Wohl niemandes Stücke werden öfter zur Aufführung gebracht als die von William Shakespeare. Und doch gelingt es dem Theater Kiel gut 400 Jahre nach dem Tod des Autors einen neuen Zugang zu finden.
Wo fängt man an zu erzählen, wenn beinahe in jedem Detail eine Überraschung steckt? Vielleicht am besten ganz am Anfang, also beim Wort. Shakespeares Texte haben die Welt verändert. Jede:r kann zumindest ein paar seiner Werke nennen, vielleicht sogar Phrasen oder ganze Absätze zitieren. Seine Sprache ist voll von Poesie und reich an Metaphern. Außerdem reichte Shakespeare die ihm zur Verfügung stehenden Worte nicht aus – und so erfand er kurzerhand zahlreiche Begriffe, um Umständen und Gefühlen Ausdruck zu verleihen; viele werden bis heute im Englischen verwendet.
Zigmal ist dieser William Shakespeare schon ins Deutsche übersetzt worden und doch hielten es Generalintendant Daniel Karasek (der bei „Viel Lärm um nichts“ auch Regie führt) und Dramaturgin Kerstin Daiber für nötig, den Originaltext erneut ins Deutsche zu übertragen. Ob es das wirklich brauchte, mag sich manch eine:r fragen. Eine Frage, die sich schon nach wenigen Minuten im Stück als fast schon ketzerische erledigt hat. Die deutlich modernisierten Dialogtexte sprühen vor Wortwitz und Bildern, über die vielleicht sogar ein Shakespeare amüsiert schmunzeln müsste.
Musik als Teil des „Lärms“
Damit aber nicht genug der Überarbeitung! Falls es dir bislang entgangen sein sollte: Beim Sommertheater auf dem MFG5-Gelände zwischen Holtenau und Friedrichsort handelt es sich um weit mehr als eine klassische Theaterbühneninszenierung. Der Titel der Produktion trägt den Namenszusatz „Das Musical“. Wer allerdings ein Musical im Sinne Andrew Lloyd Webbers („Phantom der Oper“, „Cats“) oder Lin-Manuel Mirandas („Hamilton“) erwartet, sieht sich vielleicht zu viel gesprochenen statt gesungenen Dialogen gegenüber. So bewegt sich „Viel Lärm um nichts“ zwischen beiden Genres, was der Sache aber keinen Abbruch tut – eher im Gegenteil.
Dass es überhaupt Gesangspassagen zu hören gibt, ist in diesem Jahr Sonja Glass zu verdanken. Glass ist eine Hälfte des Musikduos BOY und tritt in diesem Jahr ein schweres Erbe an, hatte doch bei den vorigen Produktionen die für ihre Dichtkunst bekannte Indieband Kettcar für den musikalischen Part verantwortlich gezeichnet und war berechtigterweise umjubelt worden.
Glass ist dieser Aufgabe dabei mehr als gewachsen und schafft es, mit ihren Songs, die von Schlager bis Rap reichen, dem Stück eine weitere Dimension und vor allem eine nochmals emotionalere Ebene zu verleihen und bereitet so einen nicht unerheblichen Teil des Bodens, auf dem Shakespeares Liebes-Verwirrspiel stattfinden kann.
Das Drama im Zentrum
Aber auch der nicht metaphorische, sondern ganz reale Boden, die Bühne also, hat es in sich! Zwar hat sich das Theater Kiel bei den Sommer-Specials noch nie lumpen lassen. Die Zuschauer:innen auf zwei Seiten einer runden (Dreh-)Bühne mit zwei gegenüberliegenden Zugängen zu platzieren, das ist auch für Kiel neu.
Lars Peter ist es dabei gelungen, ein ansprechendes und interessantes Bühnenbild zu schaffen, das das Spiel jederzeit unterstützt, nie aber überlagert. Gemeinsam mit Claudia Spielmann (die auch für die zum Sommerfest – in Kiel wie auch im Stück selbst – frisch-fröhlichen Kostüme verantwortet) gelang ihm gleiches auch für die auf Leinwänden gezeigten Videos. Sie sind in diesem Jahr nicht unmittelbar Teil der Handlung, unterstreichen diese jedoch mit teilweise reichlich skurrilen Sequenzen.
