Er gehört zu Kiels bekanntesten Persönlichkeiten: Feridun Zaimoglu. KIELerLEBEN sprach mit dem Maler und Schriftsteller über seine Liebe zu Kiel und sein neues Buch „Der Mietmaler“.Herr Zaimoglu, 1984 sind Sie für Ihr Medizin-Studium nach Kiel gekommen. Was war damals Ihr erster Eindruck?
Feridun Zaimoglu: Ich dachte: „Um Gottes Willen, bloß weg hier.“ Kalter Eisregen klatschte mir ins Gesicht. Ich hatte null Interesse am Medizin-Studium. Es war der große Traum meiner Eltern: Unser Sohn studiert Medizin, heiratet, bekommt eine Halbglatze, eine Wampe und zwei dicke Kinder. Ich wollte ihnen den Gefallen tun. Ich bin sehr streng erzogen worden und siezte meine Eltern.
Wann haben Sie gemerkt, dass Sie lieber Kunst studieren wollen?
Das wusste ich von Anfang an. Ich habe schon als Kind gerne gemalt. Ich wollte nur meine Eltern bei Laune halten. Also machte ich munter meine Scheine in Medizin und malte nebenher hunderte Bilder.
Wie haben Ihre Eltern reagiert, als Sie das Medizin-Studium nach dem Physikum abbrachen und anfingen, an der Muthesius Kunsthochschule experimentelle Malerei zu studieren?
Sie haben sich jahrelang nicht davon erholen können. Sie haben alles Geld in die Bildung ihrer Kinder investiert. Für sie war es klar, dass wir kommende Deutsche sind und das Land auch unser Land wird.
Seitdem sind 28 Jahre vergangen. Sie scheinen Ihren ersten Eindruck von Kiel revidiert zu haben?!
Ja, aber es dauerte. Es ist wie mit der Malerei: Die meisten Leute denken, Malerei beginnt mit dem ersten Pinselstrich auf der Leinwand. Das ist aber falsch. Sie beginnt mit dem Blick. Wenn Sie etwas ungenau anschauen, dann schummeln Sie.
Sie fingen also an, sich die Stadt genauer anzuschauen?
Ein Kumpel zeigte mir die Gegend, die Hünengräber, die überall im Norden verteilt sind, und ich las die alten Walfänger-Sagen. Ich sah nicht nur das, was da war, ich träumte mich fort.
Wie würden Sie heute Ihre Beziehung zu Kiel beschreiben?
Es ist mehr als Liebe. Ich war ein Jahr in der Villa Massimo (Zaimoglu erhielt 2005 ein Stipendium, Anm. d. Red.) und bin verreckt vor Sehnsucht nach Kiel.
Was hat Kiel zu bieten, was Rom nicht zu bieten hat?
Rom ist eine Schutthalde. Die Leute geben da mit den Scherben der Antike an. In Kiel gibt es ein gesundes Misstrauen gegenüber den Angebern und Blendern. Es ist hart, hier zu leben, weil das Leben ein Überleben bedeutet. Kiel ist nichts für Sonnyboys und kleine Mädchen. Das ist eine Stadt für richtige Frauen und richtige Jungs. Mir gefällt die Härte des Umgangs. Ich mag es, wenn man sich die Dinge erkämpfen muss.
Was mussten Sie sich hier erkämpfen?
Ich bin zweimal von der Muthesius Kunsthochschule geflogen. Danach war ich richtig im Arsch. Kein Geld, kein Studium, keine Ausbildung. Alles erschien mir sinnlos. Ich musste mir wieder den Glauben erkämpfen, dass alles schon richtig ist, wie es in meinem Leben kommt. Das hat fast ein Jahr gedauert.
Warum wurden Sie damals der Hochschule verwiesen?
Zu meiner Idiotie: Ich wollte die Kunst neu erfinden. Ich habe tütenweise Schnitthaar von Friseuren sammeln lassen und sie dann als Kunstaktion auf den Boden geworfen. Zur Idiotie der Professoren: Sie lehren den Schülern eine Scheißtheorie. Das Elend in der Kunst besteht darin, dass Theoretiker sich reingeschummelt haben und sich die Künstler bereitwillig als Sklaven anbieten. Kunst ist nichts weiter als Materialverkleidung einer bestimmten Theorie. Ich scheiß auf die Theoretiker, weil sie der Kunst die Sinnlichkeit ausgetrieben haben. Das habe ich den Professoren gesagt: „Ich spuck auf euch, ich spucke auf eure Kunst, ihr seid Pharisäer und Philister, ihr seid Priester. Möget ihr und dieser Scheißtempel verrecken. Ihr seid nichts, ihr verderbt die Schüler mit diesem theoretischen Blödsinn.“
Waren Sie sich den Konsequenzen Ihrer Worte nicht bewusst?
Doch, aber ich wollte mich nicht mehr beherrschen. Irgendwann wird die Selbstbeherrschung zur Feigheit.
Wodurch haben Sie nach dem Muthesius-Rauswurf Ihren Glauben wiedergefunden?
Irgendjemand hat mir diese Geschichte erzählt: „Es waren einmal zwei Frösche, die fielen in einen Sahnetopf. Die Frösche strampelten wie wild in der Sahne herum, um sich aus dem Topf zu befreien. Vergebens. Ein Frosch gab das Paddeln auf und ertrank. Der andere Frosch strampelte weiter, wodurch sich die Sahne allmählich in Butter verwandelte. So konnte er aus dem Topf springen.“ Auch wenn die Zeit sehr hart war und ich als Schlachter und Küchenhelfer arbeiten musste, eines kam für mich nie in Frage: aufgeben.
