige Angebote erkennen.
Starker Verbraucherschutz, starke Gesellschaft
Das Leben mit wenig Einkommen und vielen Preissteigerungen ist schwierig: Schon geringe Mehrkosten aufgrund eines untergeschobenen Vertrags können zu Zahlungsunfähigkeit, Inkasso-Verfahren, negativem Schufa-Eintrag und Vollstreckungsbescheid führen. Diese Abwärtsspirale sorgt bei vielen Verbrauchern für Verzweiflung und im Einzelnen sogar für Resignation und gesellschaftliche Abkehr. Deshalb sei es so wichtig, den verletzlichen Teil der Bevölkerung zu stärken und Vertrauen in öffentliche Institutionen und Hilfsmaßnahmen zu schaffen, so Stephan Göhrmann, Sprecher der VZSH. Denn damit werde automatisch die ganze Gesellschaft gestärkt.
Weitere Informationen sowie alle Sprechstunden und Veranstaltungen findet Ihr auf der Website der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein!