Eigentlich sollten auf knapp 48.000 Quadratmetern zwei gigantische Möbelhäuser entstehen. Eigentlich hatte die Krieger Unternehmensgruppe sich dazu verpflichtet, eine Ausgleichsfläche von knapp 7 Hektar zu erhalten. Sogar zu optimieren. Eigentlich dachte die Stadt Kiel, dass alles seinen Gang gehen würde. Eigentlich …
Denn schon im vergangenen Herbst wurden Stimmen laut, die davon berichteten, dass sich das Unternehmen vor Ort so gar nicht an das hielt, was besprochen war. Wer sich mit dem Thema beschäftigte, las empörte Briefe von Kielerinnen und Kielern, sah Bilder, die überfahrene und zerquetschte Kaninchen zeigten, blickte auf brutale Eingriffe in die Natur, auf einen radikalen Kahlschlag.
Doch worum gehts eigentlich? Ein Rückblick:
Wir befinden uns im Jahr 2011: Die Ratsversammlung beschließt die Ansiedlung von Möbel Kraft auf dem 17 Hektar großen Gelände zwischen Westring und Hasseldieksdammer Weg. Dadurch sollen 250 bis 300 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, man rechnet mit einem Baubeginn noch Ende 2013.
340 Kleingärten müssen dafür jedoch weichen.
340 Kleingärten in der ältesten Kleingartenanlage Kiels, die auch Teil des historischen Grüngürtels ist.
2012 dann erwirbt die Krieger Unternehmensgruppe das Gelände von der Landeshauptstadt. Die Pächter*innen werden zur Aufgabe ihrer Gärten gezwungen. In der Kieler Bevölkerung entstehen Unruhen, 2014 dann kommt es zum Bürgerentscheid. Dieser fällt knapp für den Bau von (damals noch) Möbel Kraft aus. Obwohl das riesige Unternehmen mit allen Mitteln wirbt (vor allem mit finanziellen), halten viele Stimmen immer dagegen.
Kurze Zeit später wird öffentlich, dass nicht Möbel Kraft, sondern Möbel Höffner (und Sconto, was zum riesigen Höffner-Konzern gehört) entstehen soll. Für die einen mag das nur eine Namensänderung sein, für die anderen jedoch ist klar: Der Entscheid wäre anders verlaufen, wenn die Bürger gewusst hätten, dass kein Unternehmen aus der Region (Möbel Kraft) nach Kiel kommen soll. Das bestätigt Björn Sander, einer der Initiatoren des Bürgerentscheids, in einem Interview.
Doch erstmal passiert nichts. Der Bau verzögert sich. Im September 2018 liegt die Baugenehmigung vor, im gleichen Jahr kommt von Seiten der Höffner Möbelgesellschaft GmbH & Co. KG die Ankündigung, keinesfalls vor 2020 bauen zu wollen. Baudezernentin Doris Grondke erfährt laut einem Artikel der Kieler Nachrichten vom Investor per SMS den neuen Eröffnungstermin: Am 2. September 2021 sollen Möbel Höffner und Sconto fertig sein. Ein erneutes Aufschieben.
Wie ausgeglichen ist eigentlich der Ausgleich?
Doch zurück zum aktuellen Problem. Der Bebauungsplan Nr. 988 sieht im unmittelbaren Umfeld der Baustelle die Ausgleichsflächen A1– A3, „mit einer Größe von circa 6,2 Hektar” vor, welche „im Sinne der Artenschutzes optimiert und dauerhaft zu erhalten sind” (siehe Link).
Bedeutet: Ein vorhandenes Ökosystem schützen und erhalten.
Die Realität zeichnet jedoch ein anderes, verstörendes Bild. Es wurden mehr Bäume gefällt, als erlaubt, Tiere wurden verscheucht und getötet, der Boden wurde mit zu schweren Geräten bearbeitet, es wurde klar gegen Gesetze und Auflagen verstoßen. Zu stark wurde in die Natur eingegriffen, der Schaden ist gigantisch, das eigentlich zu schützende Ökosystem verletzt, ein lebendiges Biotop zerstört.
Und Möbel Höffner? Spricht von einem Versehen. Spricht davon, ein einzelner Baggerfahrer sei „derart in Schwung gewesen, dass er fröhlich das ganze Grünzeug weggeholzt” hätte (Kommentar Kieler Nachrichten vom 22. Januar 2021).
Und jetzt?
Die Schäden, die bisher durch den Bau im Prüner Schlag verursacht wurden, sind irreversibel. Das Abkommen, das ökologische System zu erhalten, ist hinfällig. Das Versprechen nicht eingehalten. Die Glaubwürdigkeit aller Beteiligten sinkt.
Es ist jetzt die Aufgabe der Landeshauptstadt Kiel und der Staatsanwaltschaft, dass der Vorgang vollständig aufgeklärt wird, es muss eine Strafe geben und es müssen alle Fragen restlos beantwortet werden.
Wie konnte es dazu kommen obwohl es eine ökologische Baubegleitung gab? Wieso gab es keine Kontrollen? Wieso herrscht im Prüner Schlag Sodom und Gomorra? Wie kann sichergestellt werden, dass das letzte, kleine bisschen Rest des noch vorhandenen Ökosystems nun endlich dauerhaft geschützt wird? Und seit wann weiß die Stadt Kiel über die katastrophalen Zustände Bescheid?
Laut Aussage der Stadt selbst, habe am 11. November bereits eine Besichtigung vor Ort stattgefunden. Doch Stadträtin Doris Grondke wurde angeblich erst am 25. November informiert, gab am nächsten Tag die Informationen weiter. Die Ratsfraktion behauptet ihrerseits, sie hätte nichts von der Relevanz und der Dramatik der Umstände geahnt. Bis in den Januar hinein.
Erst dann wurde dank aufwendiger Recherche seitens der Medien für die Aufdeckung des Skandals gesorgt.
Wir fragen uns nun also alle: Wie kann das sein?
Weiterführende Links:
Petition:
https://www.change.org/p/stadt-kiel-gerechtigkeit-im-pr%C3%BCner-schlag-a9eff221-29b8-445d-91b3-56f3f0a2cc06?utm_content=cl_sharecopy_27016233_de-DE%3A2&recruiter=1176282609&utm_source=share_petition&utm_medium=copylink&utm_campaign=share_petition
Bürgerentscheid:
http://buergerentscheid-kiel.de/fakten-und-mythen-zur-werbung-von-moebel-kraft-und-stadt/
Artikel und Interviews:
https://www.kiel.de/de/kiel_zukunft/kiel_plant_baut/moebel_kraft.php
https://kiel.de/de/kiel_zukunft/kiel_plant_baut/_dokumente_moebel_kraft/oeffentliche_auslegung/praesentation_obr_20140709.pdf
https://www.moebelkultur.de/news/hoeffner-statt-moebel-kraft-in-kiel-sorgt-fuer-unruhe/
https://www.kn-online.de/Kiel/Kiel-Moebel-Hoeffner-will-am-2.-September-2021-eroeffnen
https://www.kn-online.de/Mehr/Meinungen/K.-Blasel-Hoeffner-verspielt-erneut-Vertrauen
https://www.kn-online.de/Kiel/Kahlschlag-im-Schutzgebiet-Doppelter-Schaden-im-Moebel-Hoeffner-Skandal