Heute sind Sie ein mehrfach ausgezeichneter Schriftsteller. Was war der Auslöser dafür, dass Sie anfingen zu schreiben?
Wie beim Malen zuerst das Schauen kommt, kommt beim Schreiben zuerst das Erzählen. Damals war ich viel mit den Jungs einer Hip-Hop-Gruppe zusammen. Wir hockten in einem Kellerloch in Gaarden und erzählten uns Geschichten. Ali, der Frontmann dieser Gruppe, hielt eine Brandrede. Ich war angetan. Ich lieh mir eine manuelle Schreibmaschine aus und hackte ein Gedächtnisprotokoll zusammen. Der Anfang von meinem ersten Buch „Kanak Sprak“.
Das war 1995. Inzwischen haben Sie fast 20 Bücher geschrieben. Was gibt Ihnen das Schreiben, was Ihnen das Malen nicht geben kann?
Wort und Bild kann ich nicht trennen. Wenn ich schreibe, übersetze ich Bilder in Worte. Und wenn ich male, steht immer ein zündender Satz am Anfang.
Was haben das Schreiben und das Malen gemeinsam?
Die Vermählung von Vernunft mit Rausch. Man verliert sich. Man entzieht sich dem wirklichen Leben. Auf dem Papier bin ich eine Frau, ein Zuhälter oder ein kleiner Bub. Ich kann in Rollen schlüpfen. Das Malen und Zeichnen ist genauso. Wenn ich in die Geschichte eintauche, dann sehe ich die Welt durch die Augen des Protagonisten. Eine schöne Art der Selbstvergessenheit bzw. in radikalen Momenten der Selbstvernichtung.
Wie meinen Sie das?
Manchmal muss ich aufpassen, dass ich nicht in die Fantasiewelt hinüberrutsche. Es hat seinen Reiz, aus diesem schönen Traum nicht aufzuwachen. Im schlimmsten Fall werden Sie knallverrückt. Bisher konnte ich mich immer rechtzeitig zurückholen. Trotzdem werde ich von vielen für einen Spinner gehalten. (lacht)
Warum?
Zum Beispiel weil ich noch mit Schreibmaschine schreibe.
Mögen Sie keine Computer?
Computer sind mitverantwortlich für den Sprachverfall. Jugendliche reden heutzutage nur noch in diesem bekloppten Computerjargon. Außerdem finde ich es scheiße, dass Recherche nur noch im Internet stattfindet. Man liest Büchern an, ob der Schreiber wirklich dort gewesen ist oder nicht. Ich bin sehr viel konzentrierter, wenn ich an der Schreibmaschine arbeite. Ich schreibe keine Seite ein zweites Mal.
Am 26. Februar ist Ihr neues Buch „Der Mietmaler“ erschienen. Worum geht’s?
Es ist eine Liebesgeschichte. Es geht um einen Frauenporträtmaler namens Edouard. Er ist kein sehr guter Maler, weil er die Frauen nur platt abbildet, ohne ihren Charakter wirklich erschlossen zu haben. Am Anfang steht ein Liebesaus, Edouards Ex-Freundin Sonja rechnet auf offener Straße mit ihm ab. Seine Welt beginnt zu verblassen. Bis eine Frau namens Nora von Edouard porträtiert werden möchte. Sie ist eine konservative Frau mit festen Ansichten, die seine ersten Skizzen vor seinen Augen zerreißt. Sie will keine platte Abbildung von sich. Die beiden verstehen sich überhaupt nicht …
Klingt nicht nach einer Liebesgeschichte.
Ich kriege Hautausschlag, wenn Paare zu mir sagen: „Wir verstehen uns so gut.“ Ich meine nicht, dass man sich zerfleischen soll. Aber zwischen Mann und Frau kann es aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit keine pure Harmonie geben.
Bei „Der Mietmaler“ handelt es sich um Ihr erstes mit 30 Frauenporträts selbst illustriertes Buch. Wie war für Sie die Verbindung von Schreiben und Malen?
Wie eine Doppelexplosion. Doppelte Aufregung, doppelter Rausch. Ich freue mich schon auf die Lesetour. Auch wenn ich jetzt schon weiß, dass ich mich nach Kiel halbtot sehnen werde.
Zur Person
Feridun Zaimoglu wurde 1964 in Bolu, Türkei, geboren. 1965 kam er mit seinen Eltern nach Deutschland und wohnte bis 1985 in Berlin und München. Danach studierte er Medizin und Kunst in Kiel, wo er seither als Schriftsteller und Maler lebt. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem „Preis der Literaturhäuser“ (2012). Zu seinen bekanntesten Publikationen zählen die Romane „Kanak Sprak“ (1995), „German Amok“ (2002), „Liebesbrand“ (2008) und „Ruß“ (2011).
Lesung im metro-Kino am 17.03.2013 um 20 Uhr mit Ausstellung im Foyer
Tickets: 14 Euro (+VVK) Wir verlosen 3 x 2 Tickets. Teilnahme
unter www.kielerleben.de/gewinnspiel.
Feridun Zaimoglu: Der Mietmaler. Eine Liebesgeschichte, LangenMüller, 160 Seiten, 19,99 Euro
Wir verlosen 3 x 1 Exemplar. Teilnahme ebenfalls unter www.kielerleben.de/gewinnspiel!