Für das Publikum hat all das gleich mehrere Vorteile: Zum einen ist man viel näher dran am Geschehen als in den vergangenen Jahren – vor allem, wenn man sich keine Karte für das untere Tribünendrittel leistet. Zum Anderen ermöglicht das Konstrukt es auch den Schauspieler:innen aus verschiedenen Richtungen auf die Bühne zu treten. So stellt sich ein Gefühl, fast wie bei den Karl-May-Festspielen in Bad Segeberg ein, wo ja auch jederzeit in jeder Ecke der Kalkberg-Arena jemand auftauchen kann.
Schauspielerisches Hochvergnügen
All das ist wichtig, aber nichts ohne ein Ensemble, das Texten, Musik und Regieanweisungen Leben einzuhauchen versteht. Als Theaterbesucher:in in Kiel muss man sich genau darum zum Glück schon seit vielen, vielen Jahren keine Sorgen machen.
Marko Gebbert spielt seinen Don Pedro, der es sich zur Aufgabe macht, Claudio und Hero zu verkuppeln, mit einer treffsicheren Mischung aus Lässigkeit und abgeklärter Souveränität. Rudi Hindenburg (Claudio) und Imanuel Humm (Leonato, Vater von Hero) gelingt der Spagat von einfühlsamer Fröhlichkeit hin zu tobender Wut und blankem Hass mühelos. Und Hero als Prototyp tugendhafter, unschuldiger Frauen in Shakespeare Stücken ist bei Eva Kewer in den besten nur vorstellbaren Händen. Dafür, dass sich ein Großteil des Stücks eben um diese Hero dreht, fällt ihre aktive Bühnenzeit fast ein wenig kurz aus.
Die Stars des Abends sind jedoch zwei andere, noch weniger bekannte Gesichter. Ensemble-Neuzugang Mischa Warken und Tiffany Köberich zelebrieren ihre Rollen als „das andere Liebespaar“ des Stücks, Benedikt und Beatrice, mit einer Verve, dass es eine wahre Freude ist. Das gilt sowohl in den zahlreichen Wortgefechten zwischen den beiden, die ihre gegenseitige Anziehung weder einander noch sich selbst eingestehen wollen, wie auch im Gesang.
Zacharias Preen ist der misanthropische und durchtriebene Don John, der die Hochzeit von Claudio und Hero mit einer miesen Täuschung verbinden will, perfekt auf den Leib geschrieben. Sein Plan allerdings kann nur mithilfe seines Mitstreiters Borachio gelingen, dessen Rolle nicht etwa ein Mann, sondern Jennifer Böhm übernimmt, was manche Szene nochmals interessanter werden lässt.
Nicht unerwähnt bleiben darf an dieser Stelle Tristan Steeg, den wir hier unlängst bereits für sein Solo-Stück „Lenz“ ausführlich gelobt haben. Sein Mönch Antonio rettet nicht nur die gesamte verfahrene Situation, sondern ist auch für die eine oder andere unerwartete komödiantische Einlage zuständig. Film-Fans dürfen sich auf eine beeindruckende Hommage an „Matrix“ freuen.
Noch 14 Aufführungen bis zum 16. Juli
Dem Theater Kiel ist eine moderne und – natürlich mit Ausnahme der Verleumdungsszene zwischen Claudio und Hero – sommerlich leichte Inszenierung von Shakespeares Komödie „Much adoe about Nothing“ gelungen, die das Premierenpublikum euphorisch klatschend und jubelnd zurückließ.
„Viel Lärm um nichts – Das Musical“ wird noch bis zum 16. Juli 2023 jeden Tag, außer montags, aufgeführt. Karten gibt es zu Preisen ab 35 Euro (ermäßigt ab 24,50 Euro) an den Kassen des Theaters, telefonisch unter 0431 – 901 901 und natürlich online unter theater-kiel.